Thomas Jäger
International

Hitlers «Mein Kampf», Brust-Massage, Kinderpornos: Der Jäger-Komplex

Im Internet beteuert der Priester Thomas Jäger seine Unschuld. Doch nach wie vor läuft ein Strafverfahren gegen ihn. Hier die Chronologie zum Jäger-Komplex.

Raphael Rauch und Jacqueline Straub

2000–2006

Thomas Jäger ist Priesteramtskandidat für das Bistum Limburg. Nach dem Studium lehnt das Bistum Limburg wegen mangelnder Reife eine Weihe zum Priester ab und schlägt Thomas Jäger ein Praktikum vor. Dieser lehnt ab und geht nach Vaduz.

2006

Erzbischof Wolfgang Haas weiht Thomas Jäger zum Priester. Fortan ist Jäger Priester des Erzbistums Vaduz.

2012

Thomas Jäger wird Pfarrer von Ruggell und gibt katholischen Religionsunterricht an der Primarschule. Immer wieder ist er auch bei den Piusbrüdern zu Gast. 

Im Laufe der Jahre gibt ein Vorfall an der Schule zu reden: Thomas Jäger schliesst nach dem Religionsunterricht einen Schüler im Klassenzimmer ein – angeblich, weil er zu langsam schreibe. Die Grossmutter des Schülers beschwert sich bei der Schulleitung.

24. Oktober 2019

Ein Mädchen berichtet seinen Eltern, Thomas Jäger habe sie unter dem Vorwand, ein Ministrantenbüchlein geben zu wollen, ins Pfarrhaus gelockt und an der Brust massiert.

Die Eltern des Mädchens sprechen vor der "Rundschau"-Kamera.
Die Eltern des Mädchens sprechen vor der "Rundschau"-Kamera.

25. Oktober 2019

Die Eltern erstatten bei der Polizei Anzeige. Kurze Zeit später bewilligt das Gericht eine Hausdurchsuchung. Die Eltern behaupten, ihnen sei mitgeteilt worden, wegen des religiösen Friedens um Allerheiligen verzögere sich die Hausdurchsuchung. Das Landgericht weist eine bewusste Verzögerung der Hausdurchsuchung gegenüber kath.ch zurück.

Kirche in Ruggell
Kirche in Ruggell

12. November 2019

Die Polizei klingelt im Pfarrhaus und durchsucht Thomas Jägers Wohnung. Die Polizei stellt Jägers Handy sicher. IT-Spezialisten finden verdächtige Dateien und URL-Links.

Anschuldigungen gegen Thomas Jäger.
Anschuldigungen gegen Thomas Jäger.

Die Behörden gehen davon aus, dass Jäger «drei Videos drehte, die den klaren Fokus auf die kindliche Mädchenbrust haben». Die Videos seien am 27. Mai 2017 und am 1. Juni 2018 gedreht worden im Rahmen einer Pfadfindergruppe und eines Ministrantenausfluges. 

Die «Liechtensteinische Juristenzeitung» berichtet über Anschuldigungen gegen Thomas Jäger.
Die «Liechtensteinische Juristenzeitung» berichtet über Anschuldigungen gegen Thomas Jäger.

Ausserdem gibt es «Zufallsfunde (…), welche auf eine rechtsextreme Gesinnung» schliessen lassen: etwa «Mein Kampf» von Adolf Hitler «sowie eine Liste von inländischen Neonazis».

Anschuldigungen gegen Thomas Jäger.
Anschuldigungen gegen Thomas Jäger.

Die Polizei verhört Thomas Jäger. Bei der Einvernahme ist Generalvikar Markus Walser anwesend. 

29. November 2019

Es findet eine ausserordentliche Gemeinderatssitzung statt. Der Gemeinderat verbietet dem Pfarrer, das Schulhausareal zu betreten und Religionsunterricht zu erteilen.

Innenraum der Kirche Ruggell, FL
Innenraum der Kirche Ruggell, FL

30. November 2019

Thomas Jäger ist zu 100 Prozent krankgeschrieben.

17. Dezember 2019

Die Polizei verhört Thomas Jäger. Er räumt ein, Internetseiten – auch mit kinderpornographischem Inhalt – aufgerufen zu haben. Später widerruft er diese Aussage. 

Die Behörden halten später fest: «Aufgrund der im Strafverfahren erhobenen Beweise ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer die nötige Achtung der Persönlichkeit, insbesondere der sexuellen Integrität der Kinder und Jugendlichen, nicht mitbringt und daher nicht über die für den Lehrerberuf nötige Charakterfestigkeit auf dem Gebiet der Sexualität verfügt.»

12. Februar 2020

Die Staatsanwaltschaft stellt einen Strafantrag wegen des Vergehens der pornografischen Darstellung Minderjähriger. Das Verfahren bezüglich des Vergehens des versuchten sexuellen Missbrauchs von Unmündigen wird eingestellt. Vorerhebungen wegen des Besitzes von «Mein Kampf» von Adolf Hitler und wegen der Liste mit inländischen Neonazis stellt die Staatsanwaltschaft ebenfalls ein.

18. Februar 2020

Pfarrer Thomas Jäger kündigt sein Anstellungsverhältnis fristlos und mit sofortiger Wirkung. Er legt sein Pfarramt nieder.

19. Februar 2020

Erzbischof Wolfgang Haas untersagt Thomas Jäger jegliche seelsorgerische Tätigkeit.

22. Februar 2020

Das Erzbistum Vaduz informiert über die Causa Jäger.

Mitteilung von Generalvikar Markus Walser

Generalvikar Markus Walser an der Fronleichnamsprozession in Ruggell.
Generalvikar Markus Walser an der Fronleichnamsprozession in Ruggell.

«Zum Amtsverzicht des ehemaligen Pfarrers von Ruggell

Nachdem der Erzbischof von Vaduz davon Kenntnis erlangte, dass gegen Pfr. Thomas Jäger eine Anzeige wegen sexuellen Missbrauchs erfolgte, war letzterer nicht mehr in der Seelsorge und Schule tätig. 

Am 18. Februar 2020 erfuhr das Erzbistum, dass dieser ursprüngliche Vorwurf von der Staatsanwaltschaft nicht weiter verfolgt wird, sich jedoch aufgrund der Ermittlungen ein anderer Anklagegrund ergab. 

Deshalb hat Erzbischof Wolfgang Haas Pfr. Jäger am 19. Februar 2020 mit sofortiger Wirkung jegliche seelsorgliche Tätigkeit untersagt und ihm dies umgehend zur Kenntnis gebracht.

Was ein kirchliches Strafverfahren anbelangt, ist die entsprechende Voruntersuchung seit Bekanntwerden der Vorwürfe im Gang. Nach Abschluss des zivilen Strafverfahrens, in dem kürzlich die Staatsanwaltschaft Anklage erhob, wird das Erzbistum Vaduz die Voruntersuchungsakten mit dem Ergebnis des zivilen Strafverfahrens der römischen Glaubenskongregation übermitteln, wie dies in den diesbezüglichen kirchlichen Normen vorgeschrieben ist. Diese wird sodann über das weitere Vorgehen entscheiden bzw. ein kirchliches Gericht für das entsprechende Verfahren bestimmen.

Das Vorgefallene hinterlässt beim Erzbischof von Vaduz und beim Klerus des Erzbistums einen tiefen Schmerz und Bedauern.

Vaduz, 22. Februar 2020

Generalvikar Dr. Markus Walser»

26. Februar 2020

Die Regierung leitet ein Verfahren auf Erlass eines Berufsausübungsverbots ein. 

4. März 2020

Die Landtagsabgeordnete Violanda Lanter stellt eine Kleine Anfrage. Sie möchte von Regierungsrätin Dominique Hasler unter anderem wissen: «Wieso wurde seit der Aufnahme der Ermittlungen Ende Oktober 2019 bis zur Klageeinreichung am 19. Februar 2020 geschwiegen und die Öffentlichkeit nicht informiert, beziehungsweise über die Abwesenheit des Pfarrers nur spekuliert?»

5. März 2020

Regierungsrätin Dominique Hasler antwortet auf die Kleine Anfrage. Sie begründet das Schweigen der Behörden wie folgt: «Es konnte bei Aufnahme der Ermittlung mit entsprechenden Massnahmen sichergestellt werden, dass das Kindeswohl nicht gefährdet ist, bei gleichzeitiger Einschränkung einer öffentlichen Kommunikation aufgrund laufender Ermittlungen.»

12. März 2020

Der Vorstand des Vereins für eine offene Kirche fordert in einem Offenen Brief eine päpstliche Visitation, um die Affäre aufzuklären.

18. März 2020

Die Regierung verhängt ein unbefristetes Berufsausübungsverbot.

31. März 2020

Thomas Jäger legt gegen das Berufsausübungsverbot Beschwerde ein.

6. August 2020

In einem von Thomas Jäger bezahlten Gutachten stellt ein IT-Spezialist Unregelmässigkeiten bei der Erfassung der URLs fest: Die Liechtensteinische Landespolizei habe beim ausgewerteten Webseitenverlauf «keine Angaben zum Zeitpunkt der jeweiligen Webseitenaufrufe» gemacht.

Pfarrer Thomas Jäger behauptet, unschuldig zu sein, und lässt sich hier vom Influencer Niklas Mosch in einem bezahlten Video interviewen.
Pfarrer Thomas Jäger behauptet, unschuldig zu sein, und lässt sich hier vom Influencer Niklas Mosch in einem bezahlten Video interviewen.

25. August 2020

Das Landgericht verurteilt Thomas Jäger erstinstanzlich wegen Kinderpornografie zu einer Geldstrafe von 27’000 Franken. Gegen dieses Urteil legt der Beschwerdeführer Berufung ein. 

23. Februar 2021

Am Oberlandesgericht findet eine Berufungsverhandlung statt. Das Oberlandesgericht weist den Fall an das Landgericht zur Neuverhandlung zurück.

Das Landgericht in Vaduz.
Das Landgericht in Vaduz.

22. Juli 2021

Eigentlich sollte am 22. Juli 2021 eine zweite Verhandlungsrunde am Landgericht stattfinden. Diese wird auf unbestimmte Zeit verschoben worden. 

September 2021

Die Liechtensteinische Juristen-Zeitung informiert über das juristische Tauziehen.

29. Juni 2022

Der Leiter der Liechtensteinischen Staatsanwaltschaft teilt mit, die Einstellung des Verfahrens sei ausschliesslich aus Beweisgründen erfolgt. Die Frage, ob die Brust des Mädchens entwickelt sei oder nicht, habe – anders als zunächst behauptet – keine Rolle gespielt.

Thomas Jäger und das Erzbistum Vaduz wollten gegenüber der «Rundschau» und kath.ch nicht Stellung nehmen. Es gilt die Unschuldsvermutung.


Thomas Jäger | © Liechtensteiner Vaterland / Tatjana Schnalzger
29. Juni 2022 | 18:01
Lesezeit: ca. 4 Min.
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