Der Psychiater Manfred Lütz
Schweiz

Manfred Lütz: «Ich bin niemals Mitglied des Opus Dei gewesen»

Der Psychiater Manfred Lütz antwortet auf einen NZZ-Gastbeitrag von Alois Riklin. Riklin hatte Benedikt XVI. wegen der Missbrauchskrise kritisiert. Manfred Lütz verteidigt den emeritierten Papst.

Manfred Lütz*

Der Artikel von Herrn Riklin ist eine Aneinanderreihung von absurden Unterstellungen und setzt auf die Unkenntnis der Leserinnen und Leser. So bezeichnet er mich im ursprünglichen Artikel als «Mitglied des Opus Dei». Das trifft nicht zu. Ich bin niemals Mitglied des Opus Dei gewesen. Dem Unkundigen wird das wie eine Lappalie erscheinen, in Wahrheit ist so etwas – zumindest in Deutschland – eine übliche Art, Katholiken zu diskreditieren.

«Ratzinger hat grosse Verdienste im Kampf gegen Missbrauch»

Ähnlich denunziatorisch geht Herr Riklin in seinem Artikel auch mit Ratzinger um. Niemand bestreitet ernsthaft, dass Ratzinger grosse Verdienste im Kampf gegen Missbrauch hat und ich habe sozusagen live erlebt, wie entschieden er trotz erheblicher Widerstände gegen Missbrauchspriester durchgegriffen hat.

Ein wichtiger Schritt war dabei, die Fälle an die Glaubenskongregation zu ziehen, da die anderen vatikanischen Behörden die Fälle offensichtlich verschleppten. Die obligatorische Meldung nach Rom war vor allem deswegen wichtig, weil in vielen Ländern der Erde das Thema noch unter dem Teppich gehalten wurde. Die Weltpresse hat diesen Schritt damals einhellig begrüsst.

«Auch in Nordkorea, auch in China, auch in Afghanistan?»

Die Kritikpunkte, die Herr Riklin dennoch anbringt, wirken herbeigeholt und daher eher skurril: Die Instruktion erwähne nicht die Opfer – aber es geht hier um effektive Prozeduren, die die Täter unschädlich machen sollen, nicht um eine Ausarbeitung zum Gesamtproblem.

Völlig abwegig ist die Vorstellung, eine römische Instruktion müsste alle Bischöfe verbindlich verpflichten, die zuständigen staatlichen Instanzen einzuschalten. Auch in Nordkorea, auch in China, auch in Afghanistan?

Bei Verdachtsfällen vertraulich vorgehen

Selbstverständlich müssen in unseren rechtsstaatlich unbedenklichen demokratischen Ländern alle Fälle unmittelbar den staatlichen Behörden gemeldet werden. Das ist früher nicht geschehen und das war inakzeptabel. Jetzt aber ist das bei uns überall Standard.

Der Vorwurf von Herrn Riklin wäre nur dann substanziell, wenn er nachweisen könnte, dass nach der Instruktion die Meldungen an staatliche Behörden weniger gewissenhaft erfolgt wären. Das Gegenteil ist aber der Fall. Dass zunächst bei Verdachtsfällen vertraulich vorgegangen wird, ist im Übrigen auch in staatlichen Verfahren üblich.

Ratzinger konnte «nicht alles gleichzeitig machen»

Dass Ratzinger damals nicht alles gleichzeitig machen konnte, wird ein gutwilliger Beobachter wohl zugestehen, aber 2010 hat Ratzinger selber als Papst die Verjährungsfrist auf 20 Jahre verdoppelt und im Gegensatz zum staatlichen Recht sogar die völlige Aufhebung der Verjährung ermöglicht. Und Papst Franziskus hat in diesen Fällen jetzt auch das so genannte «päpstliche Geheimnis» aufgehoben, das nicht für die Akutfälle, aber für die Aufarbeitung der Altfälle hinderlich war.

Und dann meint Herr Riklin noch, etwas ganz Tolles herausgefunden zu haben: Der Bischofseid verpflichte katholische Bischöfe, notfalls auch gegen ihr Gewissen zu handeln. Dass das absoluter Unsinn ist, lernt man schon im ersten Semester Theologie. Thomas von Aquin, der grosse Kirchenlehrer, verpflichtet jeden Christen dazu, sogar dem irrenden Gewissen gemäss zu handeln.

Das «Heiligtum des Gewissens»

Papst Johannes Paul II. sprach immer vom «Heiligtum des Gewissens» und ausgerechnet Papst Benedikt XVI. hat den grossen Vorkämpfer der Gewissensfreiheit, John Henry Newman, seliggesprochen: einen Konvertiten, der gerne zitiert wird mit dem Bonmot, wenn er einen Trinkspruch auszubringen hätte, dann erst auf das Gewissen, dann erst auf den Papst.

Der junge Joseph Ratzinger hat es als befreiend erlebt, dass bei Newman «das Wir der Kirche nicht auf dem Auslöschen des Gewissens beruhte, sondern genau umgekehrt sich nur vom Gewissen her entwickeln kann». 

Herr Riklin schiesst offensichtlich gerne scharf auf Leute, die ihm nicht passen. In diesem Fall aber ausnahmslos mit Platzpatronen.

* Manfred Lütz ist Psychiater, katholischer Theologe und Bestsellerautor. 2003 hat er im Vatikan einen Kongress zum Thema «Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch katholische Priester und Ordensleute» organisiert.


Der Psychiater Manfred Lütz | © KNA
13. Februar 2022 | 11:26
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