Hildegard Aepli.
Schweiz

Hildegard Aepli: Künstler hat Wiborada priesterlich dargestellt

Die St. Galler Inklusin Wiborada fasziniert noch heute viele Menschen. Das zeigt das Wiborada-Projekt. «Alle, die sich bisher an diesem Projekt beteiligt haben, berichten, dass sie etwas von der Freiheit Wiboradas erfahren haben,» so Hildegard Aepli.

Jacqueline Straub

In der März-Ausgabe der Herder Korrespondenz (Sonderausgabe: «Gottes starke Töchter») schreibt die Schweizer Theologin Hildegard Aepli über die St. Galler Inklusin Wiborada, die im Jahr 926 beim Einfall der Ungarn ermordet wurde.

Patronin der Bibliotheken

«Sie hatte zuvor die Stadt und das Kloster St. Gallen mit einer Vorhersage vor grossem Unglück gewarnt. Ihre Warnung wurde ernst genommen, Menschen, Handschriften und Klosterschatz wurden rechtzeitig evakuiert», schreibt Aepli. Seither ist Wiborada Patronin der Bibliotheken.

Statue der Heiligen Wiborada.
Statue der Heiligen Wiborada.

Als Inklusin erlangte sie schon zu Lebzeiten grosses Ansehen. «Wiborada konnte in dieser für uns heute schwer nachvollziehbaren Lebensform ihre Freiheit leben. Sie wirkte aus ihrer Klause heraus als Ratgeberin für die Stadtbevölkerung, für die Mönche von St. Gallen, für Äbte und Fürsten», so Aepli.

Bedeutsamer als Gallus und Othmar

In der Wiborada-Kapelle unter der Kirche St. Georgen ist sie auf einem Chorbild mit den anderen beiden Bistumsheiligen zu sehen. Die Inklusin steht neben dem Heiligen Gallus und dem Heiligen Othmar. «Sie trägt eine rote Stola und hat Blutstropfen auf der Stirn. Sie bekommt von einem Engel die Märtyrerkrone aufgesetzt», so Aepli.

Die nachgebaute Wiborada-Zelle mit einer Infostele.
Die nachgebaute Wiborada-Zelle mit einer Infostele.

Als Märtyrerin ist sie sogar bedeutsamer als die anderen zwei Heiligen. Im Bild ist sie deswegen auch grösser gemalt als die Männer. «Der Künstler weist mit seinem Bild in die Zukunft: Er hat Wiborada priesterlich dargestellt, mit Stola und mit empfangenden, leeren Händen», so Aepli.

Temporäres Leben als Inklusin oder Inkluse

In Kontext des Wiborada-Projekts, das von 2021 bis 2026 stattfindet, tauchen auch heute noch Menschen temporär in das Inklusinnenleben ein, indem sie sich für einige Tage in eine nachgebaute Zelle einschliessen lassen. Die Klause befindet sich bei der Kirche St. Mangen in St. Gallen.

Christian Kind, Inkluse in der St. Galler Wiborada-Zelle, freut sich über Besuch.
Christian Kind, Inkluse in der St. Galler Wiborada-Zelle, freut sich über Besuch.

«Die Erfahrungen dieser modernen Inklusinnen und Inklusen sind eindrücklich», schreibt Aepli. Die Zelle werde dabei als paradoxer Ort empfunden: Ein Fenster ist nach aussen zu öffnen. Dadurch werden die Personen versorgt mit Essen und es entstehen Gespräche. Ein anderes Fenster in der Zelle weist ins Innere der Kirche.

«Alle, die sich bisher an diesem Projekt beteiligt haben, berichten, dass sie etwas von der Freiheit Wiboradas erfahren haben,» so Aepli. Sie sieht darin sogar eine Chance für die Zukunft von Kirche, Stadt und Region. Denn es könne eine Brücke zwischen Menschen auf allen Ebenen geschlagen werden.

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Hildegard Aepli. | © Vera Rüttimann
18. April 2024 | 06:00
Lesezeit: ca. 2 Min.
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