Kirche ohne Pflichtzölibat – Lebhafte Diskussion zur Film-Vorpremiere von «Unser Vater»
Das Bourbaki-Kino in Luzern war bis auf den letzten Platz gefüllt. Kein Wunder. Der Film «Unser Vater» über einen katholischen Pfarrer, der mit vier Frauen, die er teilweise vergewaltigte, sechs Kinder zeugte, bewegt viele Menschen sehr emotional. In der Podiumsdiskussion am Sonntag nach der Vorpremiere wurde vor allem über ein Thema debattiert: Sollten Priester nicht endlich heiraten dürfen?
Wolfgang Holz
Einer brach fulminant das Eis: Thomas Wallimann-Sasaki. Seines Zeichens katholischer Theologe und Sozialethiker macht von Anfang an klar, dass er mit seiner Meinung zum Pflichtzölibat nicht hinterm Berg halten wollte. «Es handelt sich um eine toxische Struktur und ein System, das sich selbst schützt. Und die Spitze des Systems ist der Zölibat.»
War selbst im Priesterseminar
Wobei er zur Illustration des Problems gleich seine eigene Vita kritisch beleuchtete. «Denn ich war ja auch einmal auf dem Priesterseminar in Chur, und mir wurde schnell klar, dass der Zölibat für mich die falsche Sache verkörpert», erzählte er ins weite Zuschauerrund des Luzerner Kinopublikums. Deshalb habe er sich entschlossen, so der Zürcher, nicht Priester zu werden.
Diese Entscheidung traf er nicht zuletzt, weil ihm als künftiger Priester in punkto Sexualität eine Machtposition vermittelt worden sei. Im Priesterseminar habe er immer grössere Bedenken gehegt. Nach dem Motto: «Das mit den Frauen bekommst Du immer geregelt», habe er durch die Gänge raunen hören.
Sakrale Machtposition
Eine wahnwitzige Vorstellung. Und gleichzeitig eine Mentalität, welche dem Seelsorger von vorneherein eine sakrale Machtposition in Sachen Sexualität eröffnen kann. «Ich war im Nachhinein froh, dass mir diese Zweifel gekommen sind», bekennt Wallimann. Andere angehende Priester würden sich diese Gedanken vielleicht zu spät machen und aus ihrer Sexualität Geheimnisse machen. «Deshalb zieht dieser Beruf oft die falschen Buben an.»
War Anton «Toni» Ebnöther auch so ein falscher Bube? Wie ist dieser Extremfall eines Geistlichen, der vier Frauen über Jahre hinweg teils gewaltsam schwängerte und mit ihnen sechs uneheliche Priesterkinder zeugte einzuordnen? Und welche Schlüsse gilt es da für die katholische Kirche zu ziehen?
Klar – und doch betrüblich
Darüber diskutierten auf dem Podium im Luzerner Bourbaki-Kino am Sonntag neben Thomas Wallimann-Sasaki auch noch Martin Kopp, ehemaliger Generalvikar der Urschweiz, Monika Gisler, Filmprotagonistin und selbst Betroffene, sowie Filmregisseur Miklós Gimes mit Moderatorin Stefanie Arnold.
Ihre Antworten und die Beiträge aus dem Publikum schienen klar – und doch auch wieder betrüblich. Sprich, es scheint offensichtlich: die katholische Kirche muss sich dringend reformieren. Andererseits sei die katholische Kirche «total reformunfähig», wie ein Zuschauer konstatierte.
Wie in der Sowjetunion?
Für Filmregisseur Miklós Gimes hat die katholische Kirche gar Ähnlichkeiten mit der Kommunistischen Partei in der Sowjetunion, welche die Geschichte längst aufgelöst hat. «Vielleicht blüht der katholischen Kirche eine ähnliche Entwicklung. »
«Den Betreffenden würde man sofort vom Dienst suspendieren»
Martin Kopp, ehemals Generalvikar der Urschweiz
Für Martin Kopp, der 17 Jahre lang Generalvikar der Urschweiz war, steht dagegen fest: Würde er heute von so einem Fall wie «Toni» Ebnöther im Bistum erfahren, er würde sofort die Reissleine ziehen. «Den Betreffenden würde man sofort vom Dienst suspendieren und für die betroffenen Frauen und Kinder ‹lebbare› Auswege vorspuren».
Viel verändert in der Priesterausbildung
Wobei sich heutzutage auch in der Priesterausbildung viel verändert habe: «Über das Thema Sexualität wird gesprochen.» Auch unter Pfarrkollegen werde über dieses Thema geredet. Nicht zuletzt dank dem aufgeklärten Churer Bischof Joseph Bonnemain habe sich der Umgang mit Problemen wie Machtmissbrauch, Priesterkindern und dem Pflichtzölibat deutlich reformiert.
Doch der Bischof Bonnemain kam im Urteil der Diskutierenden nicht nur positiv weg. Gerade sein Empfang und sein Gespräch mit den sechs unehelichen Kindern «Tonis», wie es im Film anzuschauen ist, stiess nicht auf uneingeschränkte Gegenliebe.
«Sobald Jesus zitiert wird, werde ich hellhörig.»
Thomas Wallimann-Sasaki
«Das reicht einfach nicht, menschlich gesehen», kritisierte Wallimann-Sasaki. Vor allem störte den Theologen, dass Bonnemain im persönlichen Gespräch mit Opfern theologische Konzepte zur Erklärung des Geschehenen und zur Legitimation des Pflichtzölibats bemüht habe.
«Sobald Jesus zitiert wird, werde ich hellhörig. Denn man kann Jesus für alles gebrauchen. «Vor allem dürfe es keine Machtgefälle in der Person des Priesters im Umgang mit anderen Personen in Sachen Sexualität geben.
«Kirche ohne Zölibat nicht besser»
Was den Pflichtzölibat angeht, ist sein Standpunkt klar: «Gott will, dass ich mein Leben leben kann – dazu gehören auch Brüche und Fehler. » Aus seiner Warte sei deshalb ein «System ohne Geheimnisse» auf jeden Fall menschlicher. Sprich: ohne Geheimnisse einer unterdrückten Sexualität.
Andererseits ist Martin Kopp überzeugt, dass die katholische Kirche ohne den Zölibat «nicht besser» werde. «Der Zölibat wird ja freiwillig vonseiten des Priesters gegenüber Gott gelebt und ist auch ein Geschenk Gottes», predigt Kopp den Zuschauern. Der Zölibat solle deshalb als freiwillige Möglichkeit in der Kirche als Lebensform weiter praktiziert werden können. Auch er lebe derzeit eine besondere Form des Zölibats – «als Vater für zahlreiche junge Flüchtlinge.» Sagte es und erhielt Beifall gespendet.
Apropos. Als «Flüchtling im eigenen Land» fühlte sich Monika Gisler, Protagonistin und eine der sechs Priesterkinder. Verstossen und verleumdet habe sie sich über viele Jahre im engsten Umkreis empfunden.
Mit der Welt im Reinen
Heutzutage ist die pensionierte Primarlehrerin, die während der ganzen Podiumsdiskussion eine erstaunliche Ruhe ausstrahlte, mit sich und der Welt im Reinen. Auch mit ihrem Vater. Von den Geschichten ihrer Geschwister und deren Mütter ist sie berührt und nimmt Anteil.
Eine stark wirkende Frau, die durch das Leid gestählt scheint. Aber auch sehr weltoffen ist. «Wir dürfen auf keinen Fall in Zukunft eng denken. Wir müssen den Geist öffnen und in die eigene Kraft kommen.» Bewundernswert.
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