Sibylle Hardegger vor dem Caritas Baby Hospital in Bethlehem.
Schweiz

Ihr Kinderlein kommet! Sibylle Hardeggers Einsatz fürs Baby-Spital in Bethlehem

Für Sibylle Hardegger (55) steht fest: Das Caritas Baby Hospital ist das «erfolgreichste Hilfswerk in Palästina der vergangenen 70 Jahre». Diese Woche ist sie in Bethlehem, um Gespräche zu führen – unter anderem mit Patriarch Pizzaballa. Über ein schweizerisch-deutsches Hilfsprojekt der ganz besonderen Art.

Beate Laurenti

Warum sind Sie diese Woche in Bethlehem?

Sibylle Hardegger*: Ich war wegen der Corona-Pandemie zweieinhalb Jahre nicht mehr vor Ort beim Caritas Baby Hospital. Mein Kontakt zu den Mitarbeitenden ist sehr eng, aber persönliche Begegnungen lassen sich nicht durch Zoom-Meetings ersetzen. 

Eine Mutter hält vor dem Eingang des Caritas Baby Hospitals in Bethlehem ein kleines Kind auf den Armen.
Eine Mutter hält vor dem Eingang des Caritas Baby Hospitals in Bethlehem ein kleines Kind auf den Armen.

Was ist das Ziel Ihrer Reise?

Hardegger: Es geht um den Austausch mit den Mitarbeitenden des Spitals. Und ich möchte wissen, wie es den Menschen in Bethlehem geht. Viele Einheimische sind auf Pilgerinnen und Pilger angewiesen. Diese konnten aber aufgrund der Pandemie nicht kommen. Fehlen die Reisenden, stehen die Hotels leer. Dann werden keine Souvenirs verkauft und es braucht keine Taxifahrer. Ich weiss, dass der Tourismus langsam wieder anläuft, aber ich will mir selbst ein Bild machen. Es ist also eine ganz menschliche Mission, die mich antreibt.

Das "Caritas Baby Hospital" in Bethlehem.
Das "Caritas Baby Hospital" in Bethlehem.

Inwiefern waren auch die Mitarbeitenden im Spital von der Krise betroffen? 

Hardegger: Das Caritas Baby Hospital ist der zweitgrösste Arbeitgeber in Bethlehem. Von unserem Spital leben etwa 250 Familien. Sie hatten also auch während der Pandemie ein durchgehendes Einkommen. Aber es ging nicht allen so und die Lage bleibt angespannt: Die Wirtschaft hat sich immer noch nicht erholt, die politische Situation ist instabil und auch der Krieg in der Ukraine wirkt sich auf Palästina aus. Die Menschen haben mit einer sehr hohen Inflation zu kämpfen. Den nächsten Wendepunkt markiert die Wahl in Israel im November. 

Sibylle Hardegger beim "Friedensmission"-Gottesdienst in Bern.
Sibylle Hardegger beim "Friedensmission"-Gottesdienst in Bern.

Was steht inhaltlich auf der Tagesordnung?

Hardegger: Wir wollen neue Strategien für das Spital diskutieren. Unser Schwerpunkt ist die Intensivmedizin für Neugeborene und Kleinkinder. Auf diesem Gebiet sind wir führend, unsere Betten sind gut gebucht. Da stellt sich zum Beispiel die Frage, ob wir dieses Angebot ausweiten. Ausserdem gibt es in Palästina kaum Palliativmedizin für Kinder. Es geht als um die Fragen: Was wird gebraucht, was können wir leisten und finanzieren? Dafür treffen wir etwa politische Behörden, Partnerorganisationen und kirchliche Gremien. 

Der Eingang des Caritas Baby Hospitals in Bethlehem.
Der Eingang des Caritas Baby Hospitals in Bethlehem.

Sie müssen ständig in interkulturellen Kontexten kommunizieren und verhandeln. Worin liegt der Reiz? 

Hardegger: Als der Bischof von Basel, Felix Gmür, mich damals gefragt hat, ob ich das Amt der Präsidentin übernehmen wolle, hat er gesagt: «Weisst du, jede Reise nach Bethlehem ist ein Abenteuer.» Und das stimmt. Von Israel fährt man nach Palästina durch die Sperrmauer, dann muss man sich ausweisen, plötzlich ist der Checkpoint zu, man kommt nicht rein. Die ganze Sicherheit, die mich hier umgibt, ist weg. Das ist eine andere Welt…

…und eine andere Kultur. Das Spital hat eine weibliche Chefärztin. Kann sie sich im patriarchal geprägten Osten durchsetzen?

Hardegger: Absolut. Sie ist aufgrund ihrer Kompetenz hoch angesehen in der Community und unter den Ärztinnen und Ärzten im Nahen Osten.

Hiyam Marzouqa ist die Chefärztin.
Hiyam Marzouqa ist die Chefärztin.

Wie kann ich mir das Niveau des Spitals vorstellen? Können hier auch komplizierte Operationen stattfinden?

Hardegger: Unser Spital ist auf dem Niveau eines Schweizer Kantonspitals und es ist – gerade jetzt während der Grippewelle – ausgebucht. Was wir brauchen, haben wir. Jetzt geht es darum, nicht stehen zu bleiben. Wir sind im ständigen Austausch mit Universitätskliniken in Italien, Deutschland und Israel. Dorthin schicken wir unter anderem unsere Ärztinnen und Ärzte zur Aus- und Weiterbildung. Aber auch europäisches Fachpersonal kommt zur Weiterbildung nach Palästina.

Caritas Baby Hospital in Bethlehem.
Caritas Baby Hospital in Bethlehem.

Für die Kinder ist gesorgt. Wer kümmert sich um die Mütter? Hat das Kinderspital auch eine Gynäkologie?

Hardegger: Wir sind kein Geburtsspital, die Kinder kommen nicht bei uns zur Welt. Was wir jedoch haben, ist eine sogenannte Mütter-Abteilung. Während die Kinder im Spital sind, können die Frauen dort wohnen. Männer haben dort keinen Zutritt. Dieser ganzheitliche Ansatz ist uns wichtig.

«Wenn es den Frauen gut geht, geht es auch den Familien gut.»

Was ist damit gemeint?

Hardegger: Die Mütter werden während ihrer Zeit im Spital von Sozialarbeiterinnen betreut. Wenn es den Frauen gut geht, geht es auch den Familien gut. Das prüfen wir in Einzelfällen auch nach der Entlassung der kleinen Patientinnen und Patienten: Dann fahren unsere Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter zu den Familien nach Hause. Sie kontrollieren, ob das Kind alles hat, was es braucht, und schauen, wie es lebt. 

Eine junge Patientin des Caritas Baby Hospital.
Eine junge Patientin des Caritas Baby Hospital.

Auch ausserhalb Bethlehems? 

Hardegger: Natürlich. Viele Familien wohnen in Beduinenzelten Mitten in der Wüste, dort leben die Ärmsten der Armen. Wenn das Kind medizinisch unterversorgt ist, kommt es zurück ins Spital. Die Rechnung trägt in diesen Fällen das Krankenhaus. Wir sind ein fester Bestandteil im Gesundheitswesen von Palästina.

Papst Benedikt XVI.
Papst Benedikt XVI.

Sie sagen, das Kinderspital sei das «erfolgreichste Hilfswerk in Palästina der vergangenen 70 Jahre». Woran machen Sie das fest?

Hardegger: Am Niveau und am Ownership. Das Spital wurde von Europäern gegründet, viele von ihnen haben auch über Jahrzehnte mitgearbeitet. Heute wird das Haus ausschliesslich von Palästinenserinnen und Palästinensern geleitet, es verfügt über sehr gut ausgebildetes Fachpersonal. Das ist Empowerment und macht mich stolz. Wir geben viel Verantwortung ab – kolonialistische und paternalistische Ansätze gibt es nicht mehr.

Lucia Corradin, franziskanische Elisabethenschwester aus Padua, mit einem Baby auf dem Arm.
Lucia Corradin, franziskanische Elisabethenschwester aus Padua, mit einem Baby auf dem Arm.

Arbeiten im Spital auch Menschen mit christlichem und muslimischem Hintergrund zusammen? 

Hardegger: Ich frage nicht nach der Religion der Mitarbeitenden. Das Verhältnis zwischen den Religionen ist positiv und von gegenseitiger Wertschätzung geprägt. Viele Christinnen und Christen ziehen aus Bethlehem weg. Viele von denen, die noch da sind, arbeiten bei uns im Spital. Eine Besonderheit gibt es aber: In den vergangenen 40 Jahren waren im Spital immer Ordensfrauen aus Italien. 

«Beim Tod von muslimischen Kindern kommt auf Wunsch ein Imam.»

Was war deren Aufgabe? 

Hardegger: Sie haben im Spital mitgearbeitet. Die kleine Gemeinschaft wurde allerdings vor zwei Jahren zurückberufen, weil in Italien der Nachwuchs gefehlt hat. Sie waren unfassbar wichtig für die Eltern. Sind Kinder gestorben, haben die Schwestern Trauerarbeit geleistet. Beim Tod von muslimischen Kindern kommt auf Wunsch ein Imam. Jetzt arbeiten drei Ordensfrauen aus Indien im Spital und geben vor Ort den Christinnen ein Gesicht.

Lucia Corradin, franziskanische Elisabethenschwester aus Padua, neben einer Marienstatue in der Kapelle des Caritas Baby Hospitals in Bethlehem.
Lucia Corradin, franziskanische Elisabethenschwester aus Padua, neben einer Marienstatue in der Kapelle des Caritas Baby Hospitals in Bethlehem.

Ist das Christentum im Spital sichtbar? 

Hardegger: Wir haben eine Bruder-Klaus-Kapelle im Spital. Dort feiern viele Pilgergruppen ihre Gottesdienste. In Bethlehem werde ich auch den Lateinischen Patriarchen von Jerusalem treffen, Pierbattista Pizzaballa. Er feiert in der Adventszeit jedes Jahr in unserem Spital mit den Mitarbeitenden einen Gottesdienst. Ausserdem gibt er immer eine gute Einschätzung über die Situation der Christinnen und Christen in Palästina, insbesondere in Gaza. Dort war ich seit einigen Jahren nicht mehr.

Benedikt XVI. 2009 im "Caritas Baby Hospital" in Bethlehem.
Benedikt XVI. 2009 im "Caritas Baby Hospital" in Bethlehem.

Ist die katholische Prägung des Krankenhauses wichtig? 

Hardegger: Unsere Mission ist die tätige Nächstenliebe und das bedeutet Caritas. Von diesem christlichen Gedanken lassen wir uns leiten, ohne Unterschiede zu machen zwischen Ethnien und Religionen. Diese Mission tragen auch alle, die im Spital arbeiten – unabhängig von ihrem Glauben. Das Katholischste im Spital sind Bilder eines Besuchs von Papst Benedikt XVI.

«Die interreligiöse und interkulturelle Zusammenarbeit funktioniert einwandfrei.»

Und ganz konkret: Achten die Teamleitungen darauf, Christen nicht an Weihnachten einzuteilen und Musliminnen nicht am Opferfest?

Hardegger: Das mit Weihnachten ist kompliziert (lacht). In Bethlehem wird drei Mal im Jahr Weihnachten gefeiert: Die Katholiken feiern am 25. Dezember, die Orthodoxen am 7. Januar und die Armenier am 18. Januar. Das Fastenbrechen nach dem Ramadan begehen die Mitarbeitenden seit einigen Jahren im Spital zusammen – Christen und Muslime. Dasselbe gilt für die Weihnachtsmesse mit Patriarch Pizzaballa. Wie sich religiöse Feste auf den Dienstplan auswirken, kann ich gar nicht sagen – weil es kein grosses Thema ist. Die interreligiöse und interkulturelle Zusammenarbeit funktioniert einwandfrei.

Der Bischof von St. Gallen, Markus Büchel, besuchte 2015 das Caritas Baby Hospital in Bethlehem.
Der Bischof von St. Gallen, Markus Büchel, besuchte 2015 das Caritas Baby Hospital in Bethlehem.

Ihr Krankenhaus finanziert sich über Spenden. Wie ist die aktuelle Lage mit Blick auf den Krieg in der Ukraine und die Folgen der Pandemie? 

Hardegger: Seit 60 Jahren geht in der Schweiz die Weihnachtskollekte an das Spital. Sie hat mit rund zwei Millionen Franken einen Grossteil der Spenden ausgemacht. Das war vor Corona. Während der Pandemie sind die Spenden stark eingebrochen und jetzt spenden viele Menschen für die Ukraine. Es ist gut und es ist richtig, dass die Schweizerinnen und Schweizer der Ukraine helfen. Aber man darf all die Projekte, die bereits laufen, nicht vergessen. Wir brauchen die Unterstützung.

Der Erzbischof von Freiburg, Stephan Burger (Mitte), engagiert sich wie sein Basler Kollege Felix Gmür für das Caritas Baby Hospital.
Der Erzbischof von Freiburg, Stephan Burger (Mitte), engagiert sich wie sein Basler Kollege Felix Gmür für das Caritas Baby Hospital.

Man hat das Gefühl: Im Nahostkonflikt tut sich gar nichts. Teilen Sie den Eindruck?

Hardegger: Ja, es tut sich wirklich nichts. In regelmässigen Abständen erhalten wir aus dem Krankenhaus einen Bericht mit Informationen zur politischen und wirtschaftlichen Lage. Der Bericht hat sich in den vergangenen Jahren kaum geändert. Es gibt auch nicht nur den Konflikt mit Israel, sondern auch anhaltende innerpalästinensische Konflikte. 

* Sibylle Hardegger (55) ist Präsidentin des Vereins «Kinderhilfe Bethlehem». Die Theologin war früher Teil der Basler Bistumsleitung und ist seit 2021 Radio- und Fernsehbeauftragte des Katholischen Medienzentrums, das auch kath.ch herausgibt.

 

Schweizerisch-deutsches Erfolgsprojekt seit 69 Jahren

Die Kinderhilfe Bethlehem ist ein internationales christliches Hilfswerk, das 1963 auf deutsch-schweizerische Initiative gegründet wurde. Zu den Gründungsmitgliedern gehören die Caritas Schweiz, der Deutsche Caritasverband, das Bistum Basel sowie die Erzdiözese Freiburg. Der Sitz des Präsidenten oder der Präsidentin wechselt in regelmässigem Turnus zwischen Basel und Freiburg im Breisgau. Der Verein betreibt das Caritas Baby Hospital in Bethlehem. Die Geschäftsstelle hat ihren Sitz in Luzern. (bel)


Sibylle Hardegger vor dem Caritas Baby Hospital in Bethlehem. | © zVg
31. Oktober 2022 | 05:00
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