Kirchenmusiker und Pfarrer Mario Pinggera an der Orgel in der katholischen Kirche in Richterswil.
Schweiz

Mario Pinggera: Wie mich Ivo Fürer vor Wolfgang Haas rettete

Jungen Männern, die anderswo abgelehnt wurden, ermöglichte Wolfgang Haas am «Lauretanum» in Zizers eine Priesterkarriere. Mario Pinggera hat es am «Lamentarium» nicht ausgehalten. Bei einem Fondue half ihm der damalige Bischof von St. Gallen, Ivo Fürer, aus der schwierigen Situation.

Mario Pinggera*

Bischof Ivo Fürer habe ich sehr viel zu verdanken. Aber der Reihe nach. Im Oktober 1996 schloss ich das staatliche A-Examen in Kirchenmusik an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main ab. Das Studium der Kirchenmusik war damals in Deutschland eines der umfangreichsten Studiengänge überhaupt: Es ging um 18 Disziplinen von der Komposition bis zur Gregorianik. 

Lehmann spendete mir «Gottes Segen» für St. Luzi

Parallel dazu durfte ich das Amt des Chorregenten an der Basilika in Seligenstadt, einer bedeutenden Kirche des Bistums Mainz, bekleiden. Kardinal Karl Lehmann feierte als damaliger Bischof von Mainz immer wieder Gottesdienste in der Basilika, wodurch wir uns kennen lernten. 

Ein Juwel: Die Basilika in Seligenstadt.
Ein Juwel: Die Basilika in Seligenstadt.

Lehmann schlug mir denn auch vor, Theologie in Mainz zu studieren und das Amt in Seligenstadt beizubehalten. Er hatte aber auch Verständnis, dass es mich in Richtung Heimat zog, wünschte mit «Gottes Segen in St. Luzi» und gab mir in der Sakristei der Basilika noch den Segen. 

Abgelehnte Priesteramtskandidaten im «Lamentarium»

Nun folgte ein entscheidender Kulissenwechsel: weiter ging es im «Lauretanum» in Zizers, von meinem späteren geistlichen Begleiter, Pfarrer von Heiligkreuz SG und Spiritual am Salesianum in Freiburg i.Ü., Stephan Hässig (gestorben 2018), immer als «Lamentarium» bezeichnet.

Kardinal Karl Lehmann
Kardinal Karl Lehmann

Das «Lauretanum» war eine Institution von Bischof Wolfgang Haas, welches als Vorbereitung für das Priesterseminar dienen sollte. Tatsächlich diente es auch dazu, Kandidaten ohne Matura in verschiedensten Fächern zu unterrichten. Auffallend war, dass sich dort auch bereits zum Beispiel in Köln oder Salzburg abgewiesene Kandidaten wiederfanden. Diese fragwürdige Methode der Rekrutierung von Priesteramtskandidaten sollte sich dann unter Bischof Vitus Huonder wiederholen. 

Hilfe von Bühlmann, Sohmer und Sayer

Nach wenigen Tagen war für mich klar, dass ich dieses beschauliche Weindorf der Bündner Herrschaft verlassen musste. Zumal mir von einem Verantwortlichen nahegelegt wurde, ich müsse mich entscheiden, «zwischen Jesus Christus und Kirchenmusik» (kein Witz!).

Wolfgang Haas, Erzbischof von Vaduz
Wolfgang Haas, Erzbischof von Vaduz

Ich telefonierte deshalb mit drei Regenten: Walter Bühlmann (Luzern), Bernhard Sohmer (St. Gallen) und schliesslich mit Josef Sayer (Salesianum Freiburg i.Ü.). Innert weniger Tage bekam ich bei allen Dreien einen Termin. 

Ich sollte nie wieder «einen Fuss auf den Boden des Bistums Chur» bekommen

Den ersten bei Josef Sayer, der mich sofort aufnahm und mir riet, am anderen Morgen nach Zizers zu fahren, die Koffer zu packen und nach Freiburg zu kommen. Alles Weitere würde er regeln. Hat er auch! 

Josef Sayer war früher Professor in Freiburg. Anschliessend leitete er das Hilfswerk "Misereor", das Pendant zur Fastenaktion.
Josef Sayer war früher Professor in Freiburg. Anschliessend leitete er das Hilfswerk "Misereor", das Pendant zur Fastenaktion.

Beim Abschied in Zizers wurde mir noch versprochen, dass ich nie wieder «einen Fuss auf den Boden des Bistums Chur bekommen werde». Angekommen in Freiburg konnte ich sofort an der Universität weiterstudieren. Josef Sayer persönlich ging zuvor mit mir ins Studiendekanat. Allerdings hatte ich kein Bistum mehr. 

Käsefondue mit Bischof Ivo Fürer

Am 6. Dezember (Patrozinium) zelebrierte prinzipiell ein Ordinarius den Festgottesdienst im Salesianum. Ivo Fürer war an der Reihe und ich an der Orgel. Regens Josef Sayer setzte mich beim Abendessen gezielt neben den Bischof, den er vorab bereits informiert hatte. 

Amédée Grab (r.) am 80. Geburtstag von Ivo Fürer, 2010
Amédée Grab (r.) am 80. Geburtstag von Ivo Fürer, 2010

Es gab – für mich ungewohnt – Käsefondue. Aber Bischof Ivo unterwies mich nach bester Manier, auch und besonders wie und in welcher Kadenz der Kirsch zum Zuge zu kommen hatte. Er hat meinen Erzählungen sehr interessiert und nachdenklich zugehört, manchmal auch nachgefragt. Dann meinte er plötzlich: «Ist ja ein Wunder, dass du nach dieser Erfahrung nicht aufgegeben hast. Du hättest ja in der Musik alle Möglichkeiten. Du bist im Bistum St. Gallen aufgenommen, geh gleich nächste Woche zum Regens!» 

Zurück nach Chur zum Wiederaufbau

Den Menschen Ivo Fürer habe ich als zuhörenden und umsichtigen Menschen in Erinnerung mit einer sehr guten Menschenkenntnis und vor allem mit einem gesunden Hausverstand. Er hat mir in einer äusserst schwierigen Lebenssituation massgebend weitergeholfen. Damit reihte er sich damals ein in eine Spezies Bischöfe, die höchst selten waren. Im deutschen Sprachraum kommt mir zum Beispiel noch Reinhold Stecher in den Sinn, der damalige Bischof von Innsbruck.

Amedée Grab (links) und Vitus Huonder im Rittersaal des bischöflichen Schlosses in Chur.
Amedée Grab (links) und Vitus Huonder im Rittersaal des bischöflichen Schlosses in Chur.

Im Jahre 1998 änderten sich im Bistum Chur die Gegebenheiten grundsätzlich. Und es war wiederum Ivo Fürer, der mir signalisierte: «Geh bitte wieder zurück, sie brauchen jetzt gute Leute zum Aufbau!» Besser könnte sich menschliche Grösse nicht zeigen. Vergelt’s Gott, Bischof Ivo!

* Mario Pinggera ist Pfarrer von Richterswil und Dozent für Kirchenmusik an der Theologischen Hochschule Chur.


Kirchenmusiker und Pfarrer Mario Pinggera an der Orgel in der katholischen Kirche in Richterswil. | © Ueli Abt
29. Juli 2022 | 07:54
Lesezeit: ca. 3 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!