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Schweiz

«In diesem Buch wird Befreiungstheologie neu formuliert»

Basel, 4.11.17 (kath.ch) Am Samstag wird in Basel ein Buch von Theologinnen ausgezeichnet, das den Graben des Mittelmeers überwindet. Weshalb «Nous avons un désir» den Marga-Bührig-Preis erhält, erklärt Luzia Sutter Rehmann. Die Titularprofessorin für Theologie an der Universität Basel präsidiert die Marga-Bührig-Stiftung.

Regula Pfeifer

Weshalb geht der diesjährige Preis ans Buch «There is Something we long for – Nous avons un désir»?

Luzia Sutter Rehmann: Eine vom Stiftungsrat eingesetzte Jury hat die eingesandten Beiträge begutachtet und dieses Buch vorgeschlagen. Der Sammelband ist von Verena Naegeli, Ina Praetorius, Josée Ngalula und Brigitte Rabarijoana herausgegeben. In diesem Buch wird die feministische Befreiungstheologie neu formuliert – über den Graben des Mittelmeers hinaus. Diese Kommunikation über die Kontinente, Länder und Kulturen hinaus ist eindrücklich gelungen. Man sieht, wie die Theologinnen an ähnlichen Fragen in anderem Kontext arbeiten. Und man bekommt als Leserin mit, wie sie miteinander reden und ringen.

In «Nous avons un désir» fragt jede Theologin nach ihrem Wunsch nach einem gerechten Leben.

Was ist am Buch feministisch-befreiungstheologisch?

Sutter: Eine Theologie, die sich im konkreten Lebenszusammenhang entfaltet, ist feministisch-befreiungstheologisch. In «Nous avons un désir» fragt jede Theologin nach ihrem konkreten Wunsch nach einem gerechten Leben. Diese Verbindung von Privatem mit Politischem, von Leben mit Theologie, von Erfahrung mit Bibelwissenschaft ist weiterführend.

Die Autorinnen des Buchs berichten von den freundschaftlichen Verbindungen, die mit ihrem Projekt entstanden sind. Erhält dieses Netzwerk oder das Resultat den Preis?

Sutter: Wir zeichnen immer ein Buch aus, nicht das Vorgehen oder die Frauen selbst – auch nicht für ihr Lebenswerk.

In der Einleitung heisst es, mit ihrer Kommunikation würden kirchlich-patriarchale Strukturen unterwandert. Ist das so?

Sutter: Dieses Buch zeigt auf, wie das geschehen kann oder könnte. Freundschaft und hartnäckige Reflexion, unermüdliches Ringen kann einiges unterwandern.

Ich finde den Fluss der Beiträge, den Drive der Reflexion spannend.

Was gefällt Ihnen daran?

Sutter: Ich finde den Fluss der Beiträge, den Drive der Reflexion spannend. Da entfaltet sich etwas vor meinen Augen, das mich fasziniert.

Ist es das erste Mal, dass der Marga-Bührig-Preis an ein Gemeinschaftsprojekt geht?

Sutter: Nein, 2009 wurden sogar zwei Gemeinschaftsprojekte ausgezeichnet: «lectio diffilior», eine von einem Redaktionsteam betreute europäische elektronische Zeitschrift für feministische Exegese sowie das Faktenblatt «merk.würdig», das die Konferenz der Kirchlichen Frauen- und Genderstellen der Deutschschweiz herausgegeben hatte.

Was für eine Jury hat entschieden?

Sutter: Die Jury wird ökumenisch und sehr breit besetzt: von der Theologieprofessorin bis zur Laientheologin – von Angela Berlis, Professorin an der Universität Bern, bis zur Laientheologin und Lehrerin Gisela Elsässer aus Zürich. Das hängt mit unseren Kriterien zusammen. Ein Buch, das den Marga-Bührig-Preis erhält, muss wissenschaftlich fundiert, klar verständlich und aktuell sein. Gleichzeitig sollten es auch Nichttheologinnen lesen können. Denn Befreiungstheologie hat den Anspruch, keine Insidertheologie zu sein, sondern zu den Menschen zu gehen.

Bei der Preisverleihung wird auch das 20 Jahre-Jubiläum der Stiftung gefeiert. Sie waren 1999 die erste Preisträgerin. Was hat Ihnen das damals gebracht?

Sutter: Freude und Anerkennung, und dies von Fachpersonen. Das kriegen viele Theologinnen oder Forscherinnen zu wenig, besonders an den Universitäten. Ein Förderpreis im richtigen Moment sagt: Mach weiter, du bist auf einem guten Weg!

Am Symposium vor der Preisverleihung kann man die ehemaligen Preisträgerinnen Béatrice Bowald, Claudia Janssen und Eske Wollrad hören. Warum hat die Stiftung sie eingeladen?

Sutter: Unsere ehemaligen Preisträgerinnen sind ausgezeichnete Theologinnen, die man in der Schweiz viel zu selten hört. Wir überlegten, wer von ihnen zu brennenden europäischen Themen etwas zu sagen hat. Denn wir wollen zeigen: Was die Theologinnen damals geschrieben haben, als sie den Preis erhielten, ist aktuell interessant und führt weiter unter dem Thema: «Migration, Gender, Religion – Der Beitrag feministischer Befreiungstheologie für ein offenes und demokratisches Europa».

Symposium und Preisverleihung finden am 4. November, 9.30 – ca. 16 Uhr in der Mission 21 in Basel statt. Am 5. November wird das Buch auch in der DenkBar in St. Gallen vorgestellt (13.45 bis 15 Uhr).
Brücke | © pixabay.com CC0
4. November 2017 | 10:35
Lesezeit: ca. 2 Min.
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Debatte zu Wünschen eröffnet

«Was für ein Wunsch bewegt uns als christliche Theologinnen in Afrika und Europa? Wie wollen wir unsere persönliche Zukunft angehen und jene unserer Gesellschaften und unserer Kirchen?» Das und mehr fragen sich die Theologinnen Verena Naegeli, Josée Ngalula, Ina Praetorius und Brigitte Rabarijaona in der Einleitung zum Buch «Nous avons un désir», das sie gemeinsam herausgegeben haben. 19 Frauen haben 2010 ein interkontinentales Netzwerk Namens «Tsena Malalak» gegründet und sich immer wieder an verschiedenen Orten in Afrika und in der Schweiz getroffen. Das nun publizierte Buch sei auch eine solche Zusammenkunft, schreiben sie. In französisch oder englisch verfassten Aufsätzen äussern sich die Theologinnen zu einem Thema, das sie beschäftigt. Etwa über eine mögliche «Brücke zwischen den Bibelwissenschaften und einer gläubigen Lektüre der Bibel», über den «Wunsch, um sich herum Frieden zu stiften», über den «Wunsch nach Frauen, die in allen Sphären des Lebens stark sind». Eine Theologin auf der gegenüberliegenden Seite des Mittelmeers gibt jeweils ihre kurze Antwort darauf. Damit solle die Debatte eröffnet werden, erklären die Herausgeberinnen und laden Interessierte ein, sich über die eingerichtete Internetseite daran zu beteiligen. «Der Preis ist eine wunderbare Anerkennung für unseren interkulturellen und ökumenischen Austausch», sagt Mitherausgeberin Verena Naegeli auf Anfrage. (rp)