Die Eltern des Mädchens sprechen vor der "Rundschau"-Kamera.
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Übergriff in Ruggell? Eltern erheben schwere Vorwürfe gegen Kirche und Staat

«Ein Mädchen im Brustbereich zu massieren ist offenbar kein Straftatbestand!» Die Eltern einer früheren Ministrantin in Ruggell sind empört, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den Pfarrer Thomas Jäger eingestellt hat. Bis heute habe sich das Erzbistum nicht für den mutmasslichen Übergriff entschuldigt.

Gianluca Galgani, Raphael Rauch und Jacqueline Straub

Was ist am 24. Oktober passiert?

Mutter: Als unsere Tochter nach Hause kam, habe ich gleich gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Sie hat gesagt, sie sei eben vom Pfarrer massiert worden. Das hat mich sehr stutzig gemacht. Als sie dann erzählt hat, dass sie im Pfarrhaus war, hab’ ich gemerkt: Da stimmt etwas nicht. 

Vater: Am nächsten Tag haben wir Anzeige erstattet. Doch dann ist erst einmal nichts geschehen. Wir haben wochenlang nichts gehört. Nach einem Monat sind wir dann selber aktiv geworden und haben angefangen nachzufragen, weil der Pfarrer immer noch im Schulhaus unterwegs war und unsere Kinder Angst hatten. Wir fanden das unmöglich und sind dann auf die Behörden zugegangen. Die Staatsanwaltschaft hatte uns gesagt, wir sollen nichts unternehmen, weil wir sonst nur der Untersuchung schaden würden. 

Die Schule wusste von nichts?

Mutter: Nein, die Polizei hatte sie nicht informiert. Auch vier Wochen nach dem Vorfall nicht. Das hat uns extrem überrascht. 

Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren eingestellt. Wie finden Sie das?

Vater: Das war für uns ein grosser Schock – und sehr frustrierend. Denn wir haben es nicht von der Staatsanwaltschaft erfahren, sondern nur aus der Zeitung. Wir haben nie direkt Informationen bekommen. 

Das Landgericht in Vaduz.
Das Landgericht in Vaduz.

Die Begründung der Staatsanwaltschaft lautete zunächst: die Brust Ihrer Tochter sei noch nicht entwickelt.

Vater: Es ist entsetzlich, dass offensichtlich ein Kind angefasst werden kann. Ein Mädchen im Brustbereich zu massieren ist offenbar kein Straftatbestand, wenn sie noch keine entwickelte Brust hat. Das ist für uns überhaupt nicht nachvollziehbar. Da ist ja die körperliche Integrität des Kindes nicht mehr gewahrt. Da ist kein Respekt mehr gegenüber dem Kind. Und das Gegenteil dessen, was wir die ganze Zeit unseren Kindern vermitteln: dein Körper gehört dir! Das wird völlig ins Lächerliche gezogen. 

Mutter: Mich empört die Aussage der Staatsanwaltschaft. Ich habe eine unglaubliche Wut bekommen. Es ist unfassbar. Ich hätte von der Staatsanwaltschaft mehr Mut und Konsequenz erwartet. Sie hätte das Signal senden sollen: Das ist nicht Okay. Stattdessen kommt das Signal: Es ist in Ordnung, wenn man ein Kind anfasst.

Pfarrer Thomas Jäger behauptet, unschuldig zu sein, und lässt sich hier vom Influencer Niklas Mosch in einem bezahlten Video interviewen.
Pfarrer Thomas Jäger behauptet, unschuldig zu sein, und lässt sich hier vom Influencer Niklas Mosch in einem bezahlten Video interviewen.

Der Priester Thomas Jäger streitet alles ab. Glauben Sie Ihrer Tochter?

Vater: Sowohl Spezialisten als auch wir als Eltern müssen sagen: Es ist extrem glaubwürdig, was unsere Tochter erzählt hat. Sie hat die Räume und die Vorgänge im Pfarrhaus sehr detailliert beschrieben. Fachspezialisten der Polizei haben uns gesagt, dass es keinen Grund gibt, die Aussagen unserer Tochter anzuzweifeln. Das hat uns auch eine Kinderpsychologin so versichert. 

Warum fand die Hausdurchsuchung erst im November statt – und nicht im Oktober?

Vater: Aktenkundig ist, dass der Durchsuchungsbefehl sehr schnell vorlag. Die Hausdurchsuchung hätte im Oktober stattfinden können. Uns wurde mitgeteilt, dass aufgrund der Wahrung des religiösen Friedens die Durchsuchung nicht vor Allerheiligen stattfinden kann. 

Generalvikar Markus Walser an der Fronleichnamsprozession in Ruggell.
Generalvikar Markus Walser an der Fronleichnamsprozession in Ruggell.

Wie finden Sie es, dass Generalvikar Markus Walser bei der Einvernahme des Priesters Thomas Jäger dabei war?

Vater: Sehr seltsam. Ich verstehe nicht, warum der Pfarrer nicht einfach seinen Anwalt mitgenommen hat.

Wie belastend war der Vorfall?

Vater: Es ist wie ein dunkler Schatten, der immer noch da ist. Wir haben versucht, etwas in Bewegung zu bringen – doch irgendwann gemerkt, dass es völlig versandet und in Vergessenheit gerät. So etwas kostet wahnsinnig viel Energie. 

Für unsere Kinder war es auch sehr schwierig. Weil nach dem Vorfall ist der Pfarrer ja erst noch im Schulhaus unterwegs gewesen. Sie hatten Angst, ihn zu sehen: sei es im Laden oder in der Schule. 

Mutter: Unsere Tochter hatte am Anfang das Gefühl, dass sie schuld sei. Sie hatte Angstzustände. 

Die Eltern einer Ministrantin aus Ruggell FL sind von Thomas Jägers Schuld überzeugt, wie sie gegenüber der "Rundschau" berichten.
Die Eltern einer Ministrantin aus Ruggell FL sind von Thomas Jägers Schuld überzeugt, wie sie gegenüber der "Rundschau" berichten.

Der Pfarrer verteidigt sich in einem Video. Was sagen Sie dazu?

Vater: Das ist grotesk. Es ist völlig widersprüchlich. Zunächst hat Herr Jäger ja zugegeben, was er alles auf seinem Handy hatte. Und hat das erst später widerrufen. Und jetzt behauptet er, das sei ein Justizirrtum.

Hat sich das Erzbistum bei Ihnen entschuldigt?

Vater: Nein, wir haben nie irgend etwas vom Erzbistum gehört. Das scheint niemanden interessiert zu haben. Weder den Bischof noch den Generalvikar.

Anmerkung der Redaktion: Der Priester Thomas Jäger und das Erzbistum Vaduz wollten gegenüber der «Rundschau» und kath.ch keine Stellung nehmen. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Reaktion der Staatsanwaltschaft

Am 29. Juni nimmt die Staatsanwaltschaft die Aussage zurück, wonach das Verfahren deswegen eingestellt worden sei, weil die Brust des Mädchens noch nicht entwickelt war. Der leitende Oberstaatsanwalt Robert Wallner teilt mit: «Das Verfahren wurde aus Beweisgründen eingestellt. Der Tatbestand des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 StGB verlangt den Nachweis der Vornahme einer sexuellen Handlung an einer unmündigen Person. Nach der Rechtsprechung liegt eine geschlechtliche Handlung dann vor, wenn der Täter eine Handlung sexueller Art und Tendenz von bestimmter sozialstörender Erheblichkeit vornimmt. Die in der Untersuchung gesammelten Beweise reichten für den Nachweis einer solchen sexuellen Handlung nicht aus.»

Reaktion des Gerichts

Zum Vorwurf, die Hausdurchsuchung sei verzögert worden, teilt Landrichter Michael Jehle mit: «Hinsichtlich des Termines für die Hausdurchsuchung handelt es sich um eine rein ermittlungstaktisch-organisatorische Frage der gerichtlichen Vorerhebungen, bezüglich derer keine Auskunft erteilt werden kann. Die jeweilige Terminfindung erfolgt aber nur im Hinblick auf die zweckmässigste und erfolgversprechendste Umsetzung im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben der §§ 92 ff StPO, wobei die Unabhängigkeit der Gerichte auch hierbei in jedem Fall gewahrt ist.»


Die Eltern des Mädchens sprechen vor der «Rundschau»-Kamera. | © Raphael Rauch
29. Juni 2022 | 16:18
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