Heimkommen auf 2.434 Meter über Meer

Kipa-Serie: Unbekannte Bekannte – 14 Schweizer Wallfahrtsorte (11)

Wallfahrt nach Ziteil, dem zweithöchstgelegenen Wallfahrtsort Europas im Kanton Graubünden

Ziteil GR, 22.7.13 (Kipa) In den Schweizer Bergen findet man jede Menge SAC-Hütten, Seilbahnstationen und Berggasthöfe. Einzigartig im alpinen Raum ist die Marienwallfahrtsstätte Ziteil im Kanton Graubünden. Hier soll im Jahr 1580 die Gottesmutter einem Mädchen und einem Knaben erschienen sein. Seit über 400 Jahren pilgern Menschen zu Unserer Lieben Frau von Ziteil (»Nossadonna da Ziteil»). Die Presseagentur Kipa hat den Ort auf 2.434 m. ü. M. besucht.

Wenn man stehen bleibt, hört man nur noch den eigenen Atem, dann und wann den Pfiff eines Murmeltiers, den kühlen Wind um die Ohren und das ferne Rauschen eines Bachs. Die Alp Munter auf 1.952 m. ü. M. liegt bereits hinter uns, und die Umgebung wird immer alpiner: kurzes Gras, dazwischen Enziane, linker Hand die Abhänge des Piz Toissa (2.657 m), voller Geröll, da und dort Schneeflecken. Der Schweiss klebt kalt am Rücken. Und man ahnt, dass die Sonne bald hinter den Gipfeln verschwinden wird.

Wallfahrtsstätte in karger Umgebung

Startpunkt der Wanderung nach Ziteil, dem zweithöchstgelegenen Wallfahrtsort Europas in den Oberhalbsteiner Alpen, war das 200-Seelen-Dorf Salouf auf 1.258 m. ü. M, um zwei Uhr nachmittags. Mehr als drei Stunden später geht es noch immer aufwärts, in der Senke zwischen Piz Toissa und Piz Curvér-Gruppe. Aber nicht mehr lange. Am Ende des Einschnitts hat man plötzlich freie Sicht nach Osten, zum Corn da Tinizong (3.173 m), und ins Tal hinunter auf Savognin. Der Wallfahrtsort Ziteil auf 2.434 m. ü. M., eine Kirche und ein Pilgerhaus, hebt sich im Abendlicht kaum von der kargen Umgebung ab.

In der Küche des Pilgerhauses treffen wir Paul Schlienger, den Kustos von Ziteil und Pfarrer von Mon, Riom und Stierva, drei kleinen Pfarreien im Tal. Der 50-Jährige im schwarzen Hemd mit Priesterkragen und weisser Schürze rührt gerade in den Töpfen auf dem Holzherd. Zum Znacht für die Pilger gibt es Suppe, Salat und Riz Casimir. «Hier oben kann man keinen Professoren brauchen», sagt der gelernte Koch und Absolvent der Hotelfachschule. Schlienger leitet am Samstagabend das Rosenkranzgebet und am Sonntagmorgen den Pilgergottesdienst, führt Beichtgespräche.

Priester und Allrounder

Als Kustos hält er – unterstützt von Freiwilligen – aber auch den Wallfahrtsbetrieb am Laufen. Der Pfarrer kocht, beseitigt im Juni übriggebliebene Schneefelder auf dem Wanderweg nach Ziteil, transportiert Esswaren, hackt Holz, entleert und reinigt im Herbst sämtliche Wasserleitungen im Haus. Das alles macht er seit 1999. «Gastfreundlichkeit ist das A und O», sagt Schlienger zu seiner Funktion als Kustos. Den Mann in Jeans mit dem Tuch auf dem Kopf, der plötzlich im Türrahmen der Küche auftaucht – ein Hirte ist es -, lädt er denn auch gleich zum Znacht ein.

Jährlich besuchen nach Angaben von Schlienger zwischen 4.000 und 4.500 Pilger den Marienwallfahrtsort Ziteil. Pilgersaison ist von Juli bis September. Schlafplätze hat es für 170 Personen. An diesem Wochenende im Juli übernachten etwa 25 Personen in der einfachen Unterkunft, Helferinnen und Helfer eingeschlossen. Wer Wellness sucht, ist hier falsch am Platz. Es gibt weder Warmwasser noch Duschen. Und beim Rosenkranzgebet, das um 21 Uhr in der Kirche beginnt, kriecht einem die Kälte in die Knochen.

Beeindruckend ist dann der Ansturm der Pilger am Sonntag. Um sechs Uhr läutet das Kirchglöckchen, noch ist die Sonne hinter den Bergen. Knapp eine Stunde später warten bereits die ersten Gläubigen vor der Kirche. Die Pilgerstube füllt sich mit Gästen, die sich nach der morgendlichen Wanderung mit einem Frühstück stärken. Es sind Familien, Paare, Einzelpersonen. Man hört Rätoromanisch. Der Pfarrer – so munter und fröhlich wie am Abend zuvor – geht von Tisch zu Tisch, schüttelt Hände, verteilt Schleckstängel an die Kinder.

«Wo man dem Himmel nahe ist»

Viele Pilger stammen aus der Region. Oft sind es Bündner, die ihre Heimat verlassen haben. So etwa Battist. Der 58-Jährige stammt aus Savognin, lebt heute in Zürich. «Mich zieht es jedes Jahr hier hinauf. Das gehört einfach dazu», sagt der Mann in der Jeansjacke und zeigt auf die Wallfahrtskerze in seinem Rucksack.

Unter den Pilgern treffen wir Schwester Maria Baptista Klötzli. Die Frau hat braunes, lockiges Haar, trägt einen braunen Faserpelz und hat ihren Hund mitgebracht. «Es ist ein Ort, wo man dem Himmel nahe ist – in der Natur, in der Kirche. Es ist ein bisschen wie Nachhausekommen, wenn man jedes Jahr nach Ziteil pilgert», sagt die 49-Jährige, die seit vier Jahren als Eremitin im «Tschütschi» lebt, einer Einsiedelei oberhalb von Rickenbach SZ.

Als der Gottesdienst um acht Uhr beginnt, sind die Bänke bis zuhinterst besetzt. Auf der Empore singt der gemischte Chor von Stierva. Pfarrer Schlienger begrüsst die Gläubigen auf Rätoromanisch. Dem Aargauer ist es wichtig, grosse Teile der Liturgie in der vierten Landessprache zu halten.

Erst Pilger – dann Biker

Ziteil ist auch ein Ort, wo man sichtbar Busse tut. Dazu gibt es die Treppe unterhalb der Kirche. Vor und nach dem Gottesdienst sieht man Menschen, die auf ihren Knien von Stufe zu Stufe hochsteigen.

Auf dem Rückweg von Ziteil nach Salouf trifft man dann Bussfertige der anderen Art: Junge Männer auf dem Bike, schweissgebadet, keuchend. Viel später als die meisten Pilger werden sie oben ankommen. Pfarrer Schlienger ist auch für sie da – mit seiner Liebenswürdigkeit und Gastfreundschaft.

Separat 1:

Der Wallfahrtsort Ziteil

Im Jahre 1580 soll im Oberhalbstein einem 18-jährigen Mädchen und einem 16-jährigen Knaben die heilige Maria erschienen sein. In den Erscheinungen trug die Gottesmutter den Hirtenkindern mehrmals auf, dem Volk zu sagen, es solle Busse tun und mit dem Kreuz Prozessionen halten, damit Gott ihm die Sünden verzeihe. In der Folge entwickelte sich die Wallfahrt nach Ziteil. 1679 wird erstmals eine Kirche erwähnt, 1710 eine Neuweihe der Kirche, heisst es im Historischen Lexikon der Schweiz. 1848 wurde neben der Kirche ein Pilgerhaus gebaut, das man 1949 erweiterte. 1957 wurde die Kirche vergrössert. Pilgersaison ist von Juli bis September. Die Wallfahrtsstätte ist aber nur am Wochenende geöffnet. Gegenwärtig gibt es 170 Schlafplätze im Pilgerhaus. Ziteil kann man nur zu Fuss erreichen, über verschiedene Wanderwege. Die Anfahrt mit dem Auto ist nur bis zum kostenpflichtigen Parkplatz Munter auf 1.860 m. ü. M. möglich.

Hinweis: Weitere Informationen auf www.ziteil.org

Separat 2:

Kipa-Serie «Unbekannte Bekannte – 14 Schweizer Wallfahrtsorte»

Nebst Einsiedeln – dem Schweizer Wallfahrtsort schlechthin – gibt es hierzulande noch zahlreiche weitere Orte, die Pilger anziehen. In der Region kennt man sie, doch die breitere Öffentlichkeit in der Schweiz hat kaum Kenntnis von ihnen. Die Presseagentur Kipa hat einige davon besucht. Eine Kipa-Serie mit 14 Porträts von folgenden Wallfahrtsorten: Verena-Münster in Zurzach AG, Wallfahrtsort Ziteil GR, Maria Dreibrunnen bei Wil SG, Pfarrei Maria Lourdes in Zürich, Immaculata-Kapelle in Quarten SG, Verenaschlucht in Solothurn, Wallfahrtsort Heiligkreuz in Entlebuch LU, Wallfahrtsort Maria Rickenbach NW, Wallfahrtskirche Unserer Lieben Frau in Hergiswald LU, La Grotte de Sainte-Colombe bei Undervelier JU, L’Ermitage von Longeborgne VS, Notre-Dame de Fatima in Ponthaux FR, la Basilique Notre-Dame de Genève und Notre-Dame de l’Epine in Berlens FR.

Hinweis für Redaktionen: Zu diesem Beitrag sind kostenpflichtige Bilder erhältlich. Bestellungen sind zu richten an: kipa@kipa-apic.ch. Honorare für Nutzungsrecht: Erstes Bild CHF 80.-, ab dem zweiten Bild zum gleichen Anlass CHF 60.-.

(kipa/bal/pem)

22. Juli 2013 | 12:35
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