Für Menschen mit Behinderungen ein Hindernis: Beim Pflaster nach traditioneller Art wäscht der Regen den Sand aus und es können sich Dellen bilden.
Kommentar

Klosterplatz-Streit in Einsiedeln: Mehr Humanität und weniger holprige Historie

Der Klosterplatz Einsiedeln kommt vors Bundesgericht. Wenn dieses im Sinne von Menschen mit Behinderung entscheidet, könnte der Klosterplatz humanitär zum gesellschaftlichen Vorbild werden. Denn Menschen mit Behinderung werden noch immer in unserer Gesellschaft diskriminiert. Wenigstens die Kirche sollte sich anders verhalten. Ein Kommentar.

Wolfgang Holz

Unbehauen oder geschnitten? Mit Mörtel verfugt oder gesandet? Schon seit Jahren beschäftigt die Behörden in Einsiedeln diese Frage, wenn es um die Erneuerung des Klosterplatzes geht. Der Bau verzögert sich deshalb nun schon seit Jahren.

Hindernis: Unbehauene Pflastersteine

Konkret handelt es sich dabei um die scheinbar triviale Frage, ob nun der «Platz im Platz» um den Liebfrauenbrunnen mit glatten, geschnittenen Flusskieseln gepflästert wird. Oder eben mit unbehauenen, historisch anmutenden Pflastersteinen.

Der Klosterplatz in Einsiedeln
Der Klosterplatz in Einsiedeln

Wer nicht gehbehindert ist, für den wirkt diese Problemstellung auf den ersten Blick irrelevant. Wer aber gehbehindert ist, für den ist der Belag, auf dem er sich fortbewegt, existenziell. Denn für Rollstuhlfahrende oder für Menschen mit Rollator sind diese unbehauenen Pflastersteine schier unüberwindliche Hindernisse.

«Ein Platz für alle»

Hindernisse, die den Alltag eines Menschen mit Behinderung noch mühevoller gestalten. Die Behindertenorganisationen, Interessengruppen sowie Privatpersonen fordern deshalb seit Jahren einen «Platz für alle». Einen Platz, auf dem sich alle frei bewegen können. Sie reichten deshalb Beschwerden gegen das Bauprojekt ein.

Die Stiftskirche des Klosters Einsiedeln
Die Stiftskirche des Klosters Einsiedeln

Die Behörden in Einsiedeln sowie das Kloster und die Denkmalpflege hatten durchaus Verständnis für das Anliegen. Der ursprüngliche Entwurf des Bezirks Einsiedeln sah auf dem Unteren Klosterplatz nämlich gemäss gesetzlichen Vorgaben für Menschen mit Behinderung eine Pflästerung mit glatten Steinen auf dem erneuerten Klosterplatz vor.

Zwei Liegenschaftseigentümer

Doch, so kurios es klingen mag: Der Untere Klosterplatz ist erstens eine Liegenschaft, die zwei geteilt ist. Sprich: Der obere Teil des Platzes gehört dem Kloster Einsiedeln. Der untere dem Bezirk. Zweitens war es vor allem die kantonale Denkmalpflege, die intervenierte, weil sie plötzlich um den historischen Charakter des Klosterplatzes fürchtete. Deshalb wurde seitens der Schwyzer Regierung 2019 ein vorläufiger Baustopp verhängt, um die Differenzen zu klären.

So soll nun der Klosterplatz gepflästert werden: Gelb  sandverfugte Steine, rot und orange Wege mit glatten Steinen für Gehbehinderte.
So soll nun der Klosterplatz gepflästert werden: Gelb sandverfugte Steine, rot und orange Wege mit glatten Steinen für Gehbehinderte.

Anfang dieses Jahres schlichtete nun das Verwaltungsgericht den Streit ums Klosterpflaster. Ein Behördenkompromiss wurde genehmigt. Dieser sieht vor, dass um den Marienbrunnen herum, auf zwei breiten Wegen zu den Arkaden und zur Treppe gerade, Mörtel verfugte Steine verlegt werden. Hinzu kommen fünf weitere, sternförmig angelegte hindernisfreie Wege von einem Meter Breite, die zum Marienbrunnen führen.  

Auf dem gesamten Rest des Platzes wird aber die historisierende Pflästerung mit unbehauenen Steinen zum Tragen kommen. Menschen mit Behinderung können sich also nicht auf dem ganzen Platz frei bewegen.

Rekurs eingelegt

Eine Privatperson, die im Rollstuhl sitzt, hat nun mutig gegen das Verwaltungsgerichtsurteil Rekurs eingelegt. Sie ist vors Bundesgericht gezogen – mit dem Risiko, den Prozess zu verlieren und sämtliche Gerichtskosten tragen zu müssen.

Wolfgang Holz ist kath.ch-Redaktor.
Wolfgang Holz ist kath.ch-Redaktor.

Wenn man die Causa von einer menschlichen Seite betrachtet, würde man sich wünschen, dass das Bundesgericht das Verwaltungsgerichtsurteil kippt. Um den Unteren Klosterplatz wirklich behindertengerecht zu gestalten.

Denn es würde auch ins Gesamtbild des Klosters Einsiedeln passen. Ein neuer, breiter, gepflästerter Weg mit glatten Steinen ermöglicht Gehbehinderten auf dem Oberen Klosterplatz bereits einen freien Zugang zur Stiftskirche. Warum sollen sich deshalb nicht auch auf dem Unteren Klosterplatz Menschen mit Behinderungen frei fühlen und frei bewegen können?

Klosterplatz einzigartig

Der Einsiedler Klosterplatz ist in seiner Grösse und seinem Renommee einzigartig. In der Schweiz. In Europa. Weltweit. Hunderttausende pilgern jedes Jahr zur Schwarzen Madonna.

Schwarze Madonna in der Gnadenkapelle
Schwarze Madonna in der Gnadenkapelle

Der neue gestaltete Klosterplatz könnte noch einzigartiger in Sachen Bedeutung und Ausstrahlung werden, wenn gerade die Kirche in besonderem Masse ein Herz für Menschen mit körperlichen Gebrechen zeigen würde. Will heissen: in besonderem Masse benachteiligten Personen entgegenkommt. Das wäre sicher auch im Sinne der Bibel – in der Jesus Christus für solche Menschen besondere Aufmerksamkeit und Liebe aufbringt.

Viele ältere und gebrechliche Menschen

Schliesslich sind es ja nicht zuletzt gerade viele ältere und gebrechliche Menschen, die bei der Schwarzen Madonna um Gnade beten und bitten. Der Einsiedler Klosterplatz, der gehbehinderten Menschen echte Bewegungsfreiheit ermöglichen würde, könnte auf diese Weise neben seiner wunderbaren Ästhetik auch humanitär zum gesellschaftlichen Vorbild werden. Behinderte Menschen werden leider noch immer in unserer Gesellschaft diskriminiert. Wenigstens die Kirche sollte sich anders verhalten.

Zudem: Es profitieren auch alle anderen, nicht gehbehinderten Pilgerinnen und Pilger von einem neuen Klosterplatz mit ausschliesslich geraden und geschliffenen Pflastersteinen. Denn, wie man täglich leicht vor der Kirche feststellen kann, bewegen sich rund ums Kloster die meisten Leute lieber auf dem glatten Geläuf – als auf der holprigen Historie.


Für Menschen mit Behinderungen ein Hindernis: Beim Pflaster nach traditioneller Art wäscht der Regen den Sand aus und es können sich Dellen bilden. | © Ueli Abt
11. Mai 2023 | 15:30
Lesezeit: ca. 3 Min.
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