Plakat von Corita Kent
International

«Liebe ist harte Arbeit»: Pop-Art-Nonne auf der Biennale in Venedig

Nonnen können sehr kreativ sein. Das beweist Corita Kent auf der jüngst eröffneten Biennale in Venedig. Die frühere amerikanische Ordensfrau ist eine von neun Künstlerinnen und Künstlern, deren Werke auf der internationalen Kunstschau im Vatikan-Pavillon ausgestellt sind. Das Projekt unter dem Titel «Mit meinen Augen» findet im Frauengefängnis Giudecca statt.

Wolfgang Holz

Auf der diesjährigen Biennale in Venedig sind im Vatikan-Pavillon Arbeiten von Bintou Dembélé, Simone Fattal, Claire Fontaine, Sonia Gomes, Corita Kent, Marco Perego & Zoe Saldana und Claire Tabouret zu sehen. Aber auch Werke von Maurizio Cattelan, jenem italienischen Skandalkünstler, der vor über 20 Jahren bei der Biennale ein lebensgrosses Harzmodell von Papst Johannes Paul II. präsentierte, der von einem Meteoriten getroffen wurde.

Medienschaffende betrachten eine Installation der Künstlerin Corita Kent, die im Giudecca-Frauengefängnis des Vatikan-Pavillons bei der Biennale gezeigt wird.
Medienschaffende betrachten eine Installation der Künstlerin Corita Kent, die im Giudecca-Frauengefängnis des Vatikan-Pavillons bei der Biennale gezeigt wird.

Interessant sind dabei nicht zuletzt die im Café des Giudecca-Frauengefängnisses ausgestellten plakativen und appellativen Werke der früheren Nonne Corita Kent. Die 1986 im Alter von 67 Jahren verstorbene amerikanische Künstlerin machte sich einen Namen als Künstlerin, Lehrerin, Philosophin und politische Aktivistin.

Campbell-Suppendosen von Andy Warhol als Inspiration

Sie zählt zu den innovativsten und ungewöhnlichsten Pop-Art-Künstlerinnen der 1960er-Jahre. Die Pop-Art, zu der Legenden wie Andy Warhol zählte, ikonisierte und ironisierte die Konsumwelt, die Alltagswelt der Menschen.

"Sister Corita" vor ihren Werken
"Sister Corita" vor ihren Werken

Als Corita Kent die berühmten Campbell-Suppendosen von Andy Warhol offenbar zum ersten Mal sieht, ist das für sie wie eine Epiphanie, wie Kunsthistorikerin Daniela Feichtinger über die fast vergessene Nonne und Künstlerin schreibt.

Aufgewachsen in Iowa und Kalifornien als Tochter einer irisch-katholischen Arbeiterfamilie, geht der Ordenseintritt für die erst Achtzehnjährige damals mit einem Namenswechsel einher: Aus Frances Elizabeth Kent wird Schwester Mary Corita. Auch zwei ihrer Geschwister fühlen sich zu einem geistlichen Leben berufen. Ihr Bruder wird Priester, ihre ältere Schwester ist bereits einige Jahre zuvor in dieselbe Gemeinschaft eingetreten.

Sie leitete die Kunstabteilung

Sie lebte, studierte und lehrte von 1936 bis 1968 im Orden Sisters, Servants of the Immaculate Heart of Mary in Los Angeles und leitete von 1964 bis 1968 die Kunstabteilung des dortigen Colleges.

Blick auf die Wandmalerei "Father" vom Künstler Maurizio Cattelan, eine Präsentation des Vatikan-Pavillons auf der Biennale an der Hauptfassade des Frauengefängnisses Giudecca in Venedig (Italien) am 17. April 2024.
Blick auf die Wandmalerei "Father" vom Künstler Maurizio Cattelan, eine Präsentation des Vatikan-Pavillons auf der Biennale an der Hauptfassade des Frauengefängnisses Giudecca in Venedig (Italien) am 17. April 2024.

In Kents Werk sind Einflüsse von Matisse, des abstrakten Expressionismus, der Grafiken von Saul Bass, des Modernismus von Charles und Ray Eames sowie, wie gesagt, von Andy Warhols Campbell’s-Suppendosen zu erkennen. Ihr Kunstunterricht am College wurde zu einem Mekka der Avantgarde mit bedeutenden Besuchern wie Alfred Hitchcock und John Cage.

«Aufbruch der Nonne in die Moderne»

1967 wurde sie von dem Magazin «Harper’s Bazaar» in die Liste der «100 American Women of Accomplishment» aufgenommen. Sogar auf der Titelseite des Newsweek-Magazins vom 25. Dezember 1967 erschien sie unter dem Titel «The Nun: Going Modern» (zu deutsch: «Die Nonne: Aufbruch in die Moderne»).  

Bild-Protest gegen den Vietnamkrieg
Bild-Protest gegen den Vietnamkrieg

Ihre Drucke ähneln zunehmend Plakaten: Die gegenständlichen Elemente treten hinter grelle Farben und einnehmende Schriftzüge zurück und verschwinden schliesslich ganz. Die religiösen Themen, mit denen sie sich zeitlebens beschäftigt hat, bringt sie ganz selbstverständlich mit Snoopy-Zitaten, Slogans für Brot oder Beatles-Songs in Verbindung, wie Daniela Feichtinger schreibt.

«Vielleicht kann man die Psalmen nicht verstehen, ohne die Zeitung zu verstehen, und umgekehrt.»

Corita Kent

Corita Kent engagiert sich ab den 60er-Jahren auch politisch und greift Themen wie den Vietnamkrieg auf. Über das Verhältnis des Religiösen zum Profanen sagte sie einmal: «Vielleicht kann man die Psalmen nicht verstehen, ohne die Zeitung zu verstehen, und umgekehrt. Vielleicht klingt es deshalb so gut, wenn man eine Zeile aus der Zeitung nach jeder Zeile eines Psalms einfügt und vorliest.»

Corita Kent 1970
Corita Kent 1970

«Die saftigste Tomate»

Als sie der konventionellen Marienikonografie ein Update verpasst und die Gottesmutter 1964 frech als «die saftigste Tomate» bezeichnet, verhängte der Kardinal daraufhin ein Ausstellungsverbot. Im selben Jahr gestaltet Corita Kent allerdings auch eine Wand des Vatikan-Pavillons bei der Weltausstellung in New York. 1968 schliesslich, nach Jahren der Schlaflosigkeit und des internen Dissens mit ihren kirchlichen Vorgesetzten, verlässt sie den Orden und zieht nach Boston.

Der Entwurf von Corita Kent zur US-"Love"-Briefmarke
Der Entwurf von Corita Kent zur US-"Love"-Briefmarke

Neben ihren berühmten Siebdrucken hinterlässt Corita Kent noch weitere künstlerische Spuren in der Welt. 1971 kreierte sie mit dem «Rainbow Swash», einem 46 Meter hohen Gastank, das grösste Copyright-geschützte Kunstwerk der Welt. An ihrer Krebserkrankung, die sie zwölf Jahre lang in verschiedenen Formen begleitet, stirbt sie 1986 im Alter von 67 Jahren.

700 Millionen mal verkauft: «Love»-Briefmarke

Ein Jahr vor ihrem Lebensende designt sie noch die «Love»-Briefmarke für die US-amerikanische Post, die über 700-Millionen-mal verkauft wird. Auf einem der regenbogenartigen Entwürfe für die Briefmarke steht, als ob es ihr künstlerisches und religiöses Lebensprogramm gewesen wäre: «Love ist hard work» – «Liebe ist harte Arbeit».

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*Am 28. April besucht Papst Franziskus den Vatikan-Pavillon auf der Biennale.


Plakat von Corita Kent | © Corita Art Center, Los Angeles
22. April 2024 | 17:30
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