Ex-Generalvikar Martin Grichting.
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Martin Grichting: Die Zürcher Reformierten sind kein Vorbild für den Synodalen Weg

«Seit 1868 ist nicht mehr das Glaubensbekenntnis das einende Element dieser und der übrigen reformierten Landeskirchen, sondern der Staat. Die Landeskirche werde «gleichsam zu einem äusseren Rahmen, der sehr Divergierendes und Widersprechendes notdürftig zusammenhält», wie der Zürcher Antistes (Oberpfarrer) Georg Finsler seinerzeit resümierte. 

Das sei der Auflösung der Kirche und ihrer Spaltung in zwei Kirchen vorzuziehen. Denn so bleibe sie eine «äussere Anstalt, die ihre bestimmte Stelle im staatlichen Organismus hat». Zu dieser «äusseren Anstalt» gehören heute, politisch konnotiert, eine liberale, eine evangelisch-kirchliche und eine religiös-soziale – sozialistische – Fraktion sowie ein «Synodalverein». 

Bei der «Trennung von Kirche und Staat», wenn sich Letzterer als Gesetzgeber der Landeskirche zurückzöge, würde sich die «äussere Anstalt» in mehrere Gesinnungsgemeinden aufsplittern. So bekannte es die Zürcher Landeskirche im Jahre 1995 selbst.

Karl Barth hat für dieses Konstrukt den Begriff der «Bekenntnisschwäche» geprägt. Denn Bekennen und Nichtbekennen seien gleichermassen erlaubt. Das bedeute nicht, dass auf religiösem Gebiet alles gleich sei und die «gegnerische Anschauung» die gleiche Berechtigung besitze wie die eigene, meinte im Jahr 1881 Antistes Finsler. Denn dies wäre ein «sittliches Unding». Vielmehr räume man der «Gegenpartei» das Recht ein, «in der Kirche zu existieren, wobei ein ehrlicher Kampf nicht fehlen soll und kann».

Ergebnis des innerkirchlichen Parteienwesens ist ein kontinuierliches Ausbluten der reformierten Zürcher Landeskirche. 1860 umfasste sie noch 95,7 Prozent der Bevölkerung. Ende 2021 waren es noch 25,4 Prozent, wobei die Talsohle nicht in Sicht ist. Reformierte Pfarrherren kokettieren mittlerweile damit, dass sie das Totenglöckchen der Landeskirche läuten hörten. 

Diese Entwicklung überrascht nicht. Denn die Anhänger dieser «Glaubensgemeinschaft» können nicht mehr unzweideutig verkünden, weil sie stets Rücksicht auf die anderslautenden Lehren der innerkirchlichen Gegenparteien nehmen müssen. Profillosigkeit und das Ausweichen auf die Felder der Moral sowie der Tagespolitik sind die Folge. (…)

Ob und wann der Staat sein Interesse an den von ihm alimentierten Kirchentümern verlieren wird, ist auch heute schwer abzuschätzen. Absehbar ist hingegen, dass ein ökonomisch motiviertes Zusammenleben unvereinbarer Glaubenshaltungen unter einem Dach den evangelisierenden Eifer weiter lähmen wird. 

Kommt es im Gefolge des «Synodalen Wegs» dies- und jenseits des Rheins zu solch einem «Unding», drohen bleierne Jahre. Wer am ganzen Evangelium und an der Lehre der Kirche festhält, kann dann nur noch mit Léon Bloy sagen: «Ich warte auf die Kosaken und den Heiligen Geist.»

Der ehemalige Generalvikar des Bistums Chur, Martin Grichting, kritisiert den Synodalen Weg: «In Deutschland treiben zahlreiche Bischöfe und Laienfunktionäre einen Synodalen Weg voran, der in eine Kirchenspaltung führen dürfte», schreibt Grichting in einem Gastbeitrag für die «NZZ». Die Erfahrungen der reformierten Schweizer Landeskirchen sollten «eine Warnung sein». (rr)


Ex-Generalvikar Martin Grichting. | © Regula Pfeifer
13. August 2022 | 07:41
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