Pfarrer Matthias Rey
Kommentar

Matthias Rey: «Der Verhaltenskodex ist eine Neuauflage des Antimodernisteneides»

Der neue Verhaltenskodex des Bistums Chur soll Missbrauch verhindern. Vom Churer Priesterkreis haben bislang nur die Domherren Roland Graf und Franz Imhof öffentlich den Verhaltenskodex kritisiert. Nun meldet sich der Pfarrer von Müstair zu Wort.

Matthias Rey*

Vorbemerkung

Viele Punkte im Verhaltenskodex sind wohl unumstritten. Dass viele Seiten in dieser kritischen Hinterfragung gar nicht angesprochen sind, heisst, dass ich persönlich deren Inhalt grösstenteils gutheisse. 

Die Frage stellt sich jedoch, ob ein Verhaltenskodex überhaupt Missbräuche verhindern kann. Das ist etwa gleich, wie wenn alle Bürger eines Landes unterschreiben würden, niemals eine Bank zu überfallen. Man könnte in einem solchen Kodex noch integrieren, dass sie niemanden mehr auf das Thema Kapitalismus ansprechen würden und sich gänzlich jeglichen Urteils über Geld und Eigentum enthalten würden. Doch jene, die vorhaben, tatsächlich eine Bank zu überfallen, sind auch fähig zu lügen. 

Wer ein Kind missbraucht, dem mute ich ohne Weiteres zu, dass er/sie den vorliegenden Verhaltenskodex ohne rot zu werden unterschreibt.

Matthias Rey
Matthias Rey

Meine Kritik

Kritisch zu hinterfragen sind folgende Abschnitte:

Seite 6a: «Eine Verweigerung der Unterschrift zeigt massive Qualitätsdefizite in der Reflexionsfähigkeit, da die Person zu Pauschalurteilen neigt oder das Anliegen der Prävention nicht genügend mitträgt.»

Wirkt ziemlich arrogant. Dazu ist zu bemerken: Ohne Pauschalurteil keine allgemeingültige Moral, die sich auf das Sein (Ontologie) gründet. Der Kodex will, dass es keine Sünde an sich gibt, zum Beispiel Sex ausserhalb der kirchlichen Ehe, aber auch Abtreibung, Mord, Fluchen, Völlerei etc. Es herrscht die normative Kraft des Faktischen und die situative Moral wird absolut gesetzt. Interessant auch das «oder» im Text. Das heisst, dass der Verhaltenskodex auf zwei verschiedene Absichten zielt: nicht nur Prävention, sondern auch keine Pauschalurteile (wobei sich der Verhaltenskodex hier selbst widerspricht, gilt doch auch beim Verhaltenskodex für pädophile Handlungen das Pauschalurteil).

Chur hat bereits den Verhaltenskodex zum Umgang mit Macht eingeführt.
Chur hat bereits den Verhaltenskodex zum Umgang mit Macht eingeführt.

Ansprüche, Denkmuster und Ideale

Die ganze Seite 12 des Verhaltenskodex ist problematisch und schränkt priesterliches Wirken unter dem Deckmantel der Prävention massiv ein bzw. schaltet es aus.

Seite 12a: «Ich bin bereit, meine eigenen Ansprüche, Denkmuster und Ideale kritisch zu hinterfragen und nicht auf andere Personen zu übertragen.»

Da widerspricht sich der Verhaltenskodex selbst, denn der Verhaltenskodex sieht sich selber als absolute, nicht hinterfragbare Grösse. Wer auch nur einen Punkt im Verhaltenskodex hinterfragt, hat gemäss Seite 6a massive Qualitätsdefizite in der Reflexionsfähigkeit. Der Verhaltenskodex überträgt seine Ansprüche, Denkmuster und Ideale auf alle kirchlich Tätigen. Warum darf ich nicht Ansprüche, Denkmuster und Ideale, welche die Kirche seit biblischen Zeiten ununterbrochen lehrt, auf andere Personen übertragen? Selbstverständlich nicht durch Überreden, sondern durch Überzeugen.

Seite 12b: «Ich verwechsle meine eigene Stimme nicht mit der Stimme Gottes». Jesus sagt: ‹Wer euch hört, hört mich›. Den Verhaltenskodex wörtlich genommen darf ich nicht mehr sagen: ‹Das ist mein Leib› oder ‹Ich spreche dich los von deinen Sünden›. Natürlich ist das ja wohl kaum so gemeint. Aber das Priestertum begrenzt sich nicht auf Sakramentenspendung. Es kann nicht sein, dass ich Dogmen und verbindliche Weisungen zu Moral nicht mehr vermitteln darf.

Karin Iten stellt den Verhaltenskodex des Bistums Chur vor.
Karin Iten stellt den Verhaltenskodex des Bistums Chur vor.

Gibt’s Deutung nur noch bei Esoterikern und Gurus?

«Ich beanspruche für mich selbst keine Deutungshoheit in der Bewertung von Lebenssituationen oder Schicksalsschlägen.» Ich darf also Menschen in schwierigen Situationen nur noch zuhören. Ein Satz wie: ‹Eine Ungerechtigkeit ist ein Ruf zum Verzeihen› wäre demnach nicht zulässig (obschon ich so schon vielen Menschen helfen konnte). Menschen, die eine Deutung ihres Lebens suchen, würden zu Esoterikern und Gurus gehen, weil wir ihnen keine Hinweise mehr geben dürfen.

«Ich fordere weder Gehorsam noch Unterwerfung ein.» Was macht denn der Verhaltenskodex? Er fordert totale Unterwerfung und droht im Falle eines Ungehorsams mit Kündigung. Der Verhaltenskodex ist eine Neuauflage des Antimodernisteneides, einfach im Rahmen eines andern Zeitgeistes in umgekehrter Richtung.

Thomas Bergamin (Mitte) von der Landeskirche Graubünden bei der Vorstellung des Verhaltenskodex.
Thomas Bergamin (Mitte) von der Landeskirche Graubünden bei der Vorstellung des Verhaltenskodex.

Über Drohkulissen

«Drohkulissen jeglicher Art weise ich klar zurück.» Vorerst ist zu bemerken, dass der Verhaltenskodex eine gewaltige Drohkulisse aufbaut. Durch möglichst viele gewichtige Unterschriften wird er als autoritäres Dokument portiert und inhaltlich wird nota bene mit Kündigung gedroht.

Ich darf also nicht sagen, dass wenn ein Kind die Zähne nicht putzt, Zahnweh verursacht werden kann, dass wenn es ohne Achtsamkeit über die Stresse geht, ein Unfall passieren kann. Natürlich meint das der Verhaltenskodex nicht, aber gibt’s denn nur im materiellen Leben Konsequenzen? 

Was macht denn Jesus, wenn er vom Feuer der Hölle spricht, wo der Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt (Mk 9,48)? Selbstverständlich ist Behutsamkeit angesagt: So wie ich einem Kind nicht ein schreckliches Foto eines Autounfalls zeige, soll ich auch die Hölle nicht in allen Farben malen – allerdings ist Jesus dabei Vorbild mit dem Wurm und dem Feuer.

Matthias Rey ist Pfarrer von Müstair.
Matthias Rey ist Pfarrer von Müstair.

Stärkende Gottesbilder

«Ich vermittle zugewandte und stärkende Gottesbilder und ordne bedrohliche theologisch ein.» Da wird massiv in die Lehre Jesu eingegriffen. Nota bene redet Jesus häufiger von Bedrohung als von Belohnung. Das Gleiche tun wir ja auch mit Kindern bei der Zahnpflege oder bei der Verkehrssicherheit. Gibt es denn auf der geistlichen Ebene keine Bedrohungen, die man nennen darf/soll?

«Ich schüre keine Angst und schüchtere Menschen nicht mit frommen Argumenten ein.» Fromm wird hier abwertend gebraucht. Echte Frömmigkeit ist ja eine Gabe des Heiligen Geistes. Darf ich die Gabe der Frömmigkeit denn nicht für eine Weisung brauchen? Darf ich denn nicht sagen, dass zu einem intensiven Gebetsleben die Nächstenliebe als Frucht erwachsen soll und mit dem Gebet etwas nicht stimmt, wenn die Nächstenliebe fehlt?

Der Heilige Ignatius schreibt in seinem Exerzitienbüchlein, es sei wohl besser, dass sich jemand aus Angst vor der Hölle bekehrt als gar nicht. Manche Kinder putzen ihre Zähne aus Angst vor den Zahnteufelchen. Ist das denn so schlecht? Natürlich ist es besser, ihnen zu sagen, die Zähne zu putzen, damit sie schön weiss sind. Aber es gibt durchaus Kinder, denen so ein Argument an der Zahnbürste vorbei geht. Selbstverständlich alles mit Augenmass – wir Priester sind ja nicht blöd!

Präsentation des Verhaltenskodex im Bistum Chur: Der Graubereich ist nicht strafrechtlich relevant, der Rotbereich schon.
Präsentation des Verhaltenskodex im Bistum Chur: Der Graubereich ist nicht strafrechtlich relevant, der Rotbereich schon.

Schuldgefühle und Beschämung

«Ich schüre keine Schuldgefühle und nehme keine Beschämung von Menschen in Kauf.» Vorerst sei bemerkt, dass all jene beschämt werden, die den Verhaltenskodex nicht in all seinen Punkten unterschreiben – solche Menschen haben gemäss Seite 6a «massive Qualitätsdefizite in der Reflexionsfähigkeit».

Sodann wird die Unterscheidung der Geister gleich ganz über Bord geworfen. Schuldgefühle sind doch wie ein Thermometer – es kann Fehlanzeigen geben, dann muss man das Schuldgefühl relativieren (zum Beispiel gegenüber Verstorbenen, bei denen man etwas versäumt hat). Aber es gibt auch richtige Anzeigen; das Schuldgefühl kann tatsächlich auf eine reale Schuld hinweisen. 

Pfarrer und Organist: Matthias Rey in Müstair.
Pfarrer und Organist: Matthias Rey in Müstair.

Linke Kreise waren für Pädophilie

Auch gibt es die Fehlanzeige, dass jemand kein Schuldgefühl hat, obschon er schuldig geworden ist. Zum Beispiel gewisse politische Kreise in Deutschland, die in den Jahren 1973-2003 Pädophilie als salonfähig betrachteten. Oder eine Gynäkologin, die meint, mit Abtreibungen etwas Gutes zu tun. Oder eine Frau, die meint, eine Spirale oder eine Pille habe keine abortive Wirkung etc.

Da braucht es Unterscheidung und gewiss auch Einfühlungsvermögen. Wenn es Fälle gibt, dass Priester falsche Unterscheidung machen oder rüpelhaft vorgehen, darf man deswegen die Unterscheidung nicht einfach total verbieten. Das wäre, wie wenn man einem Chauffeur aufgrund der Unfallverhütung das Fahren verbieten würde. 

Darf ich einen aktiv Pädophilen nicht beschämen? Und einen Fluchenden? Einen Ehebrecher? Beschämen heisst selbstverständlich auch in die barmherzigen Arme Gottes übergeben.

Unterschrieben vom Bischof, den Generalvikaren und den Landeskirchen: der neue Verhaltenskodex.
Unterschrieben vom Bischof, den Generalvikaren und den Landeskirchen: der neue Verhaltenskodex.

Exorzismen sind wichtig

«Ich bestärke Personen, medizinische oder therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen und versuche niemals, diese durch spirituelle Angebote zu ersetzen.» Grundsätzlich richtig, aber nicht in jedem Einzelfall. Selbst Karin Iten hat mir in einem anderen Zusammenhang geschrieben: «sag niemals niemals». Die Psychiatrie versagt in manchen Fällen. Nicht allen Priestern kann verboten werden, gewisse Probleme spirituell zu lösen.

Dabei sollten Priester die Fortschritte ihrer Anvertrauten genauso kritisch überprüfen, wie das Psychologen und Psychiater (auch!) tun sollten (und oft nicht tun – deshalb darf man aber nicht grundsätzlich Psychiatrie verurteilen, aber ebenso wenig geistliche Begleitung). Es wäre zu wünschen, dass Psychiater genauso auf spirituelle Angebote der Kirche verweisen wie umgekehrt Seelsorgende auf Psychiatrie verweisen sollten. Sonst würden alle Erfahrungen mit Exorzismen einfach weggewischt – Erfahrungen, die durchaus in der Bibel zu finden sind und nicht einfach «theologisch eingeordnet» und abgetan werden können.

Im Widerspruch zur Lehre der Kirche

Beim ganzen Abschnitt auf Seite 14d stellt sich die Frage, was die Absicht dahinter ist – geht es wirklich um Prävention oder nicht eher um anderes?

Seite 14d: «…dass Menschen über die Sinndimensionen der Sexualität (Lustfunktion, Sozialfunktion, Identitätsfunktion, Fortpflanzungsfunktion) selbstverantwortlich entscheiden». Das widerspricht klar der Lehre der Kirche. Sexualität darf weder von Fortpflanzung und Treue getrennt werden (Folge: Abtreibung, Krankheitsübertragung), noch darf sie dem Urteil des einzelnen über sich selbst überlassen werden. 

Im Gegenteil: Vor Gott sind auch geheimste und persönlichste Aspekte ans Licht zu bringen. Wer diesen Artikel unterschreibt, begibt sich auf die Grenzlinie der Apostasie. Indirekt sagt er/sie, dass Gott nur nach schweizerischen Gesetzen unserer gegenwärtigen Zeit richten wird und es für intime Angelegenheiten gar kein göttliches Urteil geben wird. Und wo bitte ist da die Grenze? Nein ist Nein oder Ja ist Ja? Da entscheidet die Mehrheit des Parlamentes, wie das Wort Gottes zu deuten ist oder in welchem Mass es «theologisch eingeordnet» werden muss. Das Parlament entscheidet, wie Gott einst zu richten hat und auf was der Seelsorger gegenwärtig Acht zu geben hat.

Dieses Plakat (Ausschnitt) ist Teil der Ausstellung "Take Care", die im Kunsthaus Zürich zu sehen ist und war Teil einer "Stop Aids"-Kampagne.
Dieses Plakat (Ausschnitt) ist Teil der Ausstellung "Take Care", die im Kunsthaus Zürich zu sehen ist und war Teil einer "Stop Aids"-Kampagne.

«Wie steht es denn mit der Ehe zu dritt?»

«Recht auf sexuelle Selbstbestimmung.» Gibt es da irgendwo wenigstens indirekt einen biblischen Bezug oder einen Bezug zu Tradition und Lehre der Kirche? Weder Islam noch Judentum würden eine solche Aussage tolerieren. Dabei ist zu bemerken, dass auch heute jede Gesellschaft die sexuellen Beziehungen durch Gesetze eingrenzt, seit eh und je (bei uns heute zum Beispiel: Nein ist Nein, Sex mit Minderjährigen ist verboten etc.). Während Missbräuche in der Kirche Verbrechen sind (und das zu Recht!), wurde in linken Kreisen Pädophilie gezielt gefördert. Und: Warum darf nicht gesagt werden, dass 80 Prozent der innerhalb des kirchlichen Kontextes missbrauchten Kinder Knaben waren/sind?

«Ich unterlasse jegliche Form von Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung oder Identität.» Das ist die Übernahme staatlicher Normen ohne jede Hinterfragung, zum Beispiel das Recht homosexueller Paare auf Kinder. Wie steht es denn mit der Ehe zu dritt, der Ehe mit Tieren? Da müsste man doch ein wenig weiter denken, wohin die Strasse führt.

Matthias Rey will einen Bischof in Soutane und nicht im Anzug. Er hat in der Sakristei von Müstair eine Fotomontage (rechts) aufgehängt. Links das offizielle Bild.
Matthias Rey will einen Bischof in Soutane und nicht im Anzug. Er hat in der Sakristei von Müstair eine Fotomontage (rechts) aufgehängt. Links das offizielle Bild.

Darf ich keine Frage stellen bezüglich Gewalt in der Ehe?

«Einem Outing zu sexueller Orientierung stehe ich unterstützend zur Seite.» Was hat das mit Prävention zu tun? Ist eine Sünde moralischer, wenn sie offen ist?

«Einzelne biblische Aussagen über Sexualität lege ich behutsam, kontext- und zeitbezogen aus.» Alles, was den heute verbreiteten Ansichten widerspricht, soll zeitbezogen interpretiert werden – das ist ja ein Widerspruch in sich, denn auch heutige Ansichten sind zeitbezogen!

«Ich verzichte auf pauschal negative Bewertungen von angeblich unbiblischem Verhalten aufgrund der sexuellen Orientierung.» Was hat das mit Prävention zu tun? Muss die Bibel mit der Brille des Zeitgeistes ausgelegt werden?

«In Seelsorgegesprächen greife ich Themen rund um Sexualität nicht auf… Dies gilt auch für Gespräche, die ich als Vorgesetzte*r führe.» Wenn ich einen berechtigten Verdacht habe, dass jemand pädophile Handlungen macht, darf ich nicht danach fragen. Wenn jemand sagt, er sei unkeusch gewesen, dann darf ich doch wohl fragen, ob alleine oder mit andern? Oder soll ich einfach gleichgültig sein, was Sünde und den Zustand vor Gott und gegenüber Nächsten betrifft? Darf ich keine Frage stellen bezüglich Gewalt in der Ehe? 

Gilt jetzt: Verbrechen in der Finanzwelt sind strafbar und alles, was mit Sex zu tun hat, nicht? Hier scheint mir eine gewisse Staatshörigkeit durchzuschimmern: Was der Staat (heute) erlaubt, das darf die Kirche nicht hinterfragen?

Auf dem Land gibt’s keine anonymen Fälle

Seite 19e/f: «Situationen, die mich belasten oder verunsichern, bespreche ich im Team…» steht im Widerspruch zum «Seelsorgegeheimnis». Da haben die Verfasser wohl städtische Verhältnisse vor Augen. Auf dem Land kann ich nicht im Team über einen «anonymen» Fall sprechen.

Seite 20g: «Für meinen Auftrag erhalte ich einen Lohn. Mir anvertraute Menschen schulden mir nichts.» Sehr komisch, diese Haltung. Mir anvertraute Menschen schulden mir nichts, weil ich einen Auftrag Gottes habe. In Međugorje hatte ich stundenlang Beichte gehört ohne Lohn. Deswegen waren die mir anvertrauten Menschen nichts schuldig. Ich bin dem Ruf Gottes gefolgt und er wird für mich sorgen.

Ich hatte einen hervorragenden Beichtvater

«Ich handle als auswechselbare Person der Organisation…» Kein Mensch ist ersetzbar oder auswechselbar, nicht einmal ein Automechaniker (wer einmal einen wirklich guten Automechaniker gehabt hat, weiss, dass genau der nicht ersetzt werden kann – allenfalls kann ein anderer seine Arbeit übernehmen, aber er wird ihn kaum ersetzen können). Jeder hat seine Fähigkeiten und nicht umsonst kennt die Kirche die freie Wahl des Beichtvaters. Ich hatte zum Beispiel einen hervorragenden Beichtvater, für den ich bis heute keinen Ersatz gefunden habe.

Seite 26m: «Ich engagiere mich für eine ergebnisoffene und gemeinsame Suche nach Antworten.» Was soll dieses «ergebnisoffen», wenn es zum Beispiel um Pädophilie geht oder um Abtreibung? Sicher ist Sensibilität angesagt, aber das Ergebnis darf doch bei der Unversehrtheit eines anderen Lebens nicht offen sein!?

Seite 32: «Der Name Gottes wird missbraucht, um Macht über Menschen zu gewinnen.» Sicher kann er missbraucht werden. Missbrauch besteht ja gerade darin, dass ich eine Sache für etwas brauche, für die sie nicht gemacht ist. Als Priester habe ich die ureigene Aufgabe, Stimme Gottes in dieser Welt zu sein. Ein Missbrauch ist fatal, aber man kann doch nicht priesterliches Wirken verbieten, um Missbrauch zu verhindern. Das wäre, wie wenn man allen Vätern die Berührung ihrer Kinder verbieten würde – dann gäbe es sicher weniger Missbräuche, aber die Kinder würden verkümmern so wie die Menschen allgemein verkümmern, wenn ihnen die Stimme Gottes in dieser Welt entzogen wird.

Schlussbemerkung

Zum Schluss eine Bemerkung zu einem Punkt, der zwar nicht gegen die Moral wäre, aber doch fragwürdig ist: Ein*e Seelsorger*in soll nie mit einem Kind allein im Auto fahren. In Müstair fährt das letzte Postauto taleinwärts um 19.20 Uhr, das heisst nach jedem Ministrantentreffen braucht es Fahrdienst. Statistisch gesehen ist das Kind im Auto seines Onkels circa 35 Mal mehr gefährdet als bei mir, tatsächlich ist es bei der 60 Jahre alten Katechetin 100 Prozent sicher. Oder wäre es am sichersten, wenn es acht Kilometer weit zu Fuss gehen würde?

* Matthias Rey ist Pfarrer in Müstair.


Pfarrer Matthias Rey | © Mattia Vacca
2. Juli 2022 | 15:49
Lesezeit: ca. 10 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!