Beryl und Jeannine in Einsiedeln finden, dass Maria eine starke Frau ist.
Schweiz

«Maria war eine schöne, junge Frau, nicht verheiratet und hat ein Kind bekommen – das war ziemlich mutig»

Der Monat Mai hat begonnen. Das heisst, die Pilgersaison ist in Einsiedeln eingeläutet worden. Hunderttausende kommen pro Jahr zur Gnadenkapelle, um vor der Schwarzen Madonna niederzuknien und zu beten. Was verehren sie so an Maria? Die Antworten einiger Pilgerinnen überraschen und berühren. Gleichzeitig betont Pater Philipp Steiner vom Kloster Einsiedeln: «Die Kirche ist marianisch – oder sie ist nicht Kirche.»

Wolfgang Holz

«Ich bete nicht Maria an, ich bete zu ihr», betont Margrit von Rotz, die gerade die Stiftskirche verlässt und ihre Sonnenbrille aufsetzt, um sich nicht von der frühsommerlichen Sonne blenden zu lassen. Vor dem Kloster ist es besonders warm, weil die helle Sandsteinfassade des Klosters die Sonnenstrahlen wie eine riesige Heizdecke reflektiert.

Grosse Helferin

«Maria ist eine grosse Helferin, die Wunderbares geleistet hat», sagt die 78-jährige Obwaldnerin. Sie habe ihren Sohn Jesu, den Gottessohn, das ganze Leben begleitet und mitgelitten.

Margrit von Rotz (78) findet, dass Maria eine wunderbare Frau ist.
Margrit von Rotz (78) findet, dass Maria eine wunderbare Frau ist.

«Maria ist vor allem eine Frau des Ja», schwärmt die sympathische Seniorin. «Sie hat sogar Ja zur Kreuzigung ihres Sohnes gesagt. Sie ist eine wunderbare Frau.» Nicht zuletzt auch, weil sie Josef bei der Stange habe halten können, obwohl sie vom Heiligen Geist geschwängert worden sei.

Und was meint sie dazu, dass es heutzutage Stimmen gebe, die besagen beziehungsweise fordern würden, dass Gott eine Frau sei: «Solche Diskussionen dürfen wir Menschen gar nicht führen», ist von Rotz überzeugt. Weil es sich um «höhere Dinge» handle. «Man darf auch Maria nicht mit heutigen Frauen vergleichen – das ist gemein. Das muss man trennen, weil die Menschen damals anders gelebt haben.»

«Sie war eine starke Frau, weil sie ja gesagt hat zu Gottes Plan».

Beryl und Jeannine

Dass durchaus auch Jugendliche Maria grosse Beachtung schenken, verrät das Gespräch mit jungen Frauen und Mädchen, die gerade zusammen eine Art Schnitzeljagd durchs Kloster machen. Sie verbringen ihre Ferien in einem christlichen Lager in Einsiedeln. Gerade strömen sie aus der Kirche.

Pilger und Pilgerinnen beten vor der Schwarzen Madonna in der Gnadenkapelle.
Pilger und Pilgerinnen beten vor der Schwarzen Madonna in der Gnadenkapelle.

«Maria war eine schöne, junge Frau, sie war nicht verheiratet und hat ein Kind bekommen – das war ziemlich mutig», finden Beryl und Jeannine. Sie sei ein Mensch gewesen wie sie selbst heutzutage, doch habe sie anders als sie heute einen wichtigen Auftrag gehabt.

«Maria ist meine geistliche Mutter»

«Sie war eine starke Frau, weil sie ja gesagt hat zu Gottes Plan – nämlich Jesus auf die Welt zu bringen», sagt Beryl, die aus einem religiösen Elternhaus stammt. Ihr Vater und ihre Mutter sind reformierte Pfarrer und Pfarrerin. Beeindruckende Aussagen. Zweifellos.

Schwester Maria: Sie gehört seit 30 Jahren den Dominikanerinnen an.
Schwester Maria: Sie gehört seit 30 Jahren den Dominikanerinnen an.

Für Schwester Maria ist Maria nicht nur eine Heilige. «Sie ist meine geistliche Mutter», sagt die Dominikanerin und strahlt. Sie ist gerade in den Ferien und steht vor der Stiftskirche, die frühsommerliche Wärme geniessend.

Seit 30 Jahren gehört sie dem Orden an – neun Jahre lang weilte sie im Kloster Cazis in Graubünden, seit 21 Jahren lebt die heute 51-Jährige im Kloster St. Peter im vorarlbergischen Bludenz. Wenn man ihr zuhört, spürt man wie beseelt und erfüllt Schwester Maria von ihrer heiligen Namensvetterin ist.

Unterm Kreuz Jesu gestanden

«Durch das Vermächtnis von Jesus wurde uns allen Maria als Mutter geschenkt. Und durch Maria und Jesus ist es mir möglich, alle Menschen zu lieben», erklärt Schwester Maria. Maria selbst sei eine «starke und sanftmütige Frau», ist sie begeistert.

Maria hilft: Ex-Voto-Tafeln von Menschen, deren Gebete die Einsiedler Maria erhört hat.
Maria hilft: Ex-Voto-Tafeln von Menschen, deren Gebete die Einsiedler Maria erhört hat.

Sie habe das Leben Jesu mitgetragen und sei unter dem Kreuz ihres Sohnes gestanden. «Maria weiss, wer sie ist, weil sie alles von Gott erhalten hat», so die Dominikanerin. Deshalb könne Maria mit Demut und Grösse gleichermassen souverän umgehen.

«Ein bisschen Klimbim»

Es gibt aber auch kritische Stimmen vor der Klosterkirche. «Für mich bedeutet Maria als Heilige nicht so viel, dieser Marienkult ist für mich ein bisschen Klimbim», meint Ruth Besmer aus Oberägeri. «Denn dann könnte ich auch meine Mutter als heilig einstufen.» Sie findet das Kloster Einsiedeln mit der Schwarzen Madonna «schön zum Anschauen». Genauso wie Rom. Aber sie habe Probleme mit dem Katholischen. Und dem vielen Geld und dem Reichtum, mit dem beispielsweise solche Klöster erbaut worden seien.

Die Stiftskirche des Klosters Einsiedeln
Die Stiftskirche des Klosters Einsiedeln

«Ich bin aus der Kirche ausgetreten und spende jedes Jahr den Betrag, den ich früher als Kirchensteuer bezahlt habe, an Menschen, die in Afrika Gutes tun», bekennt Ruth Besmer. Sie sei selbst schon mal in den Senegal gereist, um zu schauen, wie die Menschen dort leben. «Das war für mich erst einmal ein Kulturschock.»

«Jesus war ein richtiger Rebell»

Ruth Besmer würde sich aber als religiös bezeichnen. Vor allem ist sie ein grosser Fan von Jesus Christus. «Das war ein richtiger Rebell, der zu seiner Meinung bis zuletzt gestanden und die Obrigkeiten kritisiert hat.»

«Die Kirche ist marianisch – oder sie ist nicht Kirche»

Pater Philipp, was sind die besonderen Eigenschaften der Heiligen Maria, der Gottesmutter von Jesu?

Pater Philipp Steiner: Verfügbarkeit, Demut und mütterliche Liebe.

Ist Maria eigentlich auch eine Feministin? Oder: Warum ist Maria keine Feministin? Oder: Spielt das überhaupt eine Rolle?

Pater Philipp: Ich bin froh um die letzte Formulierung. Ich selbst könnte es nicht besser ausdrücken als Hans Rossi von dem die folgenden bedenkenswerten Worte stammen: «Die Kirche ist marianisch – oder sie ist nicht Kirche. Das heisst: Die Kirche verwirklicht all das, was wir von Maria kennen – oder sie ist nicht Kirche. Sie kann nicht Kirche sein in maskulinem Aktivismus, in Management, das alles in den Griff kriegt, in intellektuellem Formalismus und seelenloser Routine, in steriler Sorge um Strukturen, in der Sucht nach Selbstdarstellung und Erfolg. Es gibt keinen stärkeren Imperativ zur immerwährenden Erneuerung der Kirche als Maria, die Mutter der Kirche».

Pater Philipp Steiner
Pater Philipp Steiner

Warum übt die Schwarze Madonna so eine grosse Anziehungskraft auf Pilger aus?

Pater Philipp Steiner: Die Schwarze Madonna ist ein spirituelles Phänomen, das uns mit anderen Marienwallfahrtsorten verbindet. Es ist die Faszination des Besonderen, des Aussergewöhnlichen, des Mysteriösen. Aber für den gläubigen Menschen spielt die Farbe im Gesicht von Maria und Jesus keine grosse Rolle. Maria ist die Mutter Jesu und sie ist unsere Mutter – egal ob mit schwarzem oder weissem Antlitz. Auf jeden Fall sind Schwarze Madonnen ein positives «Blackfacing», weil sich darin die Liebe und Verehrung von Generationen von Menschen ausdrücken, welche durch ihre Kerzen und Öllichter das Antlitz der Madonna haben dunkel werden lassen. Auch Menschen mit Migrationshintergrund fühlen sich bei der Muttergottes von Einsiedeln ausgesprochen wohl und willkommen. Das ist Grund zur Dankbarkeit und Freude.

Erhört die Schwarze Madonna – gemäss Votiv-Tafeln – denn viele Gebete und Bitten, soweit dies bekannt ist?

Pater Philipp: Die Votivtafeln sind ein Ausdruck der Volksfrömmigkeit, die heute so nicht mehr gepflegt wird. Aus diesem Grund haben wir aktuell keine zeitgenössischen Votivtafeln. Aber das ausgelegte Buch mit den Bitten und dem Dank der Gläubigen muss mindestens einmal im Monat ausgewechselt werden, weil es vollgeschrieben wurde. Auch die zahlreichen, von den Gläubigen hingestellten Blumen bei der Gnadenkapelle sind Zeichen dafür, dass die Gottesmutter Maria die Bitten der Menschen auch heute vor Gott trägt und diese erhört werden.

Wie viele Wallfahrerinnen und Wallfahrer hat es letztes Jahr gegeben?

Pater Philipp: Die Frage nach den Zahlen ist bei uns in Einsiedeln immer so eine Sache. Wir haben noch kein Personenzählsystem. Indizien sind die angezündeten Opferkerzen sowie die gespendeten Kommunionen. Letztes Jahr wurden 107’500 Kommunionen ausgeteilt, doch besucht nur ein Teil der Gläubigen eine Eucharistiefeier. Hinzu kommen die touristisch motivierten Besucherinnen und Besucher. Es sind folglich mehrere hunderttausend Besucherinnen und Besucher jedes Jahr, ein grosser Anteil davon sind aus religiösen Gründen hier, also Wallfahrerinnen und Pilger.

Woher kommen die am weitesten entfernten Pilger, soweit dies bekannt ist?

Pater Philipp: Wir haben immer wieder Pilgergruppen aus den Philippinen, welche Einsiedeln im Rahmen einer spirituellen Europareise besuchen. Da sind wir ein Wallfahrtsort unter mehreren. Letztes Jahr hatten wir auch rund 80 Pilgergruppen aus den Vereinigten Staaten, die wegen der Passionsspiele in Oberammergau nach Europa gekommen sind und auch unseren Wallfahrtsort besuchen wollten. (woz)


Beryl und Jeannine in Einsiedeln finden, dass Maria eine starke Frau ist. | © Wolfgang Holz
5. Mai 2023 | 10:45
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