Imam Rehan Neziri unterrichtet muslimische Schüler der vierten Klasse im Wehrli-Schulhaus in Kreuzlingen.
Schweiz

Islamischer Religionsunterricht: erst «eine Handvoll» Angebote in der Deutschschweiz

Während konfessionell-christlicher Religionsunterricht weit verbreitet ist, gibt es das entsprechende Pendant für muslimische Kinder nur an wenigen Schulen – und nur in der Deutschschweiz. Das Angebot ist prekär, personell wie finanziell. Das besagt die neuste Studie der Universität Freiburg.

Regula Pfeifer

Vor 20 Jahren starteten die ersten Pilotprojekte mit islamischem Religionsunterricht an öffentlichen Schulen. Das habe «mancherorts für Aufsehen» gesorgt, schreibt das Schweizerische Zentrum für Islam und Gesellschaft der Universität Freiburg (Schweiz) in seiner neusten Studie. Dabei sei der Sinn eines Angebots analog zum konfessionellen christlichen Unterricht pädagogisch unbestritten gewesen.

Islamischer Unterricht hat es in den Schulen schwer

Trotz der langen Zeitspanne gibt es auch heute erst «eine Handvoll» Angebote islamischen Religionsunterrichts an Schulen, steht in der Studie. Und diese befänden sich ausschliesslich in der Deutschschweiz.

Schüler im Religionsunterricht
Schüler im Religionsunterricht

Die neue Studie trägt den Titel «Religiöse Diversität, interreligiöse Perspektiven und islamischer Religionsunterricht in der Schweiz – Bestandesaufnahme und Gestaltungsspielräume.» Sie untersucht, wie muslimische Kinder und Jugendliche in der Schule zu den ersten Grundlagen religiöser Bildung kommen.

Die Studie untersucht, wie muslimische Kinder und Jugendliche zu den ersten Grundlagen religiöser Bildung in einem schulischen Rahmen kommen. Die Einschränkung auf den schulischen Bereich geschah bewusst.

«Gemäss unseren Beobachtungen gibt es beim islamischen Unterricht an den Schulen eine Qualitätskontrolle, die dem Unterricht zugutekommt», sagt Hansjörg Schmid, Direktor des Schweizerischen Zentrums für Islam und Gesellschaft.

Hansjörg Schmid, Direktor des Schweizerischen Zentrums für Islam und Gesellschaft.
Hansjörg Schmid, Direktor des Schweizerischen Zentrums für Islam und Gesellschaft.

Zudem sei ein solches Unterrichtsangebot breiter aufgestellt. Es spreche alle Schülerinnen und Schüler an. Niemand müsse Mitglied einer bestimmten muslimischen Gemeinschaft sein – dies im Unterschied zum Religionsunterricht an den Moscheen.

Deutschschweiz geht voran

Dass islamischer Religionsunterricht in der Deutschschweiz Fuss fassen konnte, erklärt die Studie – zumindest teilweise – mit dem Fakt: Hier hat sich in den meisten Kantonen der konfessionelle Religionsunterricht halten können. Dies im Unterschied zum «Grossteil» der Romandie und zum Tessin.

So habe sich in der Deutschschweiz – je nach Rechtssituation im jeweiligen Kanton – auch Religionsgemeinschaften jenseits der Landeskirchen die Möglichkeit eröffnet, konfessionellen Religionsunterricht zu erteilen.

Prekäre Situation für muslimische Kinder

Der christlich-konfessionelle Religionsunterricht der Landeskirchen ist in der Deutschschweiz gut organisiert und finanziert. Auch die Aus- und Weiterbildungen sind geregelt. Demgegenüber befindet sich der islamische Religionsunterricht weiterhin in einer prekären Situation, finanziell wie personell.

«Der Unterricht hängt stark von Einzelpersonen ab. Wenn sie aufhören, ist oft auch das Angebot zu Ende», sagt Hansjörg Schmid. Einzig in Kreuzlingen im Kanton Thurgau sei das Angebot stabiler, da es auf einem Trägerverein fusst, dem auch die Schule und die Integrationsfachstelle angehört.

Imam Rehan Neziri unterrichtet muslimische Schüler der vierten Klasse im Wehrli-Schulhaus in Kreuzlingen.
Imam Rehan Neziri unterrichtet muslimische Schüler der vierten Klasse im Wehrli-Schulhaus in Kreuzlingen.

Laut der Studie sind die meisten Angebote von einzelnen Privatpersonen initiiert worden. Sie wurden oder werden an deren Wohnort oder dem Nachbarort angeboten.

«Diese Person kennt hier die Verhältnisse und die zuständigen Personen, oft durch den Schulbesuch der eigenen Kinder. Persönliche Bekanntschaft unter Beteiligten hat denn auch in mehreren Fällen entscheidend dazu beigetragen, dass das lokale Schulgremium und die Schulleitung einem Pilotprojekt zustimmten», wird die Situation dargelegt.

Wil im Kanton St. Gallen ist eine Pionierin

Als positives Beispiel ist Wil im Kanton St. Gallen angeführt. Hier startete denn auch der erste Pilot Ende 2000, der zweite Anfang 2001. Der örtliche Imam der albanischen Moschee, Imam Bekim Alimi, spielte dabei die zentrale Rolle.

Bekim Alimi, Imam der Moschee Wil
Bekim Alimi, Imam der Moschee Wil

Er war Religionslehrer an zwei Schulen und Ansprechperson für Behörden. 2004 unterrichtete er auch in Uzwil. Das Angebot war für die Eltern kostenlos, wurde allerdings 2016 in Uzwil und im Jahr darauf auch in Wil wieder eingestellt.

Kriens, Ebikon und Luzern zeigen Durchhalte-Willen

Im Kanton Luzern initiierten zwei Frauen den islamischen Religionsunterricht im Jahr 2002 an Schulen von Kriens und Ebikon, wo sie auch unterrichteten. Das sind die Wohnorte der beiden. Dieses Projekt läuft weiter. Hinzu gekommen ist zudem ein Angebot in der Stadt Luzern. Zudem haben die Beteiligten 2019 einen Trägerverein gegründet, über den inzwischen für eine Entlöhnung der Lehrpersonen gesorgt wird.

Islamischer Religionsunterricht an einer deutschen Schule
Islamischer Religionsunterricht an einer deutschen Schule

Untersucht wurde die Situation des islamischen Religionsunterrichts auch in den Kantonen Zürich, Thurgau, Schaffhausen und Basel-Stadt. Dieser unterscheide sich von Ort zu Ort, heisst es in der Zusammenfassung der Studie.

Die muslimischen Dachverbände spielen in dieser Angelegenheit keine führende Rolle, sondern eher eine unterstützende. Einzig in den Statuten der Vereinigung der Islamischen Organisationen in Zürich (Vioz) ist demnach der islamische Religionsunterricht als eine Aktivität aufgeführt, den der Verband anstreben sollte.


Imam Rehan Neziri unterrichtet muslimische Schüler der vierten Klasse im Wehrli-Schulhaus in Kreuzlingen. | © zVg
27. März 2023 | 10:47
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Was ist «Islamischer Religionsunterricht»?

Die Studie definiert den islamischen Religionsunterricht folgendermassen: Unter islamischem Religionsunterricht wird hier eine Unterrichtsform verstanden, die in pädagogisch und didaktisch zeitgemässer Form und in der lokalen Landessprache Grundelemente islamischen Glaubens vermittelt und sie mit der hiesigen Lebenswelt der Kinder verknüpft. Er zielt somit besonders auf die religiöse Sprachfähigkeit und damit auf eine Grundbildung für die religionsrelevante Teilidentität von muslimischen Kindern und Jugendlichen im Kontext einer von Diversität geprägten Gesellschaft. Der Unterricht ist in einem islamischen Bekenntnis verankert, umfasst aber gleichermassen Elemente der Reflexion. (rp)