Kloster Engelberg
Schweiz

Kloster Engelberg: Zwietracht statt Brüderlichkeit

Das Kloster Engelberg wird von einem ehemaligen Mönch auf Schadensersatz verklagt. Er habe jahrelanges Mobbing erlitten. Ein Visitationsbericht aus dem Jahr 2021 bestätigt die Konflikte. Darin wird die Lage im Kloster «als dramatisch und kritisch» beschrieben. Die Berichterstattung versuchte das Kloster gerichtlich zu unterbinden.

Annalena Müller

Als Bruder Samuel im Jahr 2012 Teil des Engelberg Konvents wird, ist er überzeugt: Er hat seine Heimat gefunden. Es sollte anders kommen. Samuel sagt, er sei jahrelang von zwei Mitbrüdern gemobbt worden. Versuche, Hilfe zu erhalten, seien vom Abt unterbunden worden, weil dieser sich um den guten Ruf des Klosters sorgte. Die jahrelangen Konflikte hätten ihn zermürbt. Ihm sei schliesslich nur der Austritt geblieben. Vor einer Woche hat Samuel Strafanzeige wegen Nötigung gestellt. Zusätzlich verklagt der 58-jährige seine ehemalige Gemeinschaft auf Schadensersatz.

«Zank und Streit unter euch»

Ein Visitationsbericht vom Januar 2021 gewährt Einblicke in das Leben hinter den Klostermauern. Die beiden Visitatoren, Abt Peter von Sury (Kloster Mariastein) und Dekan Bruno Rieder (Kloster Disentis), attestieren dem Konvent «in einer besorgniserregenden Krise» zu stecken. Sie beschreiben die «Lage als dramatisch und kritisch».

Peter von Sury, Abt des Klosters Mariastein
Peter von Sury, Abt des Klosters Mariastein

Der Punkt, «der sich wie ein roter Faden» durch die Gespräche der Visitatoren mit den damals 16 Mönchen zog, waren die «Zerwürfnisse, Streitereien, Feindseligkeiten und Unversöhnlichkeit unter mehreren Mitbrüdern, was sich z.T. auch gesundheitlich auswirkt». Die Visitatoren schreiben: «Die Meinungen über die Ursachen und mögliche Abhilfe gehen weit auseinander. Aussagen und Einschätzungen widersprechen sich teilweise diametral.» Die Auswirkungen auf die Gemeinschaft seien «verheerend» und «vergiften die Gemeinschaft nachhaltig», zum Beispiel wenn «Intimfeindschaften über Jahre nicht aufgearbeitet werden».

Aussage gegen Schweigen

Laut Bruder Samuel sei der Ursprung der Feindseligkeiten das jahrelange Mobbing durch Martin und Paul* (Pseudonyme) gewesen. P. Martin und P. Paul «wollten mich nicht im Kloster haben. Sie machten schon von Anfang an Stimmung gegen mich.» Der Abt habe dies lange nicht «wahrhaben wollen» und sei «um den guten Ruf von Stiftschule und Kloster» besorgt gewesen, so Bruder Samuel gegenüber kath.ch.

Streitereien und Feindseligkeiten hinter Klostermauern
Streitereien und Feindseligkeiten hinter Klostermauern

P. Martin, der aktuell nicht in Engelberg weilt, will sich zu den Vorwürfen nicht äussern. Die Anfrage an den Abt und P. Paul wird direkt vom Anwalt des Klosters beantwortet. Dieser schreibt: «Sämtliche von der Gegenpartei gemachten Aussagen werden vollumfänglich bestritten. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes, auch der Gegenpartei, des Datenschutzes und des Berufsgeheimnisses kann zu den einzelnen Aussagen keine Stellung bezogen werden.» In dem Fall steht also Aussage gegen Schweigen.

Aktenlage

Bleibt der Blick in die Dokumente. Neben dem Visitationsbericht liegen kath.ch unter anderem ein Brief des Mönches an seine Mitbrüder vom Juni 2021 vor, eine erste und zweite kirchenrechtliche Verwarnung (Monitio) durch den Engelberger Abt, sowie der Verweis Samuels aus dem Kloster Engelberg vom 17. Mai 2022. Die Dokumente zeugen von Verbitterung, Entfremdung und einer Eskalationsspirale.

Ein halbes Jahr nach der Visitation durch von Sury und Rieder schreibt Bruder Samuel einen Rundbrief an den Konvent. Darin stellt er den Konflikt aus seiner Sicht dar. Er beschuldigt P. Paul und P. Martin, sie würden seit Jahren Unwahrheiten über ihn verbreiten.

Eskalationsspirale

Wenige Tage nach dem Schreiben spricht der Abt von Engelberg eine erste kirchenrechtliche Verwarnung gegen Bruder Samuel aus. Den Schritt begründet der Abt damit, dass Samuel, anstelle eines Beitrags zum Neuanfang zu leisten, «alte Beschuldigungen» wiederhole.

Dunkle Wolken über dem Kloster Engelberg
Dunkle Wolken über dem Kloster Engelberg

Neun Monate später, im März 2023 erteilt der Abt eine zweite Monitio. In dieser legt er Samuel «eine Auszeit zu Hause nahe, mit psychologischer Begleitung.» Im Mai 2023 folgen Wegweisung und Hausverbot. Als Grund nennt der Abt unter anderem: «Dein unberechenbares Verhalten und Dein Kontaktieren externer Stellen lässt mich um den guten Ruf unseres Klosters und unserer Schule fürchten.»

Bereits 2021 hatten Peter von Sury und Bruno Rieder im Visitations-Bericht die Möglichkeit einer Trennung ins Auge gefasst. «Das Kirchenrecht gibt sich im Blick auf Krisen im ehelichen Zusammenleben pragmatisch. Es sieht, bei bestehendem Eheband, die Möglichkeit einer «Trennung von Tisch und Bett» vor. Warum sollte es bei uns Klosterleuten anders, besser sein?» Ein Ende mit Schrecken sei manchmal einem Schrecken ohne Ende vorzuziehen, so die beiden Visitatoren.

«Besser ein Ende mit Schrecken»

Drei Jahre später sind die betroffenen Personen ebenfalls zu dieser Einsicht gelangt. Aber, wie bereits das Zusammenleben, scheint ihnen auch das Auseinandergehen nicht brüderlich zu gelingen.

Der Luzerner Jurist Loris Fabrizio Mainardi
Der Luzerner Jurist Loris Fabrizio Mainardi

Der Luzerner Jurist Loris Mainardi vertritt Bruder Samuel. Mainardi versucht seit über einem Jahr die finanzielle Seite der Trennung mit dem Kloster zu verhandeln. Dafür hat er einen Vorsorgeausfall von 326’347 Franken errechnet, bestehend aus den Vorsorgelücken von AHV und BVG, welche für Bruder Samuel seit seinem Klostereintritt in Engelberg entstanden sind.

Rosenkrieg

Das Kloster Engelberg hat seinem Ex-Mönch hingegen eine Einmalzahlung von 86’000 Franken angeboten. «Dieses Angebot – noch dazu mit einer Stillhalteklausel und entsprechender Konventionalstrafen-Androhung versehen – war völlig ungenügend und hätte zu nicht lebenskostendeckenden Altersleistungen geführt», sagt Loris Mainardi gegenüber kath.ch.

Deshalb habe er am 16. Februar eine Zivilklage eingereicht. «Das Kloster hat eine Fürsorgepflicht: Als gläubiger Katholik bin ich von dessen Verhalten schockiert. Als Bürger und Steuerzahler verurteile ich, dass wohlhabende Klostergemeinschaften ausgetretene Mitglieder der staatlichen Fürsorge zuschieben.»

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Auf Anfrage schreibt der Anwalt des Klosters: «Bis zum heutigen Zeitpunkt hat das Benediktinerkloster Engelberg keine Kenntnisse über den Eingang einer Strafanzeige oder Zivilklage.»

Anscheinend hat die Information, dass ein Rechtsstreit bevorsteht, hinter den Klostermauern Bewegung ausgelöst. In einem Schreiben informiert der Abt diese Woche Bruder Samuel: Das Kloster werde die monatlichen Unterhaltszahlungen von 2500 Franken wieder aufnehmen, bis sein Austritt auch juristisch vollzogen sei. Diese hatte das Kloster nämlich im Dezember 2023 einfach eingestellt.

*Die richtigen Namen sind der Redaktion bekannt. Alle involvierten Parteien wurden im Rahmen der Recherchen mit den Vorwürfen konfrontiert und um Stellungnahme gebeten.

Das Kloster Engelberg wollte die Berichterstattung mit einer superprovisorischen Verfügung verbieten lassen. Darauf ist das Bezirksgericht Zürich nicht eingegangen.


Kloster Engelberg | © Kloster Engelberg
22. Februar 2024 | 12:00
Lesezeit: ca. 4 Min.
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Stellungnahme des Kloster Engelbergs durch seinen Anwalt im Wortlaut:

Sämtliche von der Gegenpartei gemachten Aussagen werden vollumfänglich bestritten. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes, auch der Gegenpartei, des Datenschutzes und des Berufsgeheimnisses kann zu den einzelnen Aussagen keine Stellung bezogen werden.

Mönche, die aus der Gemeinschaft des Benediktinerklosters Engelberg austreten möchten, werden nicht daran gehindert und bis zum offiziellen Austritt im ausreichenden Masse finanziell unterstützt. Auch werden die Lebensunterhaltskosten wie Krankenkasse, AHV oder Telefon und deren Gebühren bis zum Vollzug des Austritts weiterhin übernommen. Dieser Austrittsprozess kann dabei auch bei Austritten, die von Mönchen selbst initiiert werden, mehrere Monate dauern.

Für jedes Mitglied der Klostergemeinschaft wird – so lange es Mitglied ist, d.h. bis zum Vollzug des Austritts – eine mehrfach höhere Einzahlung als der Minimalansatz an AHV eingezahlt. Ebenso erhalten aus dem Kloster austretende Mitglieder ihr gesamtes eingebrachtes Vermögen verzinst zurück, und es wird eine Entschädigung für entgangene Pensionskasseneinzahlungen ausbezahlt. Entsprechende Angebote des Benediktinerklosters Engelberg an Austretende bemessen sich jeweils in der Höhe an den Sozialversicherungsleistungen für einen durchschnittlichen, handwerklich tätigen Klostermitarbeiter sowie der Dauer der Mitgliedschaft bis Vollzug des Austritts. Anfallende Kosten für eine branchenspezifische Weiterbildung würden vom Benediktinerkloster zudem angeboten und übernommen, sofern die aus der Gemeinschaft austretende Person von diesem Angebot Gebrauch machen will.

Abschliessend wird darauf hingewiesen, dass der angesprochene Visitationsbericht ein internes, vertrauliches und damit nicht für die Öffentlichkeit bestimmtes Dokument ist, welches inmitten der tiefsten Coronakrise entstand. In einer Zeit, in welcher es allgemein zu erheblichen gesellschaftlichen Reibereien kam, welche auch nicht vor der Gemeinschaft Halt gemacht haben. Diese Thematik wurde seither in der Gemeinschaft des Benediktinerkloster Engelberg aufgearbeitet.