Karin Iten stellt den Verhaltenskodex des Bistums Chur vor.
Schweiz

Karin Iten: «Der Verhaltenskodex ist das Herzstück des Risikomanagements»

Sexueller und spiritueller Missbrauch verhindern, für Fragen von Nähe und Distanz sensibilisieren: Das Bistum Chur geht mit einem Verhaltenskodex voran. Aktuell will nur das Bistum Lausanne, Genf und Freiburg dem Churer Beispiel folgen. Die Präventionsbeauftragte Karin Iten bekräftigt: den Kodex braucht es. 

Regula Pfeifer

Bisher folgt erst das Bistum Lausanne, Genf und Freiburg dem Vorbild aus Chur. «Ja, wir haben einen Verhaltenskodex, den die Bistumsregion Deutschfreiburg entwickelt hat», schreibt Bistumssprecherin Laure-Christine Grandjean auf Anfrage. Aktuell sei die französische Version davon in der Gegenlektüre.

Schutzkonzept statt Verhaltenskodex?

Die Bistümer St. Gallen, Basel, Sitten und Lugano haben keinen Verhaltenskodex. Und sie planen im Moment auch nicht, einen solchen einzuführen, wie die Kommunikationsverantwortlichen auf Anfrage mitteilen.

Präsentation des Verhaltenskodex im Bistum Chur: Der Graubereich ist nicht strafrechtlich relevant, der Rotbereich schon.
Präsentation des Verhaltenskodex im Bistum Chur: Der Graubereich ist nicht strafrechtlich relevant, der Rotbereich schon.

Die Bistümer St. Gallen und Basel verweisen auf ihre bestehenden Schutzkonzepte. Jenes in Basel «umfasst Prävention und Intervention und wird auf den verschiedenen Mitarbeiterebenen systematisch geschult. Im Zentrum der Schulung steht das Verhalten im Umgang mit Nähe und Distanz», teilt Hansruedi Huber mit. Er ist Sprecher des Bistums Basel.

«Abmachungen und Regeln gemeinsam erarbeiten»

Das «Schutzkonzept für die seelische, geistige und körperliche Integrität der Menschen» im Bistum St. Gallen ist «integraler Bestandteil eines jeden Anstellungsvertrages», schreibt Sabine Rüthemann, Sprecherin des Bistums St. Gallen. Alle Berufsgruppen seien in das Schutzkonzept eingeführt, neue Mitarbeitende würden ebenfalls geschult. «Wer im Raum des Bistums angestellt wird, akzeptiert die Haltungen und Regeln, die im Schutzkonzept festgehalten sind.»

Sabine Rüthemann
Sabine Rüthemann

Die mit dem Thema befassten Gremien und Gruppen haben laut Rüthemann bisher keinen allgemeinen Verhaltenskodex beschlossen. «Wir sind überzeugt, dass Abmachungen und Regeln bezüglich Nähe und Distanz gemeinsam erarbeitet und umgesetzt werden müssen», sagt Rüthemann.

Keine «Aufzählung von vielen Einzelbeispielen»

Auch das Bistum Basel lehnt einen detaillierten Verhaltenskodex ab. «Einen Kodex mit einer Aufzählung von vielen Einzelbeispielen wollten wir nicht. Wir setzen auf die Kompetenz der Unterscheidung», sagt Huber. 

Karin Iten und Stefan Loppacher sind die beiden Präventionsbeauftragten des Bistums Chur.
Karin Iten und Stefan Loppacher sind die beiden Präventionsbeauftragten des Bistums Chur.

Karin Iten war mit Stefan Loppacher federführend bei der Entwicklung des Verhaltenskodexes im Bistum Chur. Das Argument, ein Schutzkonzept reiche aus, lässt sie nicht gelten. Das Schutzkonzept sei ein erster wichtiger Schritt bei der Prävention gewesen, sagt sie. Darin sei etwa festgehalten, dass das Bistum Präventionsbeauftragte einsetzen und Schulungen durchführen sowie Ansprechpersonen definieren müsse. 

Iten: Verhaltenskodex ist notwendig

«Der Verhaltenskodex hingegen ist ein Handlungsinstrument für heikle Situationen des Alltags», so Iten. Es enthalte konkrete Handlungsanweisungen und sei deshalb «das Herzstück des Risikomanagements». Diese Einschätzung teilt die Churer Präventionsbeauftragte nach eigenen Angaben mit spezialisierten ausserkirchlichen Präventionsfachstellen in der Schweiz und im Ausland. Sie verweist auf die Fachstelle Limita in Zürich, die Selbstlaut in Österreich und die Amyna in Deutschland.

Bischof Joseph Maria Bonnemain unterschreibt den Verhaltenskodex. Neben ihm Stefan Müller von der Biberbrugger Konferenz.
Bischof Joseph Maria Bonnemain unterschreibt den Verhaltenskodex. Neben ihm Stefan Müller von der Biberbrugger Konferenz.

«Der Verhaltenskodex gilt im Präventionsbereich als allgemein anerkannter, wichtiger Teil bei der Prävention von sexuellem Macht-Missbrauch. Er hat sich bereits in Behinderteneinrichtungen, an Schulen, in Krippen und vielerorts bewährt», sagt Iten. Deshalb plädiert sie dafür, ihn auch in der Kirche breit einzuführen.

Nichtwissen als häufiges Argument

Der Verhaltenskodex enthält laut der Präventionsbeauftragten konkrete Qualitätsstandards, an die sich sowohl Führungspersonen als auch Angestellte halten müssten. Und diese orientierten sich an konkreten Situationen im Alltag. «Je konkreter die Vorgaben, umso klarer sind die Grenzen, die sie aufzeigen», sagt Karin Iten. 

Chur hat bereits den Verhaltenskodex zum Umgang mit Macht eingeführt.
Chur hat bereits den Verhaltenskodex zum Umgang mit Macht eingeführt.

Damit würden Erwartungen an die kirchlichen Akteurinnen und Akteure transparent. Wer den Kodex unterschrieben habe, könne später nicht sagen, er habe davon nichts gewusst, wenn man ihn mit einem unerwünschten Verhalten konfrontiere. Das Nichtwissen ist ein häufiges Argument, sagt die Präventionsspezialistin.

Lugano möchte in Zukunft auch einen Verhaltenskodex

Dass ein solcher Kodex auf Widerstand stossen kann, ist für Karin Iten nachvollziehbar. Klare Vorgaben könnten als Bevormundung wirken, weiss sie. Doch die Vorteile überwiegen, findet Karin Iten: «Ein Verhaltenskodex schafft Transparenz im Umgang miteinander. Er ermöglicht, konkrete heikle Situationen in Worte zu fassen und zu besprechen. Und er stärkt jene Mitarbeitenden, die ihr Verhalten gut reflektieren.»

Südliches Flair am Seeufer von Lugano
Südliches Flair am Seeufer von Lugano

Das Bistum Lugano teilt mit, es plane einen Verhaltenskodex, «auch wenn der Zeitrahmen noch nicht bekannt ist». 

Schulung im Oberwallis mit Stefan Loppacher

Aus dem Wallis heisst es: «Einen Verhaltenskodex, wie er vom Bistum Chur nun eingeführt wurde, gibt es im Bistum Sitten nicht und ist im Moment auch nicht geplant», sagt Paul Martone, Bistumssprecher für das Oberwallis. Allerdings habe vom 7. bis 9. März ein Präventionskurs «für alle kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter» mit Stefan Loppacher stattgefunden. «Wer daran nicht teilnehmen konnte, wird vom Bistum angeschrieben und für einen weiteren Kurs aufgeboten.»


Karin Iten stellt den Verhaltenskodex des Bistums Chur vor. | © Christian Merz
27. April 2022 | 17:15
Lesezeit: ca. 3 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!