Die Video-Aufnahme zeigt den Künstler Abraham Poincheval im Inneren der Statue.
Schweiz

Isolation, Meditation, Martyrium: Künstler schliesst sich sieben Tage in Bartholomäus-Statue ein

Lebendig begraben und unter ständiger Beobachtung einer Kamera: Der Franzose Abraham Poincheval (50) verbringt sieben Tage in einer Statue des heiligen Bartholomäus. Er kann sich kaum bewegen und hat nur Wasser, komprimierte Nahrung, Ventilator und eine Trockentoilette. Über eine Extremerfahrung im Museum für Kunst und Geschichte in Freiburg.

Annalena Müller

Das Original misst nur 101 Zentimeter und stammt aus dem 15. Jahrhundert: die Statue des heiligen Bartholomäus. In der linken Hand hält Bartholomäus ein Buch. Über seinem Arm hängt seine Haut samt Gesicht. Der Märtyrer blickt wissend auf seine Betrachter hernieder.

Bartholomäus wurde bei lebendigem Leib gehäutet

Abraham Poincheval hätte auch eine andere Statue als Vorbild wählen können. An Heiligen- und Märtyrerstatuen herrscht im Museum für Kunst und Geschichte in Freiburg kein Mangel. Aber der Franzose hat sich für den Heiligen entschieden, der eines der schlimmsten Martyrien überhaupt erlitten hat: Bartholomäus soll bei lebendigem Leib gehäutet worden sein. 

Museumsleiter und Kurator Ivan Mariono neben dem Originial-Bartholomäus aus dem 15. Jahrhundert.
Museumsleiter und Kurator Ivan Mariono neben dem Originial-Bartholomäus aus dem 15. Jahrhundert.

Nach dem Vorbild der kleinen Statue hat Poincheval eine Holzskulptur anfertigen lassen. Sie ist gut drei Meter hoch und circa eineinhalb Meter breit. In diese Holzskulptur hat er sich einschliessen lassen. Im Inneren kann er nur sitzen oder stehen. Wirklich bewegen kann er sich nicht.

Anlehnung an orthodoxe Ikonen

Insgesamt wird der Künstler 168 Stunden in der Statue verbringen. Er verfügt über Wasser, komprimierte Nahrung, einen Ventilator und eine Trockentoilette. In Anlehnung an orthodoxe Ikonen ist der Innenraum mit Goldfolie ausgekleidet. Im Kopf der Statue ist eine Kamera angebracht. 

In der Haut des heiligen Bartholomäus:  Hier verbringt Abraham Poincheval sieben Tage auf kleinstem Raum.
In der Haut des heiligen Bartholomäus: Hier verbringt Abraham Poincheval sieben Tage auf kleinstem Raum.

So können Besucherinnen und Besucher die Umrisse Poinchevals auf einem Bildschirm sehen. Er hingegen kann nichts sehen. Lebendig begraben und dabei unter ständiger Beobachtung: Die Vorstellung löst ambivalente Gefühle aus.

Isolation, Meditation und Martyrium

Das übertragene Bild ähnelt dem einer Wärmekamera. Man kann keine Details wie Mimik erkennen. Aber man sieht, in welchen Positionen der Künstler verharrt. Die Arme vor der Brust verschränkt, den Oberkörper angelehnt. Es ist nicht «Big Brother». Aber das Gefühl der Enge in der Haut des heiligen Bartholomäus wird geradezu plastisch.

Die Besucherinnen und Besucher können mit dem Eingeschlossenen sprechen. Auch das ist Teil der Performance. Aus dem Inneren klingt Poinchevals Stimme gedämpft. «Gut. Es sind ja erst 24 Stunden», antwortet er auf die Frage, wie es ihm gehe. «Es werden auch andere Phasen kommen. Momente, in denen Unruhe und Beklemmungsgefühle stark werden.»

Das eigene Bild zurücklassen

Poincheval weiss, wovon er spricht. Es ist nicht das erste Mal, dass er sich einschliesst. 2017 hat er im Palais de Tokyo eine Woche in einem Stein verbracht. Damals ging es ihm um eine Gegenüberstellung der Schnelligkeit des menschlichen Lebens und der Langsamkeit der mineralischen Welt. 

in diesem „Stein“ hat Abraham Poincheval 2017 eine Woche verbracht
in diesem „Stein“ hat Abraham Poincheval 2017 eine Woche verbracht

In Freiburg nimmt die Befreiung von Selbstbildern eine wichtige Rolle ein. «Am Tag nach seinem Martyrium ist Bartholomäus aufgestanden, hat seine Haut genommen und ist mit ihr weggegangen. Die Erfahrung, sein eigenes Bild zurückzulassen, seine Maske abzulegen, fasziniert mich.»

Abraham Poincheval lässt sich einschliessen.
Abraham Poincheval lässt sich einschliessen.

Der isolierte Körper

Die Installation ist Teil einer Ausstellung, die sich dem isolierten Körper widmet. «Aus einer diachronen Perspektive», wie der Museumsleiter und Kurator Ivan Mariano (43) erläutert. Diachron ist die Ausstellung, weil sie Kunstwerke aus dem Mittelalter und der Gegenwart zusammenbringt. 

Abraham Poincheval ist für spektakuläre Aktionen bekannt: 2017 fuhr er den Lauf der Rhone von der Region Marseille bis zu ihrer Quelle im Wallis.
Abraham Poincheval ist für spektakuläre Aktionen bekannt: 2017 fuhr er den Lauf der Rhone von der Region Marseille bis zu ihrer Quelle im Wallis.

Die Ausstellung thematisiert «Isolation» in vier Sektionen: «Objekte und Symbole», «Personen», «Orte» und «isolierte Körper und zeitgenössische Kunst». Schlüssel und Fussfesseln sind Objekte einer unfreiwilligen Isolation. Unter den Personen trifft man auf den Ur-Mönch und Wüstenvater Antonius (+356) und den Asketen Simeon (+459), welcher drei Jahrzehnte auf einer Säule in Syrien verbracht haben soll. Aber auch auf Fotografien von Gefängnisinsassen aus der Wende zum 20. Jahrhundert. 

Isolation als christliche Erfahrung

Das Nebeneinander von gewählter und erzwungener Isolation ist bewusst. «Nach der Säkularisierung sind viele Klöster in Gefängnisse umgewandelt worden. Die Zellen waren ja schon da», sagt Mariano. Ob selbst gewählt oder oktroyiert – Isolation ist Emotion, Martyrium – und Meditation.

Im Hintergrund die Kamera-Übertragung aus dem Inneren der Statue.
Im Hintergrund die Kamera-Übertragung aus dem Inneren der Statue.

Isolation und Körperlichkeit sind wichtige Sujets der christlichen Mythologie. Im 4. Jahrhundert hatten die Christenverfolgungen aufgehört. Das Martyrium, welches für Gläubige bis dahin die direkte Christusnachfolge ermöglichte, war ausser Reichweite. 

Zu einer tiefen, inneren Ruhe kommen

Radikale Asketen suchten nach neuen Wegen, um das Martyrium Jesu nachzuempfinden. Sie isolierten sich von der Gemeinschaft. Zogen allein in die Wüste, wo sie sich ihren Emotionen genauso aussetzten wie sie ihre Körper mit Hunger, Hitze und Kälte konfrontierten. 

In dieser Statue des heiligen Bartholomäus befand sich der Künstler Abraham Poincheval.
In dieser Statue des heiligen Bartholomäus befand sich der Künstler Abraham Poincheval.

In der christlichen Mythologie sind diese Sujets allgegenwärtig. In einer abgeschlossenen Höhle kämpfte Antonius mit Dämonen. Also mit seinen dunkelsten, innersten Gefühlen. Und Simeon setzte seinen Körper den Temperaturextremen der syrischen Wüste aus. Ziel dieser Praktiken war eine besondere Nähe zu Gott zu erlangen. Zu einer tiefen, inneren Ruhe kommen. All das – und noch viel mehr – thematisiert die Ausstellung. 

Die Ausstellung «Corpus: Der isolierte Körper» ist bis Sonntag, 12. März, im Museum für Kunst und Geschichte in Freiburg zu sehen.


Die Video-Aufnahme zeigt den Künstler Abraham Poincheval im Inneren der Statue. | © Annalena Müller
9. März 2023 | 08:41
Lesezeit: ca. 4 Min.
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