Jacques Nuoffer
Schweiz

Jacques Nuoffer: «Ideal wäre eine Missbrauchsstudie wie in Frankreich»

Der Westschweizer Opfervertreter Jacques Nuoffer wird beim Pilotprojekt zum Missbrauchskomplex in der Schweiz einbezogen. Jetzt komme es auf die Qualität des Zuhörens an, sagt er am Montag an der Pressekonferenz in Lausanne. Er glaubt, dass die Studie ein ähnliches Resultat zeigen wird wie in anderen Ländern.

Raphaël Zbinden, cath.ch /Adaption: Regula Pfeifer

Die Schweizer Bischöfe haben keine sofortige grossangelegte Studie nach dem Vorbild der französischen Ciase-Studie angekündigt. Teilen Sie die Enttäuschung, die einige im Saal heute geäussert haben?

Jacques Nuoffer*: Ich denke, dass dies ein wenig «nach Schweizer Art» geschieht. Bevor sie loslegen, wollen die Instanzen alles in Ordnung bringen, sicherstellen, dass alles korrekt ablaufen kann… Ich muss sagen, dass ich ein gewisses Verständnis für diese Art der Vorgehensweise entwickelt habe. Mit zunehmendem Alter werde ich vielleicht weniger ungeduldig (lacht).

«Die Pilotstudie ist ein kleiner Schritt vorwärts.»

Man kann auch nicht sagen, dass die französischen Bischöfe sehr schnell gehandelt haben, da eine solche Untersuchung schon sehr lange gefordert wurde. Sie haben auch unter dem Druck der öffentlichen Meinung gehandelt. In der Schweiz scheint mir die Kirche williger gewesen zu sein, obwohl sie sich auch Zeit gelassen hat. Diese Pilotstudie ist ein kleiner Schritt vorwärts, aber immerhin ein Schritt.

«Ich begrüsse es, als Redner zur Pressekonferenz eingeladen worden zu sein.»

Sie fordern seit langem, dass die Opferverbände in den Prozess einbezogen werden. Sind Sie in dieser Hinsicht mit dem gestarteten Projekt zufrieden?

Nuoffer: Ich begrüsse bereits die Tatsache, dass ich als Redner zur Pressekonferenz eingeladen wurde. Ich denke nicht, dass wir von den kirchlichen Instanzen vernachlässigt werden. Die Tatsache, dass das Pilotprojekt unsere Beteiligung vorsieht, ist positiv. Aber man muss den Abschluss der Vorstudie abwarten, um ein wirkliches Urteil über das Vorgehen zu fällen. Die Methode, mit der die Opfer angehört werden, wird besonders wichtig sein. Die Qualität des Zuhörens gegenüber den betroffenen Personen wird zählen.

«Es wäre aufschlussreich, die Missbrauchsrate in den verschiedenen Diözesen zu kennen.»

Was erwarten Sie letztendlich von dem in der Schweiz begonnenen Erinnerungsprozess?

Nuoffer: Idealerweise sollte eine ähnliche Studie wie die Ciase-Studie durchgeführt werden. Es wäre sehr aufschlussreich, insbesondere die Missbrauchsrate in den verschiedenen Diözesen zu kennen. Ein Vorteil der französischen Studie war auch, dass sie nicht nur Zahlen nannte. Sie untersuchte auch die Ursachen des Missbrauchs aus der Sicht verschiedener Disziplinen und gab der Kirche sehr relevante Empfehlungen. Ich glaube nicht, dass die Diagnose in der Schweiz wirklich anders ausfallen wird als in anderen Ländern. Das könnte einen Ansatz für Überlegungen zur Prävention von Missbrauch bilden, auch von spirituellem Missbrauch.

«Wir wollen unser Zeugnis ablegen können.»

Die grösste Stärke der Sauvé-Kommission ist jedoch, dass sie die Opfer in den Mittelpunkt gestellt hat. Was wir wollen, ist letztlich nichts anderes, als unser Zeugnis ablegen zu können, unseren Blick auf das zu lenken, was wir erlitten haben. Und mein grösster Wunsch ist es, dass ein Untersuchungsbericht in der Schweiz der Öffentlichkeit diese Dimension voll und ganz vermitteln kann.

*Jacques Nuoffer ist Mitbegründer der Gruppe Sapec, der Vereinigung von Opfern von Übergriffen durch Priester in der Westschweiz.

Der Ciase-Bericht in Frankreich

In Frankreich ist im Oktober 2021 eine Studie der Unabhängigen Untersuchungskommission zu sexuellem Missbrauch in der Kirche (Ciase) vorgestellt worden. Diese hatten die französischen Bischöfe im November 2018 in Auftrag gegeben. Vorsitzender der Kommission war der frühere Richter Jean-Marc Sauvé. Der Bericht rechnete auf wissenschaftlicher Basis hoch, dass es seit 1950 rund 216’000 Opfer sexueller Übergriffe durch Priester, Ordensleute und Kirchenmitarbeiter in Frankreich gibt, beziehungsweise gab. (rp)


Jacques Nuoffer | © Bernard Hallet
5. April 2022 | 11:55
Lesezeit: ca. 2 Min.
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