Martin Werlen
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Martin Werlen zur «Auskotzete»: «Viele haben Tränen abgewischt»

Ein Austausch zum Thema «Jetzt reicht’s» in der Propstei St. Gerold hat den Gastgeber Martin Werlen «tief berührt». Nach den aufgedeckten Missbrauchsfällen im Erzbistum München-Freising fühlten sich viele ohnmächtig und alleingelassen, sagt Werlen.

Regula Pfeifer

«Mir ist zum Kotzen», «ich weiss nicht mehr weiter»: Solche und ähnliche Sätze sind am Freitagabend in der Propstei St. Gerold im österreichischen Vorarlberg gefallen.

Der dortige Propst, der Einsiedler Mönch Martin Werlen, hatte zu einem Austausch unter dem Namen «Jetzt reicht’s» geladen. Den Start dazu bildete die sogenannte «Auskotzete». In dieser Abendstunde waren die Gäste eingeladen, ihre Befindlichkeit zu äussern.

Schreckliche Nachrichten aus München-Freising

Sie fühlten sich ohnmächtig und allein gelassen, erfuhr Martin Werlen von den rund 40 Gästen, die den Anlass besuchten. Dies angesichts der schrecklichen Nachrichten, die sie durch das Missbrauchsgutachten über die Erzdiözese München-Freising erfahren hatten. Und angesichts des Schweigens der Bischöfe.

«Viele haben dabei Tränen abgewischt», so Werlen. Ein bekannter Saxofonist des Vorarlbergs äusserte seinen Unmut mit musikalischen Improvisationen. Die Gäste kamen aus der Schweiz, Deutschland, Österreich und Liechtenstein. «Es waren alles Leute, denen die Kirche nicht gleichgültig ist», beschreibt Werlen die Gäste.

Schwierige Erfahrungen mit der Kirche

Menschen, die sich vorher nicht kannten, erzählten einander Persönliches. «Viele erzählten von ihren eigenen schwierigen Erfahrungen mit der Kirche», so Werlen. Sie hätten es geschätzt, all dies in St. Gerold zur Sprache bringen zu können.

Der Austausch ging auch beim viergängigen Abendessen weiter. «Die Leute kamen miteinander ins Gespräch», erzählt Werlen. «Und zwischendurch improvisierte der Saxofonist.»

«Und wenn nun solche Machenschaften aufgedeckt werden, sollen wir schweigen?»

Dass die Menschen ihren Unmut loswerden sollen und dürfen, ist für den Benediktiner klar. «Bisher haben die Menschen in der Kirche einfach geschwiegen bei Ungerechtigkeit, Machtmissbrauch und Verbrechen», sagt er und fügt die rhetorische Frage an: «Und wenn nun solche Machenschaften aufgedeckt werden, sollen wir schweigen?»

Für den folgenden Morgen wünschten sich die Teilnehmenden eine Eucharistiefeier. Die Lesungen passten bestens zum Anlass, findet Werlen. So war das Evangelium zum Seesturm an der Reihe. Da die Jünger sagten: «Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen?»

Suche nach Perspektiven

Danach suchten die Gäste – in Gruppen zu mindestens fünf Personen – gemeinsam nach Perspektiven zum Weitergehen. «Wir orientierten uns dabei an den Vorgaben des Papstes zum synodalen Weg», so Werlen. Die Vorschläge stellten die Gruppen einander vor.

Danach hörten sie gemeinsam die Auferstehungssinfonie von Gustav Mahler. «Was der Chor singt, hat sehr gepasst», sagt Werlen. Er zitiert: «Hör auf zu beben, bereite dich zu leben. Sterben werde ich, um zu leben. Auferstehen, ja auferstehen wirst du.»

Von Verdrossenheit zu Aufbruchstimmung

Am Schluss seien die Gäste aufgerichtet wieder abgereist, sagt Werlen. Ein Gast habe ihm nachträglich geschrieben: «Trotz grosser Verdrossenheit herrschte nach meinem Empfinden eine noch grössere Aufbruchstimmung.»

Auch für den Propst selbst war es eine gute Erfahrung. Es habe ihm gut getan zu merken, dass da Menschen sind, denen die Kirche nicht gleichgültig ist. «Es tut gut zu merken, was für eine Kraft da ist, was für eine Bereitschaft, an der Kirche mitzuarbeiten, damit sie anders wird.»

Nun hofft Martin Werlen, dass die Gäste diese Kraft weitertragen in ihre Pfarrei, in ihre Familie, in ihr Bistum. Damit diese weiterwirkt.

Martin Werlen | © Barbara Fleischmann
30. Januar 2022 | 17:01
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