Jacques Herzog: «Religiöse Gebäude haben eine unglaubliche suggestive Kraft»
Der Stararchitekt Jacques Herzog plant in Graubünden eine Autobahnkirche. Der Astronaut Claude Nicollier hat vom Weltall aus seinen Blick auf die Erde relativiert. «Die Dogmatik ist eine flexible Wissenschaft», sagt Bischof Felix Gmür. Über eine Begegnung mit der RKZ «zwischen Himmel und Erde».
Raphael Rauch
Wenn Jacques Herzog, Gründer des Basler Architekturbüros «Herzog und De Meuron», und der Astronaut Claude Nicollier kommen, dann kommen auch die Schweizer Bischöfe. Erstmals in der 51-jährigen Geschichte der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) gab es am 25. März in Näfels GL einen gemeinsamen Anlass von allen RKZ-Delegierten und den Schweizer Bischöfen.
Weltall und Weltarchitektur im Freulerpalast
Bis auf den Bischof von Lugano und den Abt von Saint-Maurice kamen alle Mitglieder der Schweizer Bischofskonferenz. Für Davide Pesenti und Martin Wey, dem neuen Generalsekretär der Bischofskonferenz und seinem Stellvertreter, ist der Anlass eine gute Gelegenheit, die RKZ-Delegierten kennen zu lernen.
Die Stimmung ist ausgesprochen gut. Es gibt was zu feiern: Seit 50 Jahren gibt es die Dachorganisation der katholischen Kantonalkirchen, die RKZ. Konfliktthemen, wie es sie mit den Bischöfen immer wieder gibt, werden an diesem Tag ausgeklammert. Im historischen Freulerpalast in Näfels geht es um Inspiration, um Weltall und Weltarchitektur.
Bau der Autobahnkirche in Andeer verzögert sich
Im Februar 2020, kurz vor dem Corona-Lockdown, hat Stararchitekt Jacques Herzog erste Pläne für die geplante Autobahnkirche in Andeer GR vorgestellt. Damals war geplant, der Rohbau solle bis Ende 2022 fertiggestellt werden. Doch Corona hat den Zeitplan durcheinandergebracht. Die Interessengemeinschaft will in den nächsten Monaten das Fundraising wieder hochfahren. Noch fehlt ein Grossteil der Gelder für das Millionenprojekt.
Jacques Herzog erzählt, dass er zwar protestantisch geprägt sei, sich aber immer über die Bilderstürmer der Reformation geärgert habe: «Da ist reiches Bildmaterial verloren gegangen.» Er bewundert die orthodoxe Baukultur ebenso wie die «Mezquita», die Kathedrale im spanischen Córdoba. Sie wurde als Moschee gebaut und später in eine katholische Kirche umgewidmet.
Über das Physische das Spirituelle erreichen
«Religiöse Gebäude haben eine unglaubliche suggestive Kraft», sagt Jacques Herzog. Unabhängig von religiösen Prägungen gehe es darum, etwas anzusprechen, «was jeder Mensch hat, wenn er sich öffnet». Die Architektur stehe dabei vor einer paradoxen Aufgabe: «Wir brauchen das Physische, um etwas anderes, das Spirituelle zu erreichen.»
Neben einer lauten Autobahn einen sakralen Raum schaffen – wie geht das? Jacques Herzog spricht davon, einen «Un-Ort» zu verwandeln: in einen einladenden Ort, wo die Menschen «Besinnliches erfahren, zu sich selbst kommen, ihre Füsse auf dem Boden spüren, ins Hören kommen. Die Architektur spricht all die sinnlichen Faktoren an.»
Kirche unter der Erde
Ein Grossteil der Autobahnkirche soll unter der Erde liegen: Über eine schneckenförmige Treppe geht es in die Tiefe. In kleinen, intimen Räumen soll es eine Bibel und ein Anliegen-Buch geben. Der Architekt verweist auf ein rotes Kirchenfenster vor dem Ausgang: «Das wird den ganzen Raum rot färben. Und das rote Licht produziert als Gegenreaktion eine komplementäre Wirkung. Wenn wir nach draussen gehen, wird die grüne Landschaft viel wahrnehmbarer.»
Von anderen Autobahnkapellen wolle er sich nicht inspirieren lassen, sagt Jacques Herzog: Ihm helfe es, «historische Orte zu besuchen» oder Eindrücke «auf der Strasse» zu sammeln, «was mit meinem Leben, mit meiner Erfahrung zu tun hat. Daraus kann man selbst etwas entwickeln. Alles andere blockiert mich eher.»
Claude Nicollier: Den Planeten Erde schützen
Vor Herzogs Referat, das unter die Erde Graubündens führt, hatte der bislang einzige Schweizer im Weltraum, Claude Nicollier, den Blick ins Universum geweitet. «Das Universum ist voller Leben», sagt Claude Nicollier. Er berichtet von seinem Blick vom Weltall auf die Erde, der Vieles relativiere. Etwa Veränderungen, die lange Zeit brauchten. Er erklärt, wie aus Gaswolken Sterne werden: «Das dauert Millionen Jahre.»
Den Planeten Erde zu schützen, betont Claude Nicollier, sei «absolute Priorität, und der Zugang zum nahen Weltraum hilft uns dabei, diese Aufgabe zu erfüllen».
Komplexes Universum und christliche Heilsgeschichte
RKZ-Präsidentin Renata Asal-Steger ist von der «grossen Leidenschaft» beeindruckt, mit der Claude Nicollier und Jacques Herzog schöpferisch unterwegs sind: «Sie haben uns ins Staunen versetzt und unseren Blick geweitet für die Welt zwischen Himmel und Erde.»
Aus dem Publikum kommt die Frage, wie sich die christliche Heilsgeschichte mit dem komplexen Universum vertrage. «Die Dogmatik ist eine flexible Wissenschaft», sagt Bischof Felix Gmür. Vielleicht gebe es auf anderen Planeten auch einen Jesus. «Unsere Religion ist konkret. Wir leben konkret auf der Erde. Wir sind hier. Wir müssen für unsere Erde Antworten finden.»
Bischof Felix Gmür will ins Weltall
Der Architekt Jacques Herzog sagt, er möge das Wort Transzendenz nicht sonderlich. Bischof Felix Gmür mag es hingegen: «Es drückt aus, was uns übersteigt, nach innen oder aussen.»
Hier sieht der Präsident der Schweizer Bischofskonferenz Gemeinsamkeiten zwischen Religion, Architektur und Technik: «Wir sind am Suchen. Ich suche auch gerne, und manchmal weiss man gar nicht, was man sucht und findet.» Felix Gmür sagt, er würde gerne wie Claude Nicollier ins Weltall fliegen. Allerdings befürchtet er, dies könne an seiner Fitness scheitern.
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