Bischof Felix Gmür mit drei Schweizer Opfervertretern auf dem Petersplatz, Februar 2019
Schweiz

Kirche kämpft gegen Missbrauch in den eigenen Reihen

Der Anti-Missbrauchsgipfel im letzten Februar in Rom weckt Hoffnungen, die anfänglich enttäuscht werden. Später fällt der Vatikan doch wegweisende Entscheide. Auch in der Schweiz engagieren sich die Bischöfe und die Basis gegen Missbrauch. Ein Beitrag zur Serie Jahresrückblick 2019.

Regula Pfeifer

Aus der Schweiz ist der Basler Bischof Felix Gmür an den Anti-Missbrauchsgipfel der Bischöfe in Rom delegiert. Dieser findet vom 21. bis 24. Februar 2019 statt.

Wink der Kirchenparlamente

Die Synode der Katholischen Landeskirche Thurgau hat ihm dafür eine Resolution mitgegeben. Diese fordert den Bischof dazu auf, im Vatikan Massnahmen gegen Missbrauch zu vertreten: etwa die Aufarbeitung von sexuellen Übergriffen, die umfassende Unterstützung von Opfern, aber auch Reformen in der Kirche betreffend Sexualität, Pflichtzölibat und Machtverteilung. Die Synode der katholischen Kirche Basel-Landschaft unterstützt dies.

Das Gipfeltreffen zu Missbrauch und Kinderschutz weckt Erwartungen, die vorerst nicht eingelöst werden. Papst Franziskus erklärt, unter den Teilnehmern nur ein gleiches Bewusstsein für den Skandal des sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen schaffen zu wollen, was bei Betroffenenorganisationen für Empörung sorgt.

Schweizer Bischöfe weiten Anzeigepflicht aus

Wenige Tage danach berichtet Felix Gmür an der Vollversammlung der Schweizer Bischöfe über den Anti-Missbrauchsgipfel. Die Bischöfe verschärfen gleichentags die Anzeigepflicht in ihren Richtlinien «Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld.» Demnach sind ab dem 1. März kirchliche Amtsträger nicht nur bei minderjährigen, sondern neu auch bei erwachsenen Opfern verpflichtet, den Fall der staatlichen Justiz zu melden, wenn Verdacht auf ein Offizialdelikt besteht. Die Bischöfe begründen dies mit der Gefahr der Vertuschung und der möglichen Gefährdung weiterer Personen.

Zudem bestimmen sie, dass Angestellte der Kirche fortan einen Privatauszug und einen Sonderprivatauszug aus dem Strafregister vorlegen müssen. Und jede Diözese und jede kirchliche Gemeinschaft müsse ein Präventionskonzept und einen Präventionsverantwortlichen haben.

Papst Franziskus begrüsst Mario Delfino
Papst Franziskus begrüsst Mario Delfino

Missbrauchs-Opfer beim Papst

Anfang März entschuldigt sich Papst Franziskus bei zwei Schweizer Missbrauchsopfern. Dabei stellt er klar, dass sexuelle Übergriffe mit aller Konsequenz den weltlichen Gerichten gemeldet werden müssen. Die Privataudienz ist von Guido Fluri, dem Initianten der Wiedergutmachungsinitiative, gemeinsam mit Kardinal Kurt Koch organisiert worden.

Vatikan verschärft Kirchenrechtsnormen

Der Papst verschärft Anfang Mai die Kirchenrechtsnormen im Kampf gegen den sexuellen Missbrauch durch Geistliche. Das Gesetz sieht neue Verfahrensweisen für die Strafanzeige vor und führt eine weltweite Anzeigepflicht ein. Laut Toni Brühlmann vom bischöflichen Fachgremium «Sexuelle Übergriffe» zeigen diese, dass die Schweiz auf dem richtigen Weg sei.

Demo in Bern gegen Missbrauch

In Bern wollen Zürcher Theologinnen und Theologen ein «Zeichen gegen Missbrauch» und für Reformen in der Kirche setzen. Rund 150 Personen demonstrieren am 29. Juni auf dem Bundesplatz. Auslöser dafür ist der Dokumentarfilm «Gottes missbrauchte Dienerinnen» über den Missbrauch von Nonnen durch Kleriker. Die ehemalige deutsche Ordensfrau Doris Reisinger-Wagner, die im Film aussagt, ist Rednerin an der Kundgebung.

Entschädigung kostet

Der Einsatz der Schweizer Kirche für die Missbrauchsopfer kostet Geld. Mitte Juni beschliesst der Zusammenschluss der katholischen Kantonalkirchen in der Schweiz, den Genugtuungsfonds erneut aufzustocken – um weitere 150’000 Franken. Bis Ende 2018 sind rund 1,1 Millionen Franken von dort an Opfer sexueller Übergriffe im kirchlichen Umfeld geflossen.

Erste Opfergruppe der Deutschschweiz

Anfang August entsteht die erste Selbsthilfegruppe der Deutschschweiz für Menschen, die als Kind im kirchlichen Umfeld Opfer sexueller Gewalt wurden. Ein 60-jähriger Mann, selbst betroffen, sucht Gleichgesinnte. Er wird von der Kontaktstelle Selbsthilfe Kanton Solothurn unterstützt. Die Westschweizer Opfervereinigung Sapec existiert bereits seit März 2011.

Ende August erstattet der St. Galler Bischof Markus Büchel Strafanzeige gegen einen 78-jährigen Priester wegen Missbrauchs. Dem in der Region Goldach tätigen Priester wird jede seelsorgerliche Tätigkeit per sofort untersagt. Seine Übergriffe gegen das minderjährige Opfer fanden zwischen 1987 und 1996 statt.

Studie wird in Auftrag gegeben

Der Westschweizer Opfervertreter Jacques Nuoffer verlangt im September, die Schweizer Kirche müsse eine nationale Studie zu den Opfern von Missbrauch in der Kirche durchführen. Dasselbe empfiehlt das Fachgremium «Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld» im Oktober den Bischöfen. Diese beschliessen Anfang Dezember, eine entsprechende unabhängige Studie in Auftrag zu geben.

Doris Reisinger-Wagner an der Jahrestagung der bischöflichen Fachgremien "sexueller Missbrauch im kirchlichen Umfeld" in Zürich im Jahr 2019.
Doris Reisinger-Wagner an der Jahrestagung der bischöflichen Fachgremien "sexueller Missbrauch im kirchlichen Umfeld" in Zürich im Jahr 2019.

Die Jahrestagung der diözesanen Fachgremien «Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld» in Zürich vom 19. November thematisiert den spirituellen Missbrauch. Spiritueller Missbrauch sei die Verletzung spiritueller Selbstbestimmung, erklärt die ehemalige Ordensfrau und Buchautorin Doris Reisinger-Wagner, die als Referentin auftritt.

Erster Gedenktag für Missbrauchsopfer

Als erstes Bistum der Schweiz führt Lausanne-Genf-Freiburg am 23. November – gemeinsam mit der Opfervereinigung Sapec – in Freiburg einen Gedenktag für Opfer von sexuellem Missbrauch in der Kirche durch. Eine Gedenktafel in der Kathedrale Freiburg wird enthüllt.

«Päpstliches Geheimnis» fällt

Mitte Dezember erfüllt der Papst eine Forderung des Anti-Missbrauchsgipfels vom Februar: Kirchliche Verfahren gegen Missbrauchstäter fallen nicht mehr unter das «Päpstliche Geheimnis». Demnach können Unterlagen aus solchen Verfahren den staatlichen Behörden herausgegeben werden.

Bischof Felix Gmür mit drei Schweizer Opfervertretern auf dem Petersplatz, Februar 2019 | © Katarzyna Artymiak
27. Dezember 2019 | 11:00
Lesezeit: ca. 3 Min.
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