Hofkirche St. Leodegar Luzern
Schweiz

Kirchenasyl: Annäherung an einen unscharfen Begriff

Kirchgemeinden, die Flüchtlingen Kirchenasyl gewährten, sorgten in letzter Zeit für Schlagzeilen. Kirchenasyl kann als symbolischer Akt eine Wirkung erzielen. Für Unterstützer ist es eine Gratwanderung.

Ueli Abt

In Zürich wird im Juni 2019 ein Pfarrer schuldig gesprochen, nachdem er einer kranken Asylsuchenden Unterschlupf geboten hatte. Der Aufenthalt der Frau in Zürich ist heute mindestens geduldet. In Luzern gewährten ein Pfarrer und weitere Unterstützer einer Frau und ihrer Tochter während eines Jahrs Kirchenasyl. Im November wurden sie ausgewiesen. Die Helfer müssen nicht mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen.

Wann ist Kirchenasyl legal? Und was bedeutet der Begriff überhaupt rechtlich gesehen?

Recht kennt Begriff nicht

Rechtsanwalt Ueli Friederich hat sich eingehend mit dem Kirchenasyl befasst. Darunter verstehe man landläufig die «Befugnis der Kirche, Menschen, unter Umständen nur auf Zeit, in kirchlichen Räumen Zuflucht vor dem Zugriff staatlicher Stellen zu gewähren», so Friederich. Damit sei auch die Vorstellung verbunden, dass die Kirche einen geschützten Raum beansprucht, in welchem der Staat nicht das Recht durchsetzen darf.

Allerdings kennt gemäss Friederich das geltende Recht den Begriff des «Kirchenasyls» nicht. Denn der Staat beanspruche «Allzuständigkeit» – rechtsfreie Räume könne er nicht akzeptieren, so Friederich.

Das Kirchenasyl wurde im Kirchenrecht aufgegeben.

Auch im kanonischen Recht sei das Kirchenasyl heute nicht mehr enthalten. Gemäss vormaligem Kirchenrecht waren bestimmte kirchliche Räume vom Geltungsbereich des weltlichen Rechts und vom Zugriff weltlicher Macht ausgenommen. Dies wurde laut Friederich lange Zeit auch durch die weltliche Obrigkeit anerkannt.

Die Kirche habe den Anspruch auf ein Kirchenasyl in diesem Sinn mit der Revision des Codex iuris canonici im Jahr 1983 aufgegeben. Zum einen habe man begründet, das Kirchenasyl sei angesichts der rechtsstaatlichen Einrichtungen nicht mehr erforderlich. Andererseits war man pragmatisch der Ansicht, das Kirchenasyl könnte nicht mehr durchgesetzt werden.

Laut Friederich ist «Kirchenasyl» somit heute in erster Linie als symbolischer Akt zu verstehen. Zuweilen gelinge es, damit eine Publikumswirkung zu erzielen, sprich, öffentlichen Druck zu erzeugen. Dies könne dazu führen, dass in der Praxis ein Aufschub und somit möglicherweise ein Aufenthaltsrecht erreicht werden könne.

2008 Gesetz verschärft

Ob das Kirchenasyl als solches legal oder illegal sei, lässt sich laut Friedrich nicht allgemein beantworten. Das müsse im Einzelfall ein Gericht beurteilen.

Dass Pfarrer durch ihr mitmenschliches Engagement nach christlichen Grundsätzen mit den weltlichen Gesetzen in Konflikt geraten, ist in den letzten Jahren wahrscheinlicher geworden. Vor 2008 gab es im damaligen Ausländerrecht einen Passus, der besagte, dass die Hilfe aus achtenswerten Motiven straffrei bleibt. Der damalige Justizminister Christoph Blocher hatte sich bei der Beratung im Parlament mit dem Argument, wonach jeder Schlepper glaube, aus ehrbaren Motiven zu handeln, für die Verschärfung des Gesetzes eingesetzt.

Heute setzt sich die Genfer Politikerin Lisa Mazzone, 2015 bis 2019 Nationalrätin, seit Dezember Ständerätin, mit einer parlamentarischen Initiative für die Wiedereinführung einer solchen Ausnahmebestimmung ein. Die Behandlung des Vorstosses im Nationalrat steht noch bevor, die Schweizer Bischöfe haben sich hinter das Anliegen gestellt.

«Erleichterung des rechtswidrigen Aufenthalts»

Josef Karber, Pfarrer von Liebfrauen in Zürich
Josef Karber, Pfarrer von Liebfrauen in Zürich

Derzeit riskieren kirchliche Helfer, dass sie mit ihrem Engagement aus christlichen Motiven gegen das Verbot der «Erleichterung des rechtswidrigen Aufenthalts» von Ausländern nach Artikel 116 des Ausländergesetzes verstossen.

Zu einer Verurteilung kam es im Fall der Unterstützung einer krebskranken Frau durch die Zürcher Pfarrei Liebfrauen. Laut einem Artikel der NZZ hatte Pfarrer Josef Karber dem Migrationsamt nicht angegeben, dass die Ausländerin in einer Notwohnung der Pfarrei von 2011 bis 2018 Unterschlupf fand: «Hätte ich sie den Behörden gemeldet, wäre das Risiko gross gewesen, dass man sie ausgeschafft hätte – und das wäre wohl ihr Todesurteil gewesen, weil in ihrem Heimatland keine adäquate medizinische Behandlung möglich gewesen wäre», wird Karber in der NZZ zitiert.

Auf Nachfrage von kath.ch sagt Karber, es sei nicht seine Absicht gewesen, die Gewährung des Unterschlupfs den Behörden zu verschweigen. Ihr Status sei ihm zunächst nicht bekannt gewesen. Für ihn sei der Mensch im Zentrum gestanden und nicht das Papier.

RKZ: Nicht ohne Behördenmeldung

Ruedi Beck, Pfarrer von St. Leodegar in Luzern
Ruedi Beck, Pfarrer von St. Leodegar in Luzern

In einer Richtlinie der Römisch-katholischen Zentralkonferenz, dem Zusammenschluss der katholischen Kantonalkirchen, heisst es: «In allen Fällen werden die zuständigen Behörden über den Aufenthalt im Kirchenasyl unterrichtet. Ohne die Meldung an die Behörden gilt eine kirchliche Unterbringung nicht als Kirchenasyl!» In der RKZ-Richtlinie heisst es weiter: «Gemeinden beanspruchen keinen rechtsfreien Raum. Der Staat kann von seinem Zugriffsrecht Gebrauch machen, um die Abschiebung zu vollziehen.»

Das Helferteam um Pfarrer Ruedi Beck der Luzerner Pfarrei St. Leodegar hat von Anfang an das Migrationsamt und den Regierungsrat informiert, dass die tschetschenische Mutter und ihre Tochter Unterschlupf erhielten, sagt Beck gegenüber kath.ch. Dies habe man gemacht, um mit den Behörden «im Gespräch zu sein».

«Sie konnte sich nicht vorstellen, auf unbestimmte Zeit ‹Sans-papiers› zu sein.»

Pfarrer Ruedi Beck

Wie aus einem Artikel der Luzerner Zeitung (LZ) hervorgeht, müssen Beck und sein Pastoralteam somit auch nicht mit juristischen Konsequenzen rechnen: Auf Anfrage der LZ habe das Amt für Migration begründet, sie seien stets mit den Behörden in Kontakt gestanden. Sie hätten die Flüchtlinge nicht versteckt oder ihren Aufenthaltsort verheimlicht.

Ob die Verhaftung der beiden kurz vor Ablauf einer Frist wahrscheinlicher wurde, gerade weil Beck und seine Helfer den Behördenkontakt suchten, ist laut Beck «schwierig» zu beurteilen. Für die Tschetschenin sei es keine Option gewesen, auf unbestimmte Zeit als «Sans-papiers», beziehungsweise als Untergetauchte, in der Schweiz zu leben. In einem solchen Fall hätte die Kirchgemeinde langfristig auch kein Kirchenasyl gewähren können, sagt Beck.


Hofkirche St. Leodegar Luzern | © Sylvia Stam | © Sylvia Stam
9. Dezember 2019 | 07:00
Lesezeit: ca. 4 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!

Zelt als Asylunterkunft

Laut dem Luzerner Pfarrer Ruedi Beck leben die  53-jährige Tschetschenin und ihre 12-jährige Tochter nach der Ausweisung nach Belgien derzeit in sehr schwierigen Verhältnissen. Nach den ersten Tagen in einem Erstaufnahmezentrum seien sie nun in einem Zelt untergebracht. Dieses werde durch ein Gebläse geheizt, der Boden sei allerdings eisig kalt. Küche und Toilettenräume befänden sich in einem separaten Zelt. «Ihre Lebensumstände sind derzeit miserabel», so Beck. Nebst drei Mahlzeiten täglich erhielten beide zusammen insgesamt wöchentlich 10.50 Euro für alle übrigen Ausgaben. Das reiche bei weitem nicht und sei viel weniger, als in der Schweiz zur Verfügung stünde. Eine erste Anhörung im Zusammenhang mit dem Asylgesuch sei für Mitte Januar geplant. (uab)