Kardinal Walter Brandmüller (Mitte) zelebriert in Rom mit dem Rücken zur Gemeinde eine Messe nach dem alten Ritus, Mai 2011.
Kommentar

Martin Klöckener: Papst Franziskus möchte das Nebeneinander zweier Formen des römischen Ritus beenden

Auf der einen Seite möchte Papst Franziskus eine «heilsame Dezentralisierung». Auf der anderen Seite reisst er in Liturgie-Fragen Macht an sich. Wie passt das zusammen? Liturgie-Experte Martin Klöckener vermutet: Die Bischöfe haben bisherige Vorgaben zu lax umgesetzt. Deswegen erhöht Rom nun den Druck.

Martin Klöckener*

Der Vatikan hat durch sein Dikasterium für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung mit einem Reskript abermals Klarstellungen zum päpstlichen Motu proprio «Traditionis custodes» vom 16. Juli 2021 zur weiteren Beschränkung der Messe in der Gestalt vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil vorgenommen. 

Liturgieprofessor Martin Klöckener
Liturgieprofessor Martin Klöckener

Vorausgegangen ist eine Audienz des Präfekten des Dikasteriums, Kardinal Arthur Roche, beim Papst am 20. Februar 2023. Die Absicht des Motu proprio «Traditionis custodes» vom Sommer 2021 war bereits eindeutig gewesen; Papst Franziskus hatte diese zusätzlich in einem Brief vom selben Tag an die Bischöfe «in aller Welt» bekräftigt. Trotzdem blieben nach dem Motu proprio einzelne Fragen offen, da nicht alle denkbaren Fälle, die in der Praxis begegnen können, explizit erfasst waren. 

Die Responsa ad dubia vom 4. Dezember 2021

Eine erste, sehr umfangreiche Klarstellung veröffentlichte die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung unter dem Datum vom 4. Dezember 2021, dem Jahrestag der Verabschiedung der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils, in einem Brief des Präfekten Arthur Roche sowie den beigefügten «Responsa ad dubia». 

Kardinal Arthur Roche
Kardinal Arthur Roche

Das sind Klärungen zu aufgekommenen Fragen – eine vom Vatikan häufiger gewählte Form normalerweise rechtlich bindender Kommunikation, auch im Bereich der Liturgie. Diese Klärungen waren teilweise noch restriktiver formuliert als das Papstschreiben vom Juli 2021, schufen aber Eindeutigkeit in mehreren Punkten, die man nach «Traditionis custodes» unterschiedlich interpretieren konnte. 

Papst Franziskus besucht den emeritierten Papst Benedikt XVI. im Kloster Mater Ecclesiae.
Papst Franziskus besucht den emeritierten Papst Benedikt XVI. im Kloster Mater Ecclesiae.

Die «Responsa» unterstrichen einmal mehr, wie ernst Papst Franziskus es mit der Rückkehr zu einer einzigen Form der römischen Liturgie meinte. Dies hatte notwendigerweise zur Konsequenz, dass die von Benedikt XVI. als solche bezeichnete «ausserordentliche Form» der römischen Liturgie so weit wie möglich einzuschränken war. 

Verhältnis von Diözesanbischöfen und Apostolischem Stuhl

Mit dem neuen Reskript vom 20. Februar wird dieser Weg konsequent weiter beschritten. Dabei behält sich der Vatikan in zwei Fragen Kompetenzen vor, von denen eine zu Lasten der Diözesanbischöfe geht. Diese Tendenz war schon in «Traditionis custodes» angelegt, wird nun aber ausgeweitet. 

Ein solches Vorgehen steht in Spannung zur Verlagerung von Entscheidungsbefugnissen von der römischen Zentrale in die Teilkirchen hinein, die unter Papst Franziskus an verschiedenen Stellen zu beobachten ist. 

Hintergrund könnte aber sein, dass manche Bischöfe – in verschiedenen Ländern unterschiedlich – die römischen Vorgaben von 2021 nicht in der vorgesehenen Weise umgesetzt und zu grosszügig weiterhin bestimmte Erlaubnisse zur Feier der Liturgie in der vorkonziliaren, tridentinischen Gestalt erteilt hat. 

Keine Messe im vorkonziliaren Ritus in Pfarrkirchen

Das neue Reskript behält dem Apostolischen Stuhl in besonderer Weise zwei Entscheidungen vor. Zunächst kann jetzt nur noch der Apostolische Stuhl die Erlaubnis erteilen, eine Pfarrkirche für die Eucharistiefeier nach dem Missale Romanum von 1962 zu benutzen. Schon «Traditionis custodes» hatte den Gebrauch einer Pfarrkirche ausgeschlossen. Dem zuständigen Ortsbischof war lediglich die Bestimmung entsprechender Gottesdienstorte mit Ausnahme von Pfarrkirchen zugestanden worden. 

Schaukasten der Kirche Herz Jesu Oerlikon ZH. Obwohl es eine Pfarrkirche ist, finden hier Alte Messen statt.
Schaukasten der Kirche Herz Jesu Oerlikon ZH. Obwohl es eine Pfarrkirche ist, finden hier Alte Messen statt.

Die genannten «Responsa» vom 4. Dezember 2021 hatten dazu präzisiert, dass die Feier der Eucharistie in der vorkonziliaren Gestalt des römischen Ritus nicht zum Alltag des Lebens der Pfarrgemeinde gehören sollte. Die Kongregation konnte aber auf Antrag des Diözesanbischofs die Verwendung der Pfarrkirche für die Messfeier nach dem Missale Romanum von 1962 in Fällen bewilligen, in denen sicher feststand, dass keine andere Kirche, kein Oratorium und keine Kapelle zur Verfügung standen. Die Kongregation teilte mit, dass sie eine solche Erlaubnis äusserst zurückhaltend erteilen würde; letztere sollte wieder verfallen, sobald ein anderer Gottesdienstraum zur Verfügung stünde. 

Personalpfarreien

Ausserdem war die Errichtung einer Personalpfarrei für Gläubige, die die Liturgie im vorkonziliaren Ritus feiern wollten, durch «Traditionis custodes» generell untersagt worden. Auch die Erteilung einer solchen Erlaubnis behält sich nun der Apostolische Stuhl vor. 

Pater Martin Ramm, Mitglied der Petrusbruderschaft
Pater Martin Ramm, Mitglied der Petrusbruderschaft

In diesen beiden Punkten wird also den Bischöfen kein bisher ihnen zukommendes Recht entzogen, da sie diese Entscheidungsbefugnis seit «Traditionis custodes» ohnehin nicht mehr hatten. Dass der Apostolische Stuhl aber in diesen beiden Punkten eingreift, lässt darauf schliessen, dass möglicherweise verschiedentlich gegen diese Bestimmung verstossen worden ist. 

Vorkonziliare Messe bei Neupriestern

Anders verhält es sich mit der Erlaubnis für Priester, die nach der Veröffentlichung des Motu proprio «Traditionis custodes», also nach dem 16. Juli 2021, geweiht worden sind, die Eucharistie nach dem vorkonziliaren Missale Romanum (Ausgabe von 1962) zu feiern. 

Hierzu hatte «Traditionis custodes» verfügt, dass solche Priester eine Anfrage an den Diözesanbischof richten mussten, der vor der Erteilung einer Genehmigung den Apostolischen Stuhl zu konsultieren hatte. Wie diese Bestimmung praktisch umgesetzt worden ist und wie häufig sie zum Tragen kam, ist nicht bekannt. 

Die Priesteramtskandidaten des Bistums Chur.
Die Priesteramtskandidaten des Bistums Chur.

In diesem Punkt wird neuerdings der Diözesanbischof übergangen; eine solche Erlaubnis kann nur noch der Apostolische Stuhl, das heisst konkret das Dikasterium für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, erteilen. Auch diesbezüglich mag man über die Hintergründe spekulieren. Doch die Vermutung ist naheliegend, dass einzelne Bischöfe neugeweihten Priestern zu grosszügig eine solche Erlaubnis gegeben haben.

Neubewertung der Situationen durch den Vatikan

Schliesslich verfügt das Dikasterium für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, dass Diözesanbischöfe, die in den genannten Punkten Dispensen erteilt haben, das Dikasterium zu informieren haben; dieses behalte sich eine Neubewertung der Angelegenheit vor. 

Verwirklichung der Einheit der römischen Liturgie auf Basis des Konzils

Es ist offenkundig, dass Papst Franziskus das Nebeneinander zweier Formen des römischen Ritus definitiv beenden möchte, damit die Liturgie nicht weiterhin zum Streitpunkt wird und Spaltung in die Kirche und einzelne Gemeinden hineinträgt. Die theologische Grundlegung der Liturgie und ihre Gestalt sollen umfassend auf den Beschlüssen des Zweiten Vatikanischen Konzils fussen. 

Anfragen an bestimmte Schweizer Praktiken

Auch in den Diözesen der Schweiz wird man sich neu mit dieser Frage auseinandersetzen müssen. Bekanntlich gibt es vereinzelt Pfarrkirchen, in denen die Liturgie in tridentinischer Gestalt gefeiert wird. 

Die Pfarrei Dreifaltigkeit in Bern.
Die Pfarrei Dreifaltigkeit in Bern.

Ob es in der Schweiz und in Liechtenstein seit Juli 2021 geweihte Neupriester gibt, die nach dem vorkonziliaren Ritus die Messe feiern, ist mir nicht bekannt. Auf jeden Fall wären ihre Fälle nach Rom zu melden genauso wie die Existenz von schon bestehenden Personalpfarreien. 

Ob das Dikasterium für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung dann zu einer anderen Bewertung der Situation gelangt als der betreffende Diözesanbischof, wird man abwarten müssen. Dass ein Neupriester die Messe nach den aktuell geltenden liturgischen Büchern verweigert, wie es vereinzelt in einem bestimmten Umfeld vorzukommen scheint, war schon vor «Traditionis custodes» ausgeschlossen; ein Bischof hätte dies nicht dulden dürfen.

Weiterhin erlaubte Praxis

Nicht betroffen sind dem Text des Reskripts zufolge Messen in der vorkonziliaren Gestalt, die mit Erlaubnis des Diözesanbischofs ausserhalb von Pfarrkirchen gefeiert werden. Ebenfalls nicht betroffen sind die Sondergenehmigungen, die der Petrusbruderschaft gewährt wurden. In Bezug auf schon bestehende Personalpfarreien muss der Bischof aber eine Meldung nach Rom machen. Es könnte sein, dass der Vatikan nicht alle von einzelnen Bischöfen erteilten örtlichen Genehmigungen akzeptiert.

* Martin Klöckener (67) ist emeritierter Professor für Liturgiewissenschaft an der Universität Freiburg. Im Jahr 2020 unterstützte er eine Petition von rund 200 Theologinnen und Theologen, die gegen Änderungen von Bestimmungen zur tridentinischen Messe protestierten.

Ebenfalls von Martin Klöckener stammen die Kommentare


Kardinal Walter Brandmüller (Mitte) zelebriert in Rom mit dem Rücken zur Gemeinde eine Messe nach dem alten Ritus, Mai 2011. | © KNA
21. Februar 2023 | 18:59
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