Marianne Binder
Schweiz

Marianne Binder zu Nazi-Symbolik: Es besteht Handlungsbedarf für ein Verbot

Künftig soll es in der Schweiz strafbar sein, sich in der Öffentlichkeit mit einem Hakenkreuz zu zeigen oder den Hitlergruss zu machen. Das fordert die Aargauer Mitte-Nationalrätin Marianne Binder in einer Motion. Der Bundesrat lehnte ab, der Nationalrat stimmte zu – nun liegt die endgültige Entscheidung beim Parlament.

Sarah Stutte

Der Weg des Verbots für Nazi-Symbolik ist ein langer und wird schon seit mehreren Jahrzehnten gefochten. Doch immer scheiterte der Versuch, im öffentlichen Raum rassistische Symbolik dieser und anderer Art in der Schweiz zu verbieten, an einer politischen Mehrheit.

Wie verbreitet war die Nazi-Ideologie in der Schweiz?
Wie verbreitet war die Nazi-Ideologie in der Schweiz?

«Ein Grund für die Ablehnung in den vergangenen Jahren lag darin, dass man unter diesem Gesetz zu viel subsumieren wollte», sagt die Aargauer Mitte-Nationalrätin Marianne Binder. Sie fügt hinzu: «Einzugrenzen, was alles unter rassistische Symbolik fällt, ist relativ schwierig. Deshalb war es mein Vorschlag und mein Anliegen, das Verbot nur auf nationalsozialistische Propaganda-Symbolik im realen und digitalen Raum auszurichten.»

Strafbar wären auch «Corona»-Judensterne

Aus diesem Grund reichte sie vor zwei Jahren eine Motion beim Bundesrat ein. Diese fordert ein Verbot, dass in der Öffentlichkeit nationalsozialistische Gesten, Parolen, Grussformen, Zeichen und Fahnen gezeigt werden dürfen.

Aber auch für Schriften, Ton- oder Bildaufnahmen und Abbildungen, die solche Kennzeichen darstellen oder enthalten. Strafbar wären somit auch umfunktionierte Judensterne mit dem Aufdruck «Geimpft». Solche trugen während der Corona-Pandemie einige Massnahmengegner und -gegnerinnen auf Demonstrationen.  

"Ich bin nicht geimpft", heisst es auf dem Judenstern dieses Facebook-Users.
"Ich bin nicht geimpft", heisst es auf dem Judenstern dieses Facebook-Users.

Doch der Bundesrat lehnte im Februar 2022 ein solches Verbot ab. Dies unter anderem mit der Begründung, dass die bisherige Gesetzgebung ausreiche, welche die «öffentliche Verbreitung von Ideologien verbiete, die auf die systematische Herabsetzung oder Verleumdung von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung gerichtet sind».

Ferner stützte sich der Bundesrat in seiner Ablehnung auf die Meinungsäusserungsfreiheit. Diese gelte zwar nicht absolut, es sei «gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung aber hinzunehmen, dass auch stossende Ansichten vertreten werden, selbst wenn sie für die Mehrheit unhaltbar sind».

Hitlerfahne aufstellen: Meinungsfreiheit?

Letzterem Argument widerspricht Marianne Binder vehement: «Am 1. August auf dem Rütli eine Hitlerfahne aufzustellen, hat nichts mit Meinungsfreiheit zu tun. Das ist eine krasse Fehlbeurteilung.»

Wenn der Bund bereit sei, eine nationale Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus in Bern zu realisieren, sei es evident, die Erinnerungskultur auch durch ein solches Verbot zu stützen, so Binder.

Felix Wettstein
Felix Wettstein

Anfang Mai wurde die Motion dann aber gegen den Willen des Bundesrates im Nationalrat überraschend deutlich mit 141 zu 42 Stimmen bei 4 Enthaltungen angenommen. Stimmt nachfolgend auch der Ständerat zu, muss der Bundesrat das Nazi-Symbolik-Verbot umsetzen.

Der Solothurner Grünen-Politiker Felix Wettstein war einer der Nationalräte, der im Mai für das Verbot stimmte. Er fand die Ablehnungsbegründung des Bundesrats, die noch weitere Argumente beinhaltete, zu «wacklig».

Historische Aufarbeitung wichtig

Zum einen befürchtet der Bundesrat, dass die fraglichen Symbole bei einem Verbot auch nicht mehr bei der historisch-edukativen Aufarbeitung des Nationalsozialismus, beispielsweise in Ausstellungen zum Thema, verwendet werden dürften. Wettstein teilt diese Befürchtung nicht.

Andererseits zeigte sich der Bundesrat davon überzeugt, dass «gegen die Verwendung von nationalsozialistischen Symbolen ohne Propagandazwecke Prävention besser geeignet sei als strafrechtliche Repression». So steht es in der bundesrätlichen Antwort.

Propaganda ist keine Aufklärung

«Natürlich ist die Prävention wichtig. Ich bin für eine historische Aufarbeitung im Rahmen von Ausstellungen und Veranstaltungen, um gegen das Vergessen zu wirken. Hierbei steht aber der aufklärerische Aspekt im Vordergrund», so Felix Wettstein.

Er führt weiter aus: «Mit der Motion wird jedoch klar die öffentliche Zurschaustellung dieser Symbolik zu propagandistischen Zwecken angesprochen. Das ist der Unterschied», erklärt der Grünen-Politiker, der früher in der Jubla war.

Katholische Jugendarbeit prägend

Auf die Frage, inwiefern sein katholischer Hintergrund einen Einfluss auf diese Abstimmung hatte, die sich nicht zuletzt auch gegen jegliche Form von Antisemitismus ausspricht, meint er: «Ich habe nicht den Eindruck, dass sich die breite Zustimmung entlang konfessioneller Zugehörigkeiten manifestiert.»

Er räumt aber ein, eher sensibilisiert zu sein auf Themen, die Hass gegen Religionen auf rechtlicher Ebene zu unterbinden versuchen. «In dieser Hinsicht hat mich die Jugendarbeit im Rahmen der katholischen Kirche sehr geprägt», sagt er.

Peter Schilliger
Peter Schilliger

Keine Zustimmung fand Marianne Binders Motion dagegen bei FDP-Nationalrat Peter Schilliger. Der Luzerner Politiker ist der Meinung, dass hier kein nachgewiesener Handlungsbedarf bestehe, der ein solches Gesetz rechtfertige.

«Bevor Revisionen verlangt werden, müssen konkrete Fälle bekannt sein, welche strafrechtlichen Charakter haben. Diese wurden in der Diskussion im Nationalrat nicht aufgezeigt», so Schilliger. Weiter erklärt er: «Ich bin für so wenig Regulierungen wie möglich. Nur weil es populistisch gut klingt, reicht das noch nicht aus».

GRA lancierte Petition

Er ist der Meinung, dass die heutige Gesetzesgrundlage mit dem Diskriminierungs-Artikel im Strafgesetzbuch rassistisch-propagandistische Äusserungen im öffentlichen Raum, ob schriftlich, verbal oder anderweitig, inkludiert. So, wie dies der Bundesrat auch bestätigt hat. Ferner findet Schilliger, dass «die Aufklärung der jüngeren Generationen unbedingt wichtig ist und mit der Gesetzeslage nichts zu tun hat».

Marianne Binder sieht den Handlungsbedarf sehr wohl gegeben. Sie sagt, ihre Motion stütze sich auf verschiedene Berichte, unter anderem der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) und des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG). Das GRA lancierte gar eine Petition für ein solches Verbot.

Protest gegen Antisemitismus in Frankfurt.
Protest gegen Antisemitismus in Frankfurt.

«Liest man diese, kann der aufkommende Antisemitismus nicht mehr schöngeredet werden. Er spiegelt sich in den zunehmenden Überfällen auf jüdische Menschen und Einrichtungen in der Schweiz wider», so die Mitte-Nationalrätin.

Dieser ziehe sich quer durch alle politischen Einstellungen in der Gesellschaft. «Deshalb hat ein solches Verbot eine wichtige Signalwirkung. Es ist immens wichtig, gegen diese Geschichtslosigkeit und Relativierungen ein Zeichen zu setzen und uns zu erinnern, dass der Holocaust ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit war und dass der Antisemitismus anhält. Es geht schliesslich auch um die heute lebenden jüdischen Mitmenschen in der Schweiz», hält Marianne Binder fest.

Holocaust-Denkmal in Berlin
Holocaust-Denkmal in Berlin

Zumal in unseren direkten Nachbarländern – Deutschland und Österreich – schon lange ein solches Verbot gegen Nazi-Symbolik bestehe, sagt Binder. Das bestätigt auch der österreichische Regisseur Thomas Roth.

Er stellte am jüdischen Filmfestival Yesh! in Zürich kürzlich seinen neuen Film «Schächten» vor. Zu kath.ch sagte er: «Bei uns darf man nicht mit Nazi-Symbolen durch die Gegend rennen. So ein Verbot macht Sinn und gehört überall umgesetzt.»

Hitlergruss auf offener Strasse

Marianne Binder ist derweil in der Schweiz mit ihrem Vorstoss nicht allein. Weitere Anträge zu dieser Thematik sind hängig, unter anderem von der Aargauer SP-Nationalrätin Gabriela Suter. Dafür wurde sie auf der Strasse offensiv angegangen – ein Mann zeigte ihr am belebten Bahnhof Olten den Hitlergruss.

Binder meint darauf: «Das weist den Handlungsbedarf ja aus». Solche Reaktionen habe sie indes nicht bekommen, dafür aber beleidigende Mails. Das sei ihr «aber egal». Hauptsache, der Ständerat stimme ebenfalls für ein Verbot.

Wann mit einem definitiven Entscheid zu rechnen sei? «Ich glaube, früher als gewöhnlich. Normalerweise entscheidet erst der Nationalrat, dann folgt der Bericht des Bundesrats und daraufhin wird die Vorlage im Zweitrat behandelt. Die Motion ist nun den umgekehrten Weg gegangen», so Marianne Binder.


Marianne Binder | © Beautyshooting GmbH resp. © Beautyshooting GmbH
22. Juni 2023 | 16:30
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