SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner
Schweiz

Jonathan Kreutner: «Die jüdische Gemeinschaft wäre erleichtert»

Werden Nazi-Symbole in der Schweiz bald verboten? Das hofft der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG). «Mit der Verwendung von Nazi-Symbolen wird direkt gewollt oder indirekt in Kauf genommen, dass das Leid und der Schmerz von Millionen von Menschen instrumentalisiert und missbraucht wird», sagt Jonathan Kreutner.  Er baut auf ein Spezialgesetz, bei dem ein Verbot schrittweise umgesetzt werden kann.

Sarah Stutte

Auf Ihrer Homepage betonen Sie, dass das SIG die Marschrichtung des Nationalrats zu einem Verbot von Nazi-Symbolik unterstützt, ein Spezialgesetz aber am effektivsten wäre. Warum?

Jonathan Kreutner*: Derzeit sind verschiedene Vorstösse im Parlament hängig, die ein Verbot von Nazi-Symbolen zum Ziel haben. Vor kurzem wurde die Motion von Nationalrätin Marianne Binder-Keller im Nationalrat deutlich angenommen. Weiter hängig ist ein ähnlicher Vorstoss von Nationalrat Angelo Barille.

Delegiertenversammlung des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes in Zürich.
Delegiertenversammlung des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes in Zürich.

In den Beratungen der Rechtskommission des Nationalrats zu einem solchen Verbot hat sie im Januar 2023 zusätzlich ein «Spezialgesetzliches Verbot der öffentlichen Verwendung von nationalsozialistischen Symbolen» vorgeschlagen. Der SIG unterstützt grundsätzlich alle genannten Vorstösse, die aber noch alle unterschiedlichen parlamentarischen Hürden nehmen müssen.

Warum wollen Sie ein Spezialgesetz?

Beim spezialgesetzlichen Verbot besteht ein Vorteil, dass hier schrittweise vorgegangen werden kann. Die Kommission kann in einem ersten Schritt einen klaren und nachvollziehbaren Katalog an nationalsozialistischen Symbolen definieren, die verboten werden sollen. Die Gefahr einer Verzettelung bei der Definition einer abschliessenden Liste wird somit umgangen.

In Deutschland und Österreich ist ein solches Gesetz schon lange verankert. Warum ist das bisher in der Schweiz nicht geschehen? Ist das nicht selbstverständlich?

Kreutner: In Deutschland und Österreich spielen auch historische Gründe mit. In der Schweiz brauchen auch manche «selbstverständlichen» Änderungen ihre Zeit. Das ist in Teilen dem austarierten politischen System geschuldet. Es ist aber auch so, dass erst jetzt seit ein paar Jahren wieder ein wahrnehmbarer gesellschaftspolitischer Druck für ein solches Verbot besteht.

Wie verbreitet war die Nazi-Ideologie in der Schweiz?
Wie verbreitet war die Nazi-Ideologie in der Schweiz?

In der Vergangenheit gab es auch schon Versuche rassistische, extremistische und diskriminierende Symbole zu verbieten. Dies scheiterte jedoch daran, dass sich das Parlament zuerst überhaupt auf so eine Liste hätte einigen müssen. Darum fordern wir auch in einem ersten Schritt die Fokussierung auf Nazi-Symbole und stehen für ein schrittweises Vorgehen ein, das auch bald Resultate zeigt.

Was würde ein solches Verbot von Nazi-Symbolen in der Schweiz für die Arbeit des SIG bedeuten? Gerade auch im Hinblick auf den jährlichen Antisemitismusbericht?

Kreutner: Für den SIG und seine Aufgabe in den Bereichen Antisemitismusanalyse und -beobachtung würde sich nichts ändern. Nazi-Symbole in einem antisemitischen Kontext werden von uns jetzt schon erfasst. Neu bestünden aber mehr Möglichkeiten dagegen vorzugehen. Ausserdem wird der Staat damit mehr in die Pflicht genommen. 

Wie beurteilen Sie die Gegenargumente zum Verbot? Beispielsweise dasjenige des Bundesrats, dass die momentane Rechtsprechung eigentlich schon ausreichend sei?

Kreutner: Dem widersprechen wir entschieden. Hakenkreuzfahnen oder Hitlergrüsse sind derzeit in der Schweiz nur dann verboten, wenn damit in der Öffentlichkeit für die NS-Ideologie geworben werden soll. So können Rechtsextreme unter sich, und das auch in der Öffentlichkeit, auf solche Symbole zurückgreifen. Das nutzen sie auch aus.

Das Holocaust-Denkmal in Berlin.
Das Holocaust-Denkmal in Berlin.

Auch haben wir in den letzten Jahren vermehrt gesehen, dass Nazi-Symbole für öffentlichkeitswirksame Skandalisierungen oder Betonungen eigener politischer Botschaften missbraucht werden, siehe die Verwendung von NS-Symbolen rund um Corona-Demonstrationen. Auch hier fehlt zurzeit die rechtliche Handhabe. Das müssen wir ändern.

Ein weiteres Gegenargument des Bundesrats ist, dass ein generelles Nazi-Symbolverbot sich auch gegen Ausstellungen beispielsweise zum Nationalsozialismus richten würde. Was ist an diesem Gedanken dran?

Kreutner: Nichts. Genau für solche Fälle aus Wissenschaft, Kultur und Bildung werden Regeln und Ausnahmen vorgesehen werden.

Wie würde ein solches Verbot in der jüdischen Gemeinschaft aufgenommen?

Kreutner: Für die jüdische Gemeinschaft würde ein Verbot von Nazi-Symbolen eine grosse Erleichterung darstellen. Mit der Verwendung von Nazi-Symbolen wird direkt gewollt oder indirekt in Kauf genommen, dass das Leid und der Schmerz von Millionen von Menschen instrumentalisiert und missbraucht wird. 

Falls ein solches Verbot durchgesetzt würde, wie sieht der Zeithorizont der Umsetzung aus?

Kreutner:Da sich die verschiedenen Vorstösse noch mitten in den parlamentarischen Prozessen befinden, lässt sich noch wenig über einen Zeithorizont sagen.

*Jonathan Kreutner ist Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG).


SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner | © zVg
23. Juni 2023 | 14:00
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