Nicole Büchel, Sprecherin des Bistums Chur, an einem Billard-Tisch.
Story der Woche

Kritik unerwünscht: Churer Bistumssprecherin bedroht Journalistin

Eine Journalistin im Dienst der Landeskirche wird auf dem Züri Fäscht von der Churer Bistumssprecherin bedroht. Die Sprecherin bestreitet, die Frau «in irgendeiner Weise bedroht oder genötigt zu haben». Aber der Vorfall ist kein Einzelfall. Er wirft Licht auf ein kritik-unfähiges System, das auch vor Einschüchterung nicht zurückschreckt.

Annalena Müller

Die Sonne lacht am Züri Fäscht. Im «Garten Eden», dem Stand der katholischen Kirche, ist die Stimmung ausgelassen. Bischof Joseph Bonnemain (73) zeigt sich volksnah. Vertreter und Vertreterinnen des Bistums und der Landeskirche pflegen den zwanglosen Austausch. Ein idyllischer Moment der Schweizer Kirche. Das duale System in Bestform.

Die Katholische Kirche empfängt am Züri Fäscht im "Garten Eden".
Die Katholische Kirche empfängt am Züri Fäscht im "Garten Eden".

Doch der Schein trügt. Inmitten der gelösten Atmosphäre soll die Churer Bistumssprecherin eine Journalistin bedroht haben. Recherchen von kath.ch zeigen: Der Vorfall im «Garten Eden» ist kein Einzelfall – aber er ist besser dokumentiert als die anderen.

Vorfall im «Garten Eden»

Die Protagonistinnen sind die Bistumssprecherin Nicole Büchel und die Journalistin Anna M.*. Die Journalistin hat ihre Stelle bei der Kommunikation der Landeskirche einige Wochen zuvor angetreten. Bereits im Juni hat Anna M. Büchel kontaktiert und angeboten, in Chur vorstellig zu werden. Das geht aus Chatverläufen hervor, die kath.ch vorliegen. Die Möglichkeit ergibt sich nicht. So ist die Eröffnung des Züri Fäschts die erste Gelegenheit des persönlichen Kennenlernens.

Die Begegnung aber verläuft anders als Anna M. erwartet. «Nachdem ich mich vorgestellt hatte, nahm Büchel mich zur Seite und begann, auf mich einzureden», berichtet Anna M. «Sie sagte mir, ich hätte mein Image durch die kritische Betrachtung des Pflichtzölibats und die positive Berichterstattung über die Zürich Pride ruiniert und mich damit untragbar gemacht».

Inmitten der Menschen im "Garten Eden": Bischof Bonnemain.
Inmitten der Menschen im "Garten Eden": Bischof Bonnemain.

Noch am gleichen Abend hält Anna M. die Vorkommnisse in einem Gedächtnisprotokoll fest. Dort schreibt sie auf, was die Bistumssprecherin ihr gesagt habe:

«Sie werde Sorge tragen, dass ich keine Anstellung mehr finde.»

«Ich solle mich besser nach einer Beschäftigung ausserhalb der Schweiz umsehen. Sie sei sehr gut vernetzt in der Schweizer Kirche und ebenso in der Schweizer Medienwelt. Ihre Kontakte reichten in die obersten Gremien und bis zur Spitze des SRF. Sie gab mir sehr deutlich zu verstehen, dass sie persönlich dafür Sorge tragen werde, dass ich in beiden Bereichen keine Anstellung mehr finde.»

Büchel, ein Opfer der Zürcher Landeskirche?

Anna M. ist von dem Vorfall verstört. Sie wendet sich an ihren Vorgesetzten Simon Spengler und den Synodalratspräsidenten Raphael Meyer. Meyer konfrontiert Bischof Bonnemain mit dem Vorfall. Daraufhin fordert Bonnemain seine Sprecherin auf, eine schriftliche Stellungnahme zu verfassen.

Die Stellungnahme liegt kath.ch vor. Nicole Büchel bestreitet darin «mit Vehemenz, Anna M. in irgendeiner Weise bedroht oder genötigt zu haben». In dem gut zweiseitigen Statement beschreibt sich die Bistumssprecherin als Opfer eines «Stellvertreterkrieges» zwischen dem Bistum Chur und der Landeskirche Zürich. Sie vermutet, dass der Vorfall aufgebläht würde, «um seitens der ‹Zürcher› Druck auf den Bischof von Chur auszuüben».

Nicole Büchel, Churer Bistumssprecherin wittert eine Verschwörung der progressiven "Zürcher".
Nicole Büchel, Churer Bistumssprecherin wittert eine Verschwörung der progressiven "Zürcher".

Allerdings deutet einiges darauf hin, dass Anna M.s Darstellung der Ereignisse der Wahrheit entspricht. Die Synodalrätin Petra Zermin (60) bestätigt, dass sie das Gespräch zwischen den beiden Frauen am Züri Fäscht beobachtet hat. Dabei hatte sie den Eindruck, «dass Büchel auf Anna M. einredete» und dass sich M. «offensichtlich sehr unwohl fühlte». Zermin sagt, sie habe sich schliesslich zu den beiden Frauen gesellt und damit die «offensichtlich schwierige Situation aufgelöst».

Kein Einzelfall

Wie Recherchen von kath.ch zeigen, hat die Bistums-Sprecherin in den letzten 18 Monaten mindestens drei Personen im kirchlichen Umfeld mit dem Verlust ihrer Anstellung angedroht.** In keinem der der Redaktion bekannten Fälle verfügte Büchel über die Autorität, das Anstellungsverhältnis tatsächlich aufzulösen. Dennoch ist die Drohung, mithilfe der eigenen Netzwerke Karrieren zu beenden, als Einschüchterungsversuch zu werten. Mit diesen Vorwürfen konfrontiert, schreibt die Sprecherin: «Pauschale Beschuldigungen kommentiere ich nicht.»

Gilt als zugänglich und "unkomplziert": Bischof Joseph Bonnemain.
Gilt als zugänglich und "unkomplziert": Bischof Joseph Bonnemain.

Dafür teilen andere ihre Erfahrungen. Darunter eine Journalistin, die nicht für die Kirche, sondern für ein grosses Schweizer Medienhaus tätig ist. Das befremdende Verhalten der Bistumssprecherin gegenüber der Journalistin wird in dem Mailaustausch ersichtlich, der kath.ch vorliegt. Anlass war eine Reportage über Homosexualität und Kirche mit der Bitte um ein Statement von Bischof Bonnemain. Die Journalistin hatte zu diesem Zeitpunkt bereits mehrfach mit dem Churer Bischof zusammengearbeitet und beschreibt den direkten Umgang mit ihm als «äusserst unkompliziert». Das habe sich mit dem Stellenantritt der neuen Sprecherin geändert.

Einflussnahme auf Berichtserstattung

Wie dem Mailaustausch zu entnehmen ist, versuchte Büchel zunächst, die Journalistin davon abzubringen, über das Thema Homosexualität zu schreiben. Büchel sehe «keinen Grund das Thema nochmals aufzuwärmen». In der gleichen E-Mail wirft sie der Journalistin «Missachtung des Journalistencodex» und «unlautere Mittel» vor. Eine Begründung der Vorwürfe liefert die Bistumssprecherin nicht.

Nicole Büchel wollte das Thema Kirche und Homosexualität nicht "nochmals aufwärmen".
Nicole Büchel wollte das Thema Kirche und Homosexualität nicht "nochmals aufwärmen".

Gegenüber kath.ch zeigt sich die betroffene Journalistin auch mehr als ein Jahr nach dem Austausch irritiert «ob des aggressiven Vorgehens». Sie verfüge über mehr als 15 Jahre Berufserfahrung und «unlautere Mittel» seien ihr noch nie vorgeworfen worden, zumal es sich um eine 0815-Medienanfrage gehandelt habe. Die Reportage hat sie schliesslich ohne das bischöfliche Statement veröffentlicht. Auch hat sie seither davon abgesehen, das Bistum Chur um solche zu bitten. Das könne aber nicht im Interesse des Bischofs und der Kirche sein, sagt sie.

Kritik-Unfähigkeit und Schein-Argumente

Die verschiedenen Fälle weisen einige Gemeinsamkeiten auf. Die Angegriffenen sind jeweils Personen, die über kritische, kirchliche Themen mit einer breiteren Öffentlichkeit kommunizieren. Und die damit Abwehrreaktionen hervorrufen. Diese Abwehrreaktionen sind jedoch keine inhaltlichen Auseinandersetzungen, sondern zielen auf die Diffamierung der Person und ihrer Professionalität ab. kath.ch hat bei Karin Iten (52) nachgefragt, da diese in ihrer Funktion als Präventionsbeauftragte regelmässig auf kritische Themen zielt.

Karin Iten
Karin Iten

Karin Iten kennt sich mit Fragen der Kritikfähigkeit des Systems Kirche aus. «Es gibt viel Zuspruch, aber auch subtilen bis unanständigen Widerstand.» Den Bischof hat Iten meist als «erfreulich kritikfähig» erlebt. «Er stellt sich auch unbequemen Themen», sagt sie. In der «zweiten und dritten Reihe» hinter dem Bischof sehe es hingegen anders aus. Einige dort störten sich an kritischen Stimmen und würgten Systemkritik ab. Und dies, obwohl die Missbrauchskrise systemische Probleme deutlich aufzeigen würde. Der einzig kommunikative Weg rund um Missbrauch sei radikale Ehrlichkeit findet Iten – und dazu gehöre auch Kritikfähigkeit.

Besonders unfair sei, wenn Kritik mit «ad hominem»-Argumenten abgewehrt würde. Also mit Schein-Argumenten, welche die Integrität der kritisierenden Person in Fragen stellten, anstatt auf den eigentlichen Sachverhalt einzugehen. Der Umgang mit Frauen wie Anna M. und den anderen, die sich kritisch zu «heissen Eisen wie Zölibat, Diskriminierung von Homosexualität oder Frauen» – äussern, ist für Iten nicht überraschend. Laut Iten sei die Idee der Unantastbarkeit der Kirche und eine damit einhergehende verteidigende Grundhaltung bei einigen immer noch tief verankert. «Alle müssen sich endlich ehrlich machen und das verklärte Trugbild der unfehlbaren Kirche loslassen. Ansonsten werden oder bleiben sie Teil des Problems und nicht der Lösung.»

*Anna M. ist ein Pseudonym. Der richtige Name ist der Redaktion bekannt.

** Alle Fälle samt Namen der Personen sind der Redaktion bekannt. Aus Sorge vor Repressalien wollen die Betroffenen anonym bleiben.

«Audiatur et altera pars» – Offenlegung der Kommunikation mit Nicole Büchel

Schriftliche Anfrage durch kath.ch:

Sehr geehrte Frau Büchel

Neben dem Vorfall am Zürfäscht gibt es weitere Vorwürfe, die Ihren Umgang mit Personen betreffen, die auf die ein oder andere Art zu kirchenrelevanten Themen arbeiten / sich äussern.

Gerne würde ich Sie auch zu diesen Vorwürfen fragen. Sollten Sie es bevorzugen, schriftlich Stellung zu nehmen, dann gerne zu folgenden Fragen:

Es steht der Vorwurf im Raum, dass Sie mehreren Personen, die zu kirchenrelevanten Themen eine kritische Position bezogen haben, gedroht hätten – u.a., dass diese innerhalb der Kirche keine Anstellung mehr finden würden / ihre aktuelle Anstellung verlieren würden. Was sagen sie zu den Vorwürfen?

Handelt es sich um eine Kommunikationsstrategie? Einschüchtern und abwehren?

Mit freundlichen Grüssen, Annalena Müller

Antwort von Nicole Büchel:

Sehr geehrte Frau Müller

Besten Dank für Ihre Empfangsbestätigung.

Gerne nehme ich zu konkreten Situationen Stellung.

Pauschale Beschuldigungen kommentiere ich nicht.

Besten Dank für die Kenntnisnahme.

Freundliche Grüsse Nicole Büchel

Antwort kath.ch

Sehr geehrte Frau Büchel,

haben Sie vielen Dank für Ihre Antwort. 

Die konkrete Situation ist, dass mehrere Personen gegenüber kath.ch sagen, dass ihnen gedroht wurde, sie würden ggf. ihre Anstellung verlieren, bzw. künftig keine Anstellung mehr in der Kirche finden.

Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie zu diesen Vorwürfen keine Stellung beziehen möchten und werde das so notieren, bzw. ich erlaube, mir den Satz «Pauschale Beschuldigungen kommentiere ich nicht.» ggf. zu zitieren.
Es grüsst Sie freundlich, Annalena Müller


Nicole Büchel, Sprecherin des Bistums Chur, an einem Billard-Tisch. | © Christian Merz
23. Juli 2023 | 05:00
Lesezeit: ca. 6 Min.
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