Für Vreni Ammann, Pfarreileiterin in St. Gallen, steht der Mensch im Vordergrund der Seelsorge.
Schweiz

«Ich bin in erster Linie für die Menschen da»: Weitere Seelsorgerinnen kritisieren Rüffel-Brief der Bischöfe

Die Theologin Monika Schmid hat im August 2022 mit ihrer Konzelebration eine Liturgie-Debatte ausgelöst. Jüngst haben die Bischöfe von Basel, Chur und St. Gallen ihre Seelsorgenden zur Einhaltung der liturgischen Regeln ermahnt. Was sagen andere Seelsorgerinnen dazu?

Wolfgang Holz

Die Bischöfe von Basel, Chur und St. Gallen haben in einem gemeinsamen Brief ihre Seelsorgenden darauf hingewiesen, dass sie sich an die liturgischen Vorgaben zu halten haben. Die Gläubigen hätten ein Recht auf Gottesdienste, die den Regeln und Formen der Kirche folgten. Sie berufen sich in ihrem Schreiben auf den «ökumenischen Konsens», wonach es für das Hochgebet eine Ordination brauche.

«Patriarchalischer Klerikalismus»

Die oberste Schweizer Reformierte Rita Famos findet, wie auf kath.ch bereits berichtet: «Nirgendwo wird patriarchaler Klerikalismus sichtbarer als in der römisch-katholischen Liturgie.» Eine Mehrheit der Kirchen der Reformation und die Christkatholischen Kirchen ordinierten auch den Frauen. 

«Die Bischöfe hätten ja sagen können: Wir haben patriarchalische Regeln und wir stehen dazu.»

Sibylle Forrer, reformierte Pfarrerin in Kilchberg

Auch die reformierte Pfarrerin Sibylle Forrer aus Kilchberg kritisiert das Schreiben der katholischen Bischöfe in Sachen Liturgie-Regeln: «Die Bischöfe hätten ja sagen können: Wir haben patriarchalische Regeln und wir stehen dazu.»

Sibylle Forrer
Sibylle Forrer

Forrer ist überzeugt: Man könne nicht so tun, als ob die Tatsache, dass in der katholischen Kirche nur Männer Priester werden dürfen, nichts mit einer patriarchalischen Struktur zu tun habe.

«Dringendere Themen»

Die reformierte Seelsorgerin findet auch, dass die Bischöfe die vielen Frauen, die sich an der Basis der katholischen Kirche derart redlich engagierten, nicht auch noch extra mit einem Brief massregeln müssten. Forrer: «Da gäbe es, glaube ich, dringendere Themen. Stichwort Missbrauch.»

Zudem sei es nicht mit der Botschaft des Evangeliums vereinbar, dass Männer und Frauen in der Kirche nicht gleichberechtigt seien. «Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit der Kirche. Jesus behandelte Frauen gleichberechtigt, und als erste Zeuginnen der Auferstehung kommt ihnen gar eine Schlüsselrolle in der Verkündigung zu.»

Predigen, predigen, predigen

Sie empfiehlt Frauen in der katholischen Kirche, die Möglichkeit wahrzunehmen, zu predigen: «Als reformierte Pfarrerin weiss ich um die Kraft des Wortes, um Dinge verändern zu können.»

Vreni Ammann, Pfarreibeauftragte, St. Gallen.
Vreni Ammann, Pfarreibeauftragte, St. Gallen.

Szenenwechsel. Vreni Ammann ist schon seit zwölf Jahren Pfarreileiterin der katholischen Pfarrei Rotmonten in St. Gallen. Sie selbst hat das Schreiben von Bischof Markus Büchel noch gar nicht zugestellt bekommen. Deshalb machte sie sich bei einer Kollegin aus Neugier schlau.

«Was wollen die Bischöfe eigentlich von uns Frauen? Wer steht eigentlich hinter uns?»

Vreni Ammann, Pfarreileiterin Rotmonten, St. Gallen

«An guten Tagen würde ich über das Schreiben lachen, mich wundern, und es dann einfach weglegen», sagt die 54-Jährige, aus dem Brief der Bischöfe vorlesend. An einem Tag, an dem sie sich aber «angekratzt» fühle, würde sie sich schon fragen: «Was wollen die Bischöfe eigentlich von uns Frauen? Wer steht eigentlich hinter uns?»

Frauen halten den Laden zusammen

Man müsse einfach sehen, dass viele Frauen in kirchlicher Funktion den Betrieb in den Pfarreien aufrechterhalten würden. Und dass der pastorale Alltag längst ein anderer sei als der, wie er von der klerikalen Führung wahrgenommen werde.

«In erster Linie bin ich für die Menschen da, darin sehe ich meine Aufgabe», sagt Vreni Ammann und gibt ein Beispiel.

Mit diesen Gegenständen wird die Krankensalbung durch einen Priester gestaltet.
Mit diesen Gegenständen wird die Krankensalbung durch einen Priester gestaltet.

Neulich sei sie als zuständige Heimseelsorgerin zu einer Krankensalbung gerufen worden. Eine Angehörige der sterbenden Person habe sie dann vor Ort darauf hingewiesen, dass die betreffende Person ja reformiert sei und das Sakrament gar nicht kenne. Sie habe dann eben eine Segnung der ihr bekannten Frau geführt.

«Als zuständige Seelsorgerin tue ich das, was ich als hilfreich erachte für den Menschen in Not, vor mir und vor Gott als richtig wahrnehme.»

Vreni Ammann

«Das Sakrament der Krankensalbung ist eigentlich recht komplex – gehört doch auch die Sündenvergebung dazu. Doch im Alltag eines Heims steht im Vordergrund, dass Menschen begleitet werden, wie sie es sich wünschen.» Und das sei auch das Anliegen der Pflegenden. «Als zuständige Seelsorgerin tue ich das, was ich als hilfreich erachte für den Menschen in Not, vor mir und vor Gott als richtig wahrnehme.»

Pensionierte Priester wollen gar nicht mehr

Andererseits bekomme sie in den Fällen, in denen sie regelkonform einen pensionierten Priester konsultiere, doch besagte Krankensalbung vorzunehmen, nicht selten zu hören: «Dafür müssen Sie mich nicht mehr anfragen.»

Was tun? «Wenn unsere Tätigkeit als Seelsorgerin streng an Rubriken aufgehängt wird, dann müssen wir uns wirklich mit den Bischöfen zusammensetzen, um eine Lösung zu finden», schlägt die katholische Pfarreileiterin vor.

Persönlich würde sie sich vor allem wünschen, dass die Pfarreien mehr Mitsprache und Freiheiten seitens der Bistümer bei der personellen Besetzung von Leitungsfunktionen erhalten. Vreni Ammann: «Und diese gemeindlichen Leitungspersonen sollten dann eben auch die entsprechenden Befugnisse haben, etwa Sakramente spenden zu können.»


Für Vreni Ammann, Pfarreileiterin in St. Gallen, steht der Mensch im Vordergrund der Seelsorge. | © zVg
9. Januar 2023 | 05:00
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