Kardinal Kurt Koch an einem Gottesdienst 2021 in Rom.
Vatikan

Kardinal Koch: «Jesus befiehlt nicht die Einheit, er betet für sie»

Die Weltgebetswoche für die Einheit der Christen hat gestern begonnen. Der Ökumene-Verantwortliche des Papstes, der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch, äussert sich im Interview zur ökumenischen Dimension der christlichen Nächstenliebe. Die Spannungen in der orthodoxen Kirche belasteten die Beziehungen, sagt Koch.

Stefan Kempis

Herr Kardinal, «Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben und deinen Nächsten wie dich selbst», so lautet das Motto der Weltgebetswoche. Das ist natürlich der christliche Imperativ, der über allem steht, aber was bedeutet das ökumenisch für eine Weltgebetswoche für die Einheit der Christen?

Kurt Koch: Wir unterscheiden in der Ökumene ja zwei Formen: die Ökumene der Liebe und die Ökumene der Wahrheit. Ökumene der Wahrheit ist die theologische Aufarbeitung der Probleme, die zu Spaltungen in der Kirche geführt haben; die Ökumene der Liebe ist die Pflege von freundschaftlichen Beziehungen zu den anderen Kirchen. In diesem Sinne ist die Liebe ein Grundmotiv der Ökumene, denn wenn ich einen Menschen wirklich liebe, dann will ich ihn auch erkennen – und wenn wir freundschaftliche Beziehungen zur anderen Kirche pflegen, geht es auch darum, sie in ihren Charismen kennenzulernen. In diesem Sinne ist die Ökumene der Liebe die Voraussetzung, um überhaupt theologische Dialoge führen zu können.

Patriarch Bartholomaios I. und Papst Franziskus bei der Ökumenischen Begegnung und Friedensgebet in der Kathedrale Unserer Lieben Frau von Arabien in Awali (Bahrain), 4. November 2022
Patriarch Bartholomaios I. und Papst Franziskus bei der Ökumenischen Begegnung und Friedensgebet in der Kathedrale Unserer Lieben Frau von Arabien in Awali (Bahrain), 4. November 2022

Das ist ja gerade in diesem Jahr sichtbar geworden: Es sind 60 Jahre her, seit Papst Paul VI. und der Ökumenische Patriarch sich in Jerusalem umarmt haben. Ich glaube, dieses Zeichen der Liebe und der Freundschaft ist zum Ausgangspunkt grosser Ökumene geworden.

«Das christologische Bekenntnis erneuern»

Das setzt natürlich einen Akzent bei dieser Weltgebetswoche: Sechzig Jahre Umarmung des griechisch-orthodoxen Patriarchen mit Paul VI. bei dessen spektakulärer Reise ins Heilige Land. Was sind in diesem Jahr womöglich andere Marksteine in ökumenischer Hinsicht?

Koch: Ich denke, vor allem bereiten wir uns vor für das nächste Jahr. 2025 feiern wir 1700 Jahre des ersten Ökumenischen Konzils in Nicäa, das 325 stattgefunden hat. Da sind wir, auch mit dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus, in Vorbereitung, wie wir das gemeinsam feiern, denn dieses Konzil hat ja zu einer Zeit stattgefunden, in der die Kirche noch nicht von so vielen Spaltungen beschädigt war, und deshalb ist dieses Gedenken eigentlich ökumenisch gar nicht zu überschätzen. Es ist eine gute Gelegenheit für alle christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, dieses Konzils in ökumenischer Gemeinschaft zu gedenken und das christologische Bekenntnis zu erneuern – denn der Arianismus gehört nicht nur der Vergangenheit an, sondern ist auch heute präsent!

«Die Organisatoren des Heiligen Jahres tragen dem Rechnung, dass auch dieses Konzilsgedenken stattfinden wird.»

Wird es bei dem Gedenken an Nicäa auch Schnittpunkte geben zum Heiligen Jahr, oder ist es zu früh, das zu sagen?

Koch: Nein, das gehört natürlich zusammen. Es ist nicht gemeinsam programmiert worden, aber die Organisatoren des Heiligen Jahres tragen dem Rechnung, dass auch dieses Konzilsgedenken stattfinden wird und dass das eigentlich in einem schönen Rahmen sein kann.

Der italienische Kardinal Matteo Zuppi (m.) zu Besuch bei Patriarch Kyrill I. (r.) von Moskau und ganz Russland, 29. Juni 2023
Der italienische Kardinal Matteo Zuppi (m.) zu Besuch bei Patriarch Kyrill I. (r.) von Moskau und ganz Russland, 29. Juni 2023

Was sind sozusagen die Baustellen auf ökumenischen Gebiet, für die es bei dieser Weltgebetswoche vielleicht besonders zu beten gilt, dass man da einen Schritt vorwärtskommt?

Koch: Ich denke, in der Ökumene mit den orthodoxen Kirchen leiden wir natürlich auch darunter, dass es grosse Spannungen und Spaltungen innerhalb der Orthodoxie gibt. Wir hatten beispielsweise im vergangenen Juni in Alexandrien die Vollversammlung der Kommission, mit einer grossartigen Gastfreundschaft des Patriarchen – aber vier orthodoxe Kirchen waren nicht präsent: Russland, Serbien, Bulgarien, Antiochien. Und das macht es natürlich schwierig…

«Wir können nicht in die innerorthodoxen Spannungen eingreifen – aber wir sind davon betroffen.»

Natürlich führen wir den Dialog weiter; wir haben auch ein gutes Dokument über Synodalität und Primat im zweiten Jahrtausend und heute verabschieden können. Aber es ist für uns eine grosse Herausforderung. Auf der einen Seite wollen wir und können wir auch nicht in die innerorthodoxen Spannungen eingreifen. Auf der anderen Seite bedeutet Neutralität nicht Indifferenz, sondern wir sind natürlich davon betroffen.

«Es scheint mir wichtig, die spirituelle Dimension wieder neu zu vertiefen.»

Was die Ökumene mit den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen betrifft, scheint mir wichtig, dass wir die spirituelle Dimension wieder neu vertiefen. Denn am Anfang der ökumenischen Bewegung stand eine Gebetsbewegung. Papst Benedikt XVI. hat das einmal mit dem schönen Bild zum Ausdruck gebracht, das ökumenische Schiff wäre nie auf die hohe See ausgefahren, wenn es nicht von einer Gebetsströmung angetrieben gewesen wäre…

Tawadros II., Patriarch von Alexandrien, und Papst des Stuhls des heiligen Markus, und Papst Franziskus - Generalaudienz im Vatikan, 10. Mai 2023.
Tawadros II., Patriarch von Alexandrien, und Papst des Stuhls des heiligen Markus, und Papst Franziskus - Generalaudienz im Vatikan, 10. Mai 2023.

«Die ökumenische Bewegung war ursprünglich eine Gebetsbewegung und muss es bleiben.»

Die ökumenische Bewegung war ursprünglich eine Gebetsbewegung und muss es bleiben, denn das Fundament der Ökumene ist das Hohepriesterliche Gebet des Herrn im 17. Kapitel des Johannesevangeliums, und daran ist ja folgendes interessant: Jesus befiehlt nicht die Einheit, er betet für die Einheit. Und wenn Jesus für die Einheit seiner Jünger gebetet hat, was können wir dann Besseres tun?

Jetzt eine vielleicht etwas komplizierte Frage… Ich habe beim Lesen von «Fiducia supplicans» gedacht: Mit einer pastoralen Dringlichkeit und einem pastoralen Paradigma könnte man doch auch fast unter bestimmten, eng begrenzten Bedingungen eine eucharistische Gastfreundschaft begründen… oder geht das in die falsche Richtung?

Koch: Also, erstens einmal erhalte ich einige negative Reaktionen aus der ökumenischen Welt über «Fiducia supplicans»; wir haben gerade nächste Woche die Vollversammlung der Orientalisch-Orthodoxen hier in Rom, und sie haben schon angemeldet, dass sie über diese Fragen reden können.

«Wir müssen im ökumenischen Dialog über das Thema Segen nachdenken.»

Ich glaube, dass wir im ökumenischen Dialog neu darüber nachdenken müssen: Was ist Segen, und wie ist das Verhältnis von Lehre und Pastoral? Diese Fragen sind jetzt neu akut geworden, und darüber müsste man reden. Von daher, glaube ich, ist jetzt die Übertragung auf die Frage der eucharistischen Gemeinschaft nicht angebracht.

Anzeige ↓ Anzeige ↑

Dieser Beitrag ist zuerst bei «Vatican News» erschienen, Zweitpublikation auf kath.ch mit freundlicher Genehmigung. Kardinal Kurt Koch ist Präfekt des Vatikan-Dikasteriums für die Förderung der Einheit der Christen.


Kardinal Kurt Koch an einem Gottesdienst 2021 in Rom. | © KNA
19. Januar 2024 | 11:00
Lesezeit: ca. 4 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!