Junge ukrainische Flüchtlingsmutter mit ihrer Tochter
Schweiz

Kein Friede in Sicht: Caritas Schweiz stellt sich auf ein langes Engagement in der Ukraine ein

Am 24. Februar 2022 überfielen Putins Soldaten die Ukraine. Es folgte die grösste Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg. Caritas Schweiz zieht Bilanz – und fordert, auch Geflüchteten aus anderen Ländern den S-Status zu gewähren.

Annalena Müller

Als russische Soldaten am 24. Februar 2022 die Grenze der Ukraine überschritten, war der Konflikt bereits acht Jahre alt. Der Westen hatte ihn nur lange vergessen. Nach der russischen Annexion der Krim 2014 war er erkaltet. Seit einem Jahr ist der Krieg ein heisser. Ein Ende ist nicht in Sicht.

Grösste Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg

Nach einem Jahr Krieg ist die humanitäre Lage in der Ukraine katastrophal: Fast die Hälfte der Wohnhäuser ist beschädigt oder zerstört, teilt Caritas Schweiz mit. Insgesamt sind 17,7 Millionen Menschen in der Ukraine auf Hilfe angewiesen.

Marija (35), eine Mutter, die aus der Ukraine mit ihren Kindern in die Schweiz geflüchtet ist.
Marija (35), eine Mutter, die aus der Ukraine mit ihren Kindern in die Schweiz geflüchtet ist.

Zusätzlich sind seit Kriegsbeginn 7,8 Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen. Dies ist die grösste Fluchtbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Schweiz hat davon rund 75’000 Personen aufgenommen.

Caritas stellt sich auf ein langfristiges Engagement ein

In Bernziehen Vertreterinnen und Vertreter von Caritas Schweiz Bilanz. In der Ukraine, den Nachbarländern und in der Schweiz ist die Caritas mit verschiedenen Projekten aktiv. Direktor Peter Lack und Petra Winiger, operative Leiterin der internationalen Zusammenarbeit, ziehen eine positive Bilanz. Die Hilfe der Caritas komme auf der ukrainischen Seite der Frontlinie an. Beide aber stellen sich auf einen langen Krieg ein. Und auf ein langes Engagement der Caritas.

Ein Jahr Schutzstatus S

Während in der Ukraine Hilfe für Kriegsbetroffene im Zentrum der Projekte steht, konzentriert sich die Caritas in der Schweiz auf materielle Unterstützung der Geflüchteten und auf Integrationshilfe.

Bernd Nilles (links) und Andreas Lustenberger unterwegs im Zug.
Bernd Nilles (links) und Andreas Lustenberger unterwegs im Zug.

Die Entscheidung des Bundesrates, Geflüchteten aus der Ukraine mit dem Schutzstatus S direkten Zugang zum Arbeitsmarkt zu gewähren, lobt Andreas Lustenberger, Leiter Bereich Grundlagen und Politik, ausdrücklich. Im Gegensatz zum Asylstatus erlaubt der Status S einen direkten Zugang zum Arbeitsmarkt.

Die meisten Geflüchteten sind Frauen mit Kindern

Dennoch haben bisher nur 15 Prozent der Geflüchteten in der Schweiz eine Arbeit finden können. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ist diese Quote tief. Laut Lustenberger sei die Sprache dabei eine grosse Hürde, die sich aber dank Sprachkursen langsam überwinden lasse. Hier sei Caritas Schweiz auch aktiv.

Seit Ende Mai leben Olena und ihr 14-jähriger Sohn Arseny als Flüchtlinge in St. Moritz.
Seit Ende Mai leben Olena und ihr 14-jähriger Sohn Arseny als Flüchtlinge in St. Moritz.

Ausserdem biete Caritas Schweiz Job- und Bewerbungscoachings an. Ein anderes Problem: «Sehr viele Mütter mussten alleine mit ihren Kindern fliehen und sehen sich mit Betreuungsaufgaben konfrontiert», sagt Lustenberger.

Arbeitende Frauen in der Schweiz strukturell benachteiligt

Die Flüchtlingsdemographie lege hier eine Schwachstelle des Schweizer Sozialsystems offen: Die schlechten, weil sehr teuren Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Wenn selbst für Schweizer Familien die Kita-Finanzierung ein Problem ist, dann erst recht für de facto alleinerziehende Mütter – weil der Familienvater im Krieg kämpfen muss.

Diakon Stefan Staub betreut in der katholischen Pfarrei Teufen-Bühler-Stein rund 60 ukrainische Flüchtlinge.
Diakon Stefan Staub betreut in der katholischen Pfarrei Teufen-Bühler-Stein rund 60 ukrainische Flüchtlinge.

Forderungen an die Politik

Die Caritas-Vertreterinnen und Caritas-Vertreter formulieren in Bern drei Forderungen an die Politik. So soll der Schutzstatus S nach zwei Jahren in eine reguläre Aufenthaltsbewilligung B umgewandelt werden. «Das gibt den Menschen mehr Sicherheit zur Lebensplanung», sagt Lustenberger. Wenn Frieden herrsche, würden die meisten wieder in ihre Heimat zurückkehren.

Abschaffung der Asylsozialhilfe gefordert

Des Weiteren fordert Caritas Schweiz die Abschaffung der Asylsozialhilfe. Diese liege deutlich unter dem der Sozialhilfe und reiche daher nicht für ein würdiges Leben in der Schweiz. Drittens wirbt die Caritas für die Einführung eines humanitären Schutzstatus für Menschen, die vor Krieg und Gewalt fliehen müssen.

Neugeborene in einem Spital in Afghanistan.
Neugeborene in einem Spital in Afghanistan.

Geflüchtete aus anderen Ländern, etwa aus Irak oder Afghanistan, empfinden es als ungerecht, dass sie keine Chance auf den S-Status und damit einen Zugang zum Arbeitsmarkt haben.

«Das fordern wir schon lange.»

Andreas Lustenberger, Caritas Schweiz

Auf die Frage, warum Caritas Schweiz die kostenlose Kinderbetreuung nicht als vierte Forderung formuliert habe, antwortet Lustenberger: «Das fordern wir schon lange. Das wäre ein zentraler Schritt in der Armutsbekämpfung in der Schweiz. Nicht nur von Geflüchteten.»


Junge ukrainische Flüchtlingsmutter mit ihrer Tochter | © zVg
22. Februar 2023 | 18:19
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