Kein lächelnder Gott: Ikonenausstellung
Schweiz

Ikonenausstellung in Zürich: Von der ukrainischen Front in unsere Hände

Schon länger touren ukrainische Ikonen durch die Schweiz. Zurzeit machen sie im «Jenseits» in Zürich Station. Der orthodoxe Verband wollte sich an der Aktion nicht beteiligen. Trotzdem haben die Ikonen viel Aufmerksamkeit verdient. Ein Gastbeitrag.

Sabine Zgraggen*

Norbert Nagy, Dienststellenleiter des Café Jenseits, begrüsst zur Vernissage im Zürcher «Jenseits» am 26. Januar die vier ukrainischen Künstlerinnen und Künstler: Das musikalische Duo Kateryna Purtseladze und Pavel Ignatiev sowie das Künstlerehepaar Sonia Atlantova und Oleksandr Klymenko.

Norbert Nagy, Leiter "Jenseits" im Viadukt
Norbert Nagy, Leiter "Jenseits" im Viadukt

Seine Ansprache beginnt er so: «Normalerweise gibt es keine Ikonen auf Munitionskisten. Und doch erleben wir gerade Zeiten, die alles andere als normal sind. Mit dieser aussergewöhnlichen Ikonenaustellung wollen wir die Abnormalität, ja Absurdität unserer Gegenwart abbilden und dabei auf Hoffnung setzen», sagt Norbert Nagy. Denn diese modernen Kunstwerke würden die Kernbotschaft des Evangeliums darstellen: Veränderung, Verwandlung, Metamorphose seien möglich. Es werde ein herausfordernder Abend mit «Dunkelheit» und «Licht».

Ukraine unterstützen

Darauf folgt eine vielschichtige Klangerfahrung der Sängerin Kateryna. Sie überlagert ihre eigenen Klänge mittels eines Gerätes. So werden die Anwesenden in eine andere Welt entführt. Und alles ist andächtig still.

Das musikalische Duo Pavel Ignatiev und Kateryna Purtseladze.
Das musikalische Duo Pavel Ignatiev und Kateryna Purtseladze.

Dann spricht Michel Müller, Kirchenratspräsident der evangelisch-reformierten Kirche Zürich. Er sagt, dass wir als Christinnen und Christen unsere Stimmen erheben müssen. Die Geschichte werde später über die Kirchen urteilen. Deshalb sei es auch wichtig, durch den Kauf der hier gezeigten Ikonen – denn diese könnten erworben werden – die ukrainische Sache zu unterstützen.

Ökumenische Verbundenheit

Der Synodalrat der Katholischen Kirche Zürich, Tobias Grimbacher, erklärt danach, dass für die katholische Kirche schnell klar gewesen sei, dass sie sich an dieser Ausstellung beteiligen wolle. Es gehe dabei um eine ökumenische Verbundenheit und ein gegenseitiges Kennenlernen. Nicht nur mit der reformierten Kirche, sondern auch mit den Orthodoxen.

Der katholische Synodalrat Tobias Grimbacher (links) und Michel Müller, Kirchenratspräsident der evangelisch-reformierten Kirche Zürich.
Der katholische Synodalrat Tobias Grimbacher (links) und Michel Müller, Kirchenratspräsident der evangelisch-reformierten Kirche Zürich.

So setze sich die katholische Kirche Zürich auch sonst für die orthodoxen Gemeinden ein und finanziere beispielsweise den Verband der orthodoxen Kirchen Zürich mit. Für die orthodoxen Christinnen und Christen hätten Ikonen eine heilige Bedeutung. Das sei dann auch die offizielle Begründung gewesen, warum sich der orthodoxe Verband an dieser Aktion nicht beteiligen wollte.

Aus dem Jenseits ins Diesseits

Tobias Grimbacher findet, dass man dieses Argument zumindest ernst nehmen muss: Bei Ikonen ginge es um einen Blick auf Christus. Und durch die Ikonen hindurch soll Heilsames geschehen. Ihm sei dabei als Erstes das Bibelzitat «Schwerter zu Pflugscharen» aus dem Buch Micha in den Sinn gekommen: Aus Kriegsgerät Botschafter für den Frieden machen. Das sehe er jetzt durch diese Kunst hier verwirklicht. Statt den Krieg anzuheizen, solle die Kernbotschaft Jesu Christi neu gelebt werden: Gewalt und Tod überwinden. Aus dem «Jenseits» – von diesem Ort aus – ins Diesseits gehen.

Publikum im Jenseits, Künstlerehepaar mit Blumen.
Publikum im Jenseits, Künstlerehepaar mit Blumen.

Der Treffpunkt «Jenseits im Viadukt» sei keine Welt des Konsums und Schickimicki. Das «Jenseits» biete Platz für Meditation und Gebet. «Die Ikonen sind hier keine blossen Kunst-Objekte, sondern Subjekte des Glaubens. Sie zeigen etwas von Gott, machen sichtbar. Sie helfen uns zu überwinden, was überwunden werden soll», sagt Tobias Grimbacher. Er  wünsche dieser Ausstellung deshalb viele Besucherinnen und Besucher.

Das schreckliche Nichts

Der Moderator bittet das Künstlerehepaar – Sonia Atlantova und Oleksandr Klymenko – nach vorne. Eine Dolmetscherin ist mit dabei und Rahel Černá-Willi, die Vereinspräsidentin des Instituts G2W, dem Ökumenischen Forum für Glauben, Religion und Gesellschaft in Ost und West. Letztere berichtet kurz über dieses Bündnis, das sich seit über 50 Jahren auf die Hilfe für Osteuropa konzentriert.

Die Künstler Sonia Atlantova und Oleksandr Klymenko
Die Künstler Sonia Atlantova und Oleksandr Klymenko

Dann fragt Černá-Willi den Künstler Klymenko: «Was erleben Sie, wenn Sie die Munitionskisten von der Front abholen?» Der Künstler antwortet auf Russisch und die Dolmetscherin übersetzt: Er habe das Gefühl, wie in einem Horrorfilm zu sein. Die Kisten würden tief in der Erde in einem Lager liegen. Wie Särge. Aus diesen Gräben steige der Tod. Er fühle, dass man mit diesem Schrecken etwas tun müsse. Dafür habe er sich als Künstler entschieden. Er wolle das schreckliche Nichts verwandeln helfen in etwas, das lebt!

Sieg des Lebens

«Wenn die Menschen die Ikonen betrachten, werden sie es sehen», sagt Klymenko. Und weiter: «Sie werden sehen, dass dieser Krieg vorbei gehen wird. Wie das Leid von Jesus vor 2000 Jahren. Wir reden vom Sieg des Lebens über den Tod. Nicht nur symbolisch, ganz konkret». Der Verkauf dieser Ikonen solle den Aufbau von Spitälern in der Ukraine ermöglichen. Für ein Spital konnte dies bereits verwirklicht werden. Jetzt würden die Künstler ein zweites, mobiles Spital unterstützen.

Ikonen auf Munitionskisten aus der Ukraine.
Ikonen auf Munitionskisten aus der Ukraine.

Klymenko erklärt, dass die Soldaten ein Teil dieses Projektes seien. Denn sie brächten ihm diese Kisten. Er sehe das als einen grossen schöpferischen Akt. Denn sie würden ihr Leben nicht nur für ihr Land riskieren, sondern auch dafür, dass diese Kisten zu ihm gelangen würden.

Verwandlung und Auferstehung

Dann kommt seine Frau Sonia zu Wort. Sie spricht Englisch. Schweigend holt sie eine ihr wichtige Ikone von der Stafette im Raum. Sie beschreibt eine in Blau gehüllte Muttergottes. Es ist die Mutter Gottes der brennenden Felder. «Wenn es nichts mehr zu Essen gibt, beten wir nicht nur allgemein zur Muttergottes, wir beten auch für die Bewahrung der Schöpfung. Dadurch kann das brennende Feld in ein neues Feld verwandelt werden: Mit Blumen, mit Korn und mit Vögeln». Während sie spricht, hat sie Tränen in den Augen.

Gott als Glück? Ikonen in Zürich
Gott als Glück? Ikonen in Zürich

Oleksandr Klymenko erklärt, dass das Thema der Auferstehung sehr präsent sei in der ukrainischen Bevölkerung. Es handle sich um eine gläubige Gesellschaft. Das zeige sich am Ostergruss: Christus ist auferstanden. Normalerweise hiesse die Antwort darauf ja, er ist wirklich auferstanden. Heute würden sich die Menschen zum Gruss sagen: Die Ukraine wird auch auferstehen! Der tiefe Glaube daran sei da.

Freiheit des Menschen

Dann gibt er ein Zeugnis ab: Sein Glaube sei nicht kleiner geworden. Im Gegenteil. Er habe grossen Respekt vor Gottes Rat. Er würdige, dass Gott uns Menschen die Freiheit gab. «Die Freiheit, etwas Schlechtes zu tun. Aber ebenso kann jeder etwas Gutes tun. Gott respektiert unsere Entscheide.» Oleksandr Klymenko bringt ein Zitat eines Gelehrten vom Berg Athos. Sinngemäss bedeutet es: Geist und Körper dürfen jetzt nicht doppelt verzweifeln.

Oleksandr Klymenko: "Jeder kann etwas Gutes tun."
Oleksandr Klymenko: "Jeder kann etwas Gutes tun."

Die Dolmetscherin übersetzt weiter: Tatsächlich hätte der Künstler fröhliche Menschen an der Front getroffen. Soldaten, die sich am Kleinsten freuen konnten. An einem Schluck Wasser, an einem Brötchen. Oder einfach darüber, dass heute niemand links oder rechts von ihnen gestorben sei.

Den Horizont teilen

An Michel Müller gewandt, sagt der Künstler: Die reformierten Christinnen und Christen müssten den christlich-orthodoxen Glauben an die Ikonen nicht teilen. Doch den erweiterten Horizont, der sich durch die Begegnung ergebe, könne man sehr gut miteinander teilen. Nach dem Gesprächsteil werden alle Besucherinnen und Besucher dazu eingeladen, die ausgestellten Ikonen auch in die Hand zu nehmen und deren Kraft zu spüren. Von der ukrainischen Front in unsere Hände.

* Sabine Zgraggen (53) leitet die Spital- und Klinikseelsorge der Katholischen Kirche im Kanton Zürich. Die Ikonenausstellung im Café Jenseits ist eine Kooperation der Reformierten und katholischen Kirche des Kanton Zürichs sowie des Ökumenischen Forums für Glauben, Religion und Gesellschaft in Ost und West. Sie läuft noch bis zum 16. Februar.

Kein lächelnder Gott: Ikonenausstellung | © Sabine Zgraggen
4. Februar 2023 | 12:15
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