Martin Werlen
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Martin Werlen: Die Ernennung von Erzbischof Wolfgang Haas war geistiger Missbrauch

Der ehemalige Abt von Einsiedeln, Martin Werlen (60), kritisiert die Gründung des Erzbistums Vaduz vor 25 Jahren: «Ein Erzbistum wurde nicht für die Menschen geschaffen, sondern um in Chur ein Problem zu lösen.» Würde erneut ein Erzbischof à la Wolfgang Haas (74) ernannt, wäre das ein «Selbstmord für die Kirche».

Raphael Rauch

Martin Werlen ist in seinem Element und greift nach den Sternen. Er erinnert an seinen Namensvetter Martin Luther King. Der sagte einst: «Nur im Dunkeln leuchten die Sterne.» Ein Aphorismus, der oft falsch verstanden werde, findet Martin Werlen. So könne man Leid romantisieren. So könne man Wunden einen Sinn geben.

Martin Werlen provozierte Wolfgang Haas mit Ministrantinnen

Und doch passe die Metapher zur Situation im Erzbistum Vaduz. Gerade an Maria Lichtmess, wenn die Kerzen für das Jahr gesegnet werden. «Seid einander grosse Leuchten», sagt Martin Werlen im Gottesdienst und verhehlt nicht, dass er im Klerus des Erzbistums Vaduz die grossen Leuchten vermisst.

Demonstration in Liechtenstein 1997 gegen die Inthronisation von Wolfgang Haas als Erzbischof von Vaduz.
Demonstration in Liechtenstein 1997 gegen die Inthronisation von Wolfgang Haas als Erzbischof von Vaduz.

Martin Werlen und Erzbischof Wolfgang Haas – das sind zwei Mitbrüder der ganz besonderen Art. Als Wolfgang Haas, damals noch Bischof von Chur, zur Weihe der Weihbischöfe Vollmar und Henrici nach Einsiedeln kam, achtete Martin Werlen als Zeremoniar darauf, dass Ministrantinnen und Lektorinnen eingeteilt waren. Ein kirchenpolitisches Statement – und eine Provokation für Wolfgang Haas, der Frauen im Hochaltar nur als Madonna oder als Putzfrau duldet.

«Gott, Fürst, Vaterland»

An diesem Lichtmesstag ist Martin Werlen in Schaan FL zu Gast, um eine Laudatio auf den «Verein für eine offene Kirche» zu halten. Der wurde am 2. Februar 1998 gegründet – als Reaktion auf das neue Erzbistum Vaduz. Dieses hatte der Heilige Stuhl am 2. Dezember 1997 erhoben – über die Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner hinweg. 

In der Pfarrkirche in Schaan FL geht's noch weihnachtlich zu.
In der Pfarrkirche in Schaan FL geht's noch weihnachtlich zu.

Das Fest Maria Lichtmess hat im Fürstentum Liechtenstein nach wie vor nicht an Glanz verloren – es ist ein staatlicher Feiertag. Die Pfarrkirche in Schaan ist weihnachtlich geschmückt, Christbäume und Weihnachtssterne leuchten um die Wette. Oberhalb der Pfarrkirche, im Kloster St. Elisabeth, sind Saal und Parkplatz voll. Auf einem Auto prangt ein Aufkleber: «Gott, Fürst, Vaterland». Liechtenstein en miniature.

«Die Schweizer Bischöfe tragen eine Mitverantwortung»

«Ich weiss nicht, ob das Dankesschreiben von Erzbischof Wolfgang Haas bereits eingetroffen ist», sagt Martin Werlen ironisch zum silbernen Vereinsjubiläum. Der Witz kommt an, schliesslich lehnt der Erzbischof von Vaduz den «Verein für eine offene Kirche» ab. «Im Namen der Kirche danke ich Ihnen für Ihre Arbeit», bekräftigt Martin Werlen.

«Gott, Fürst, Vaterland». Liechtenstein en miniature.
«Gott, Fürst, Vaterland». Liechtenstein en miniature.

Selbstkritisch fügt der Benediktiner an: «Die Schweizer Bischöfe tragen eine Mitverantwortung für das Desaster in Vaduz. Wir haben geschwiegen, weil wir froh waren, dass Wolfgang Haas nicht mehr Bischof von Chur war.» Liechtenstein sei zugunsten von Chur geopfert worden.

«Wolfgang Haas zum Bischof-Sein nicht fähig ist»

«Nur im Dunkeln sieht man die Sterne.» In Martin Werlens Laudatio geht es zuerst um die Nacht – und später um den Glanz der Sterne. «Das Bistum Chur hatte einen Bischof, der zum Bischof-Sein nicht fähig ist», kritisiert der frühere Abt von Einsiedeln Wolfgang Haas. «Das ist kein Schuldspruch. Aber zum Bischofssein braucht es mehr als die Weihe. Ein Bischof braucht das Vertrauen der Menschen. Wenn die Mehrheit der Gläubigen ihrem Bischof nicht vertraut, kann er sein Amt nicht ausüben.»

Erzbischof Wolfgang Haas an der Abdankung von Fürstin Marie von und zu Liechtenstein.
Erzbischof Wolfgang Haas an der Abdankung von Fürstin Marie von und zu Liechtenstein.

Martin Werlen ist überzeugt: Hätte Wolfgang Haas Grösse gehabt, dann hätte er dem Papst seinen Rücktritt angeboten. «Er hätte auf den Bischofsstuhl verzichten sollen aus Sorge für die Menschen», sagt Martin Werlen. Doch dazu sei er «nicht bereit oder fähig» gewesen.

«Geistlicher Missbrauch»

Die Hauptverantwortung für die Misere in Vaduz sieht Martin Werlen bei der Beförderung nach oben durch Rom. »Ein Erzbistum wurde für den Bischof gegründet, nicht für die Menschen. Das merken wir bis heute», kritisiert Martin Werlen und bekräftigt: «Wer über uns geht, übergeht uns. Das sind traurige Machtspiele in der Kirche, das ist geistlicher Missbrauch.»

Vortrag von Martin Werlen in Schaan FL.
Vortrag von Martin Werlen in Schaan FL.

Der Klartext des Benediktiners kommt an. Im Saal sitzen Menschen, die seit Jahrzehnten für eine Kirche in der Welt von heute kämpfen. Denen der eigene Erzbischof vorwirft, sich schismatisch zu verhalten. Am Ende des Vortrags sagt Günther Boss vom «Verein für eine offene Kirche», der Vortrag sei für ihn «Balsam für die Seele» gewesen.

Selbst Kardinal Meisner hatte Mühe mit Wolfgang Haas

Martin Werlen ist überzeugt: «Rom wird nicht herumkommen, um Vergebung zu bitten. So darf man nicht an Menschen vorbeigehen.» Die Probleme im Erzbistum Vaduz seien vorhersehbar gewesen. Die Schwierigkeiten hätten sich verstärkt, denn »der Erzbischof ist in keine Bischofskonferenz eingebunden», sagt Martin Werlen. 

Günther Boss vom "Verein für eine offene Kirche" in Liechtenstein.
Günther Boss vom "Verein für eine offene Kirche" in Liechtenstein.

Selbst der stramm konservative Kölner Kardinal Joachim Meisner habe keine Freude gehabt, dass Wolfgang Haas den Beratungen zu Liturgie-Fragen im deutschsprachigen Raum fernblieb. Und dennoch: Alle Bischöfe hätten Wolfgang Haas’ Abwesenheit hingenommen. Martin Werlen erzählt, wie Meisner in einer Sitzung gesagt habe: «Das ist in der Verantwortung des Erzbischofs von Vaduz.» Dabei gehe es doch um die Menschen, nicht um den Erzbischof, erwiderte Werlen.

«Selbstmord für die Kirche»

Am 7. August dieses Jahres wird Erzbischof Wolfgang Haas 75 und muss Papst Franziskus seinen Rücktritt anbieten. Einerseits ist Martin Werlen voller Hoffnung. Papst Franziskus werde kein Fehlgriff à la Wolfgang Haas passieren: «Das wäre Selbstmord für die Kirche.» 

Skulpturen vor dem Kloster St. Elisabeth in Schaan FL.
Skulpturen vor dem Kloster St. Elisabeth in Schaan FL.

Auch mit dem aktuellen Nuntius Martin Krebs hätten die Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner mehr Glück. «Sein Vorgänger, Nuntius Thomas Gullickson, hat mit Wolfgang Haas die Chrisammesse im tridentinischen Ritus gefeiert – als ob es das Zweite Vatikanische Konzil nicht gegeben hätte», sagt Martin Werlen. Am Montag wurde bekannt, dass der konservative Kardinal Marc Ouellet ab 12. April nicht mehr Präfekt für das Bischofsdikasterium ist. Martin Werlen ist überzeugt: «Auch das sollte sich positiv auswirken.»

Resterampe für abgelehnte Priesteramtskandidaten

Doch Martin Werlen hat auch Zweifel. «Sorgen machen mir nicht die Menschen. Sie werden den neuen Erzbischof mit offenen Armen empfangen», sagt der Benediktiner. «Ich mache mir Sorgen um den Klerus. Die meisten Männer sind nach Liechtenstein wegen Erzbischof Wolfgang Haas gezogen. Wenn eine Berufung vom Bischof abhängt, dann trägt das Fundament nicht.»

Zumal Liechtenstein eine Art Resterampe für abgelehnte Priesteramtskandidaten wurde. Martin Werlen erinnert sich an einen Priester, der selbst von Kardinal Joachim Meisner abgelehnt worden war – und dann in Liechtenstein und Rom Karriere machte. 

Limburg lehnt Mann ab – Wolfgang Haas weiht ihn trotzdem

Zurzeit gibt auch die Causa Thomas Jäger zu reden: Das Bistum Limburg lehnte den deutschen Theologiestudenten als Priester ab. Wolfgang Haas weihte ihn trotz der Bedenken aus Limburg. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Missbrauchsvorwürfen. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Der Priester Thomas Jäger mit dem früheren Bischof von Chur, Vitus Huonder.
Der Priester Thomas Jäger mit dem früheren Bischof von Chur, Vitus Huonder.

«Seit 25 Jahren hat Liechtenstein immer mehr verloren, was das Katholische ausmacht: das Weite, das Umfassende, das Leben in Gemeinschaft, in Beziehung, in Wohlwollen, das auf dem Weg sein», sagt Martin Werlen.

«Unverhoffter Blick in den Himmel»

«Nur im Dunkeln leuchten die Sterne.» Nach der dunklen Nacht greift Martin Werlen nach den Sternen. Damit meint er etwa den «Verein für eine offene Kirche». Zu den Mitgliedern sagt er: «Ihr habt den Glauben an die Kirche nicht verloren.» Und: «Ich bin dankbar für euer Engagement. Danke, dass wir in St. Gerold und in Einsiedeln Erstkommunion und Firmungen für Menschen aus dem Fürstentum Liechtenstein feiern konnten.»

Martin Werlen weiht die Kerzen.
Martin Werlen weiht die Kerzen.

Martin Werlen ist überzeugt: «Wenn wir als Kirche nicht bei den Menschen sind, verpassen wir unsere Berufung.» Und: «Ihr habt einen unverhofften Blick in den Himmel geschenkt. Vergelt’s Gott für euer Glaubenszeugnis.»

Die Familiengruppen von einst gibt es noch heute

Die Worte von Martin Werlen kommen an. Sichtlich gerührt berichtet eine Frau später, wie sich vor 25 Jahren kleine Familiengruppen gegründet hätten, um eine offene Form des Katholischseins zu leben. «Diese Familiengruppen gibt es noch heute», sagt die Frau unter Tränen. Sie freut sich auf den Moment, wo im Erzbistum Vaduz die Dunkelheit verschwindet – und die Sterne trotzdem leuchten.


Martin Werlen | © Christian Merz
2. Februar 2023 | 19:15
Lesezeit: ca. 5 Min.
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