Für Sarah Heiligtag haben Tiere ebenso ein Lebensrecht wie Menschen.
Schweiz

Hof Narr: Wo Tiere eine zweite Chance erhalten

Für Sarah Heiligtag im zürcherischen Hinteregg ist jeder Tag Welttierschutztag – nicht nur am 4. Oktober, am Gedenktag von Franz von Assisi. Auf dem sechs Hektaren grossen «Hof Narr» leben Tiere, die entweder vor dem Schlachthaus gerettet oder unter unwürdigen Verhältnissen gehalten wurden.

Claudia Koch

Bei den Schweinen ist Sarah Heiligtag fast am liebsten. Sie geniesst es, sich an die borstigen Tiere zu lehnen und dem Herzschlag zu lauschen. Auch die Besucherin wird stupsend zu Streicheleinheiten aufgefordert. «Schweine sind sehr gelehrige und empfindsame Tiere», sagt Sarah Heiligtag und krault die stehenden Tiere am Bauch, damit auch diese sich hinlegen. Schon als Kind wollte sie Schweine haben, obwohl sie gar nicht auf einem Bauernhof aufgewachsen ist. Sie malte schon damals Zeichnungen für den Metzger, auf dem Schweine als Freunde der Menschen dargestellt waren.

Sarah Heiligtag krault die Sau Madame Michèle.
Sarah Heiligtag krault die Sau Madame Michèle.

Wie tief diese freundschaftliche Beziehung ist, zeigt sich am Beispiel von «Madame Michèle», einer Sau, die ein paar Tage zuvor hätte geschlachtet werden sollen. Sie liegt separiert von den anderen und ist erschöpft «vom vielen Gebären und den beschränkten Platzverhältnissen, aus denen sie kommt», sagt Sarah Heiligtag. Zwei Tage habe das gerettete Tier durchgeschlafen und die Sorge war gross, ob das Schwein den Stress überlebt.

Ein Ort, der das Herz berührt

Das Schicksal von Madame Michèle ist nur ein exemplarisches Beispiel für die über 80 Tiere, die auf dem Hof leben. Wie kommt ein Stadtkind aus Basel dazu, einen Hof mit Tieren und Gemüseanbau zu führen? Sarah Heiligtag hat nach der Matura eine logopädische Ausbildung in Irland begonnen und wollte Sprachen studieren. «Ich merkte jedoch, dass Philosophie mein Thema war», sagt sie. Es folgte das Studium in Irland und Frankreich, wo sie das Lizentiat erwarb.

Warum haben Menschen Rechte und Tiere nicht?

Zurück in der Schweiz machte sie den Master in politischer und wirtschaftlicher Philosophie. Beim Thema Ethik blieb sie hängen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sie sich beim Thema Menschenrecht und Tierrecht fragte: Warum haben Menschen Rechte und Tiere nicht, wo doch Tiere auch leidensfähig sind? Sie unterrichtete Ethik in Bern, Zürich, Konstanz und Basel und sensibilisierte die Studierenden für die Tierethik.

Der betagte Kater Jussi begrüsst Gäste von der Treppe hinunter.
Der betagte Kater Jussi begrüsst Gäste von der Treppe hinunter.

Bald merkte sie, dass die Theorie allein nicht fruchtet. Zusammen mit ihrem Mann, der Umweltnaturwissenschaften studierte, suchte sie einen Ort, der das Herz berührt, wo man leben und erleben kann. Sie zogen probehalber aufs Land, ganz in die Nähe ihres heutigen Daheims.

Lebenshof für Tier und Mensch

Einen Hof zu führen, war nicht direkt geplant. Den Ausschlag dazu gab das Pferd Lucky, das sie während ihres Studiums rettete und auf dem heutigen Hof unterbrachte. Erstmals konnte sie Ethik und Gerechtigkeit konkret umsetzen. Als die Hofpächter sich umorientierten, haben sich Sarah Heiligtag und ihr Mann erfolgreich beworben. Ihre Idee war es, Tiere unterzubringen, die nicht mehr «gebraucht» wurden. Der Besitzer steht hinter ihrer Philosophie.

Der Hof Narr im zürcherischen Hinteregg
Der Hof Narr im zürcherischen Hinteregg

Der Name «Hof Narr» wurde bewusst gewählt, um der Konsumgesellschaft humorvoll, doch auch ernstgemeint den Spiegel vorzuhalten, wie ehemals der Hofnarr am königlichen Hof. Der Hof wird zudem als Lebenshof bezeichnet. Sarah Heiligtag kann mit dem Begriff Gnadenhof nichts anfangen: «Was sollen Tiere denn verbrochen haben, damit sie in Gnaden leben dürfen?» Ihr Motto lautet, das Leben zu feiern, denn Tiere wie Menschen haben ein Lebensrecht, das für die Kinder und die Kindeskinder bewahrt werden soll.

Glaubenssätze hinterfragen

Inzwischen tummeln sich über 80 Tiere wie Pferde, Hühner, Truten, Schweine, Ziegen, Hunde, Katzen, Kaninchen und Enten auf dem Hof. Entsprechend musste sich Sarah Heiligtag überlegen, wie der «Hof Narr» nebst dem Job ihres Mannes finanziert werden kann. Der Verein «Hof Narr» wurde gegründet, um den Tieren eine Finanzierungsgarantie zu bieten. Dazu gibt es Patenschaften für die Tiere, um diese finanziell und ideell zu unterstützen. Der Gemüseanbau trägt mit dem Direktverkauf im Hofladen zur Finanzierung bei. Auch bietet Sarah Heiligtag Führungen für Erwachsene und Schulklassen an, gewährt Firmen Einblick in ihr Schaffen und organisiert Brunches.

«Wer sich für Tiere einsetzt, setzt sich für Menschen ein.»

Sarah Heiligtag

Bei allen diesen Aktivitäten steht die Vermittlung ihrer Philosophie im Zentrum. «Jeder, der sich für Tiere einsetzt, setzt sich auch für Menschen ein», ist sie überzeugt. Die Reaktionen auf ihre Lebensweise sind sehr positiv und spornen Sarah Heiligtag an. Dank den vielen Helferinnen und Helfern kann die intensive Arbeit bewältigt werden. Eine Führung auf dem Hof Narr ist dann erfolgreich, wenn es bei den Menschen «Klick» macht und sie den Narr in sich entdecken.

Rund 80 Tiere leben auf dem Hof Narr.
Rund 80 Tiere leben auf dem Hof Narr.

«Wenn ich merke, dass die Besucher ihre Glaubenssätze bezüglich ihres Lebensstils hinterfragen, konnte ich etwas bewirken.» Als viertes Wirkungsfeld ist die Beratung von Landwirtinnen und Landwirten dazu gekommen, die sich hoffnungsvoll an den «Hof Narr» wenden. Das Zusammenleben mit den Menschen wie mit den Tieren soll mit Hand, Herz und Verstand geschehen.

Für Sarah Heiligtag haben Tiere ebenso ein Lebensrecht wie Menschen. | © Claudia Koch
4. Oktober 2019 | 11:07
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