Diese Männer gehören laut Pride-Angaben zum homophoben Mob, der den Gottesdienst störte.
Schweiz

Jurist zur Störung des Pride-Gottesdienstes: «Der Staat muss religiöse Veranstaltungen besonders schützen»

Aufregung in Zürich: Junge Männer stören den Pride-Gottesdienst. Das Orga-Team geht von einer trans- und homofeindlich motivierten Aktion aus und erstattet Anzeige. Laut dem Juristen Patrice Zumsteg (33) geniessen religiöse Veranstaltungen einen besonderen Schutz.

Raphael Rauch

Die Zurich Pride teilt mit: «Homophobe und Transphobe greifen Zurich Pride Gottesdienst an. Nach wenigen Minuten wurde der Gottesdienst gestört von einer Gruppe weiss vermummter Männer, die ein weisses Holzkreuz mit Betonboden in die Kirche tragen wollten und sich dabei gefilmt haben.» Welche Straftaten könnte der Männer-Mob begangen haben?

Patrice Zumsteg*: Gleich mehrere. Wir haben ja über die Strafnorm gegen Diskriminierung und Aufruf zu Hass abgestimmt – und hierunter fällt neuerdings ja auch Homophobie. Von daher dürfte diese Strafnorm in diesem Fall greifen. Doch es gibt auch andere Straftatbestände, die in Frage kommen. Wenn bei der Stör-Aktion Sachschaden entstanden ist, zum Beispiel Kratzer am Kirchenboden, kann das Sachbeschädigung darstellen. 

Patrice Zumsteg ist Rechtsanwalt in Zürich.
Patrice Zumsteg ist Rechtsanwalt in Zürich.

Haben die Männer auch Hausfriedensbruch begangen?

Zumsteg: Mit dem Vorwurf des Hausfriedensbruchs ist es etwas schwieriger: Es war ja ein öffentlicher Gottesdienst, zu dem alle kommen können. Wenn allerdings eine zuständige Person den Mob aus der Kirche verwiesen hat und er dem nicht Folge leisten wollte, könnte man den Tätern auch Hausfriedensbruch vorwerfen. 

«Gottesdienste stehen unter besonderem Schutz.»

Die Religionsfreiheit ist in der Schweizer Verfassung besonders geschützt, auch der Religionsfriede. Was bedeutet das?

Zumsteg: Die Religionsfreiheit ist nichts Abstraktes – aus ihr entstehen Schutzpflichten. Der Staat steht in der Verantwortung, zu garantieren, dass alle Gläubigen ihre Religion frei ausüben können. Und Bund und Kantone müssen auch Massnahmen zum religiösen Frieden ergreifen. Gottesdienste stehen also tatsächlich unter besonderem Schutz.

Die Zürcher Kirchen St. Peter und Paul (katholisch) und von St. Jakob (reformiert) spiegeln sich.
Die Zürcher Kirchen St. Peter und Paul (katholisch) und von St. Jakob (reformiert) spiegeln sich.

Was heisst das konkret?

Zumsteg: Die Behörden sollten darüber nachdenken, ob sie queere Gottesdienste vielleicht künftig stärker auf dem Radar haben. Man muss jetzt nichts überdramatisieren, aber dass auch Gottesdienste Opfer von Homophobie werden, ist für mich neu. Das dürfen wir und die zuständigen Behörden nicht ignorieren.

«Homophobie geschieht oft im Graubereich.»

Die Zurich Pride weist in ihrem Communiqué darauf hin: «Bei der Polizei wurde Anzeige erstattet, der Vorfall wird der LGBT-Hotline gemeldet, um Hate Crimes zu erfassen. Diese Statistik wird nicht vom Staat erfasst, sondern von queeren Organisationen.» Ist der Staat zu lax im Umgang mit Homophobie – oder warum braucht es eine eigene Erfassung?

Zumsteg: Nicht alles, was homophob ist, ist ein Fall für die Strafbehörden. Homophobie geschieht oft im Graubereich. Alleine aus der polizeilichen Kriminalstatistik lassen sich keine aussagekräftigen Erkenntnisse dazu ableiten. Queere Organisationen tun das, was zum Teil auch jüdische Organisationen machen: Sie registrieren selbst Fälle, um die Dunkelziffer und den Graubereich besser auszuleuchten. Hinzu kommt, dass es auch bei den Strafverfolgungsbehörden blinde Flecken gibt. Nicht jedem Beamten oder jeder Beamtin ist immer klar, dass eine Straftat auch eine homophob motivierte Dimension haben kann.

«Wir brauchen die Pride, um Probleme sichtbar zu machen. Es geht nicht nur um Konzerte und Partys.»

Machen Sie sich nach dem Vorfall mehr Sorgen?

Zumsteg: Homophobie ist leider Teil der gesellschaftlichen Realität. Und genau dafür brauchen wir die Pride, um diese Probleme sichtbar zu machen. Es geht nicht nur um Konzerte und Partys – sondern um den Kern des menschlichen Zusammenlebens.

Der promovierte Jurist Patrice Zumsteg (33) ist Dozent für Staats- und Verwaltungsrecht an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW, Winterthur, und arbeitet als Rechtsanwalt in Zürich. Zumsteg ist Mitglied der FDP und im Organisationskomitee der Zurich Pride.


Diese Männer gehören laut Pride-Angaben zum homophoben Mob, der den Gottesdienst störte. | © zVg
19. Juni 2022 | 20:11
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