Gallus und der Bär
Schweiz

Heiliger Bärenflüsterer am Ursprung des Klosters St. Gallen

St. Gallen, 15.7.17 (kath.ch) Missionar, Einsiedler, Wegweiser: Der heilige Gallus ist der erste historisch fassbare Heilige der Schweiz. Der wahrscheinlich aus Irland stammende Wandermönch gab dem Kloster im Ostschweizer Hochtal seinen Namen. Der Stiftsbezirk St. Gallen gehört heute zum Unesco-Weltkulturerbe. Sein Entstehen beruht auf der schicksalhaften Begegnung mit einem Bären. Ein Beitrag der Sommerserie «tierisch heilig».

Barbara Camenzind

Was wissen die Flaneure zwischen Kathedrale und Vadian-Denkmal in St. Gallen noch vom heiligen Gallus? «Das war doch der Klostergründer!»,  – «Er kam aus Irland und hat gerne gefischt». «War da nicht was mit einem Bären?» – Zwei Kinder: ” En Bär isch cho. De heilig Gallus hät en aber nöd tödt. Er het gschwätzt mit em Bär und denn hends öppis abgmacht. De Gallus isch lieb gsi zum Bär.»

Gallus der Bärenflüsterer?

Der frühmittelalterliche Gelehrte und Mönch Walahfrid Strabo beschrieb das Treffen an der Steinach um das Jahr 600 n. Chr. folgendermassen:

«Das Gebet war beendet, die Sonne ging unter, zu Ende war der Tag; da nahmen sie (Gallus und Hiltibold) endlich mit Dank die Nahrung zu sich(….) und legten sich auf die Erde, um ein wenig zu ruhen. … Indessen kam ein Bär vom Berg herab und leckte die Krümel und Reste, welche die beiden vom Mahl herabgefallen waren, vorsichtig auf.

Wie der Mann Gottes dies sah, sagte er zum Wildtier: «Ich befehle dir, wildes Tier, im Namen des Herrn, nimm Holz auf und bring es zum Feuer!» Auf diesen Befehl machte das Tier kehrt, brachte einen gewaltigen Holzklotz herbei, und warf ihn ins Feuer. Aber der gütigste Mann ging zu seiner Tasche und reichte dem Diener (…) ein ganzes Brot. Dann befahl er dem Empfänger: «Im Namen meines Herrn Jesus Christus, weiche aus dem Tal und halte stattdessen die umliegenden Berge und Hügel für deine Allmende, schädige hier aber keinen Menschen und kein Vieh.»

Bei Strabo schlägt Gallus einen deutlichen Befehlston an. Der Bär trollt davon und folgt dem Wunsch des Heiligen und war offenbar nie mehr zu sehen.

Gallus mit Bär | zVg Stiftsbibliothek St. Gallen

Friedliches Zusammenleben

Das Steinachtal war im Frühmittelalter eine wilde, sumpfige Gegend. Biologe Jonas Barandun vom Naturmuseum St. Gallen sagt, dass es nicht von Vorteil gewesen wäre, dieses Gebiet zu besiedeln. Das Hochtal sei schwer begehbar gewesen. Gallus habe die Einsamkeit bewusst gewählt. Bären sind ebenfalls Einzelgänger. «Einen Bären zu treffen, war schon damals eine Seltenheit», meint Barandun weiter. Ein aufgerichteter Bär sei höher als ein Mann, er verfüge über keine Mimik und könne deshalb schwer durchschaut werden.

Für Barandun deutet die Legende ein harmonisches Zusammenleben von Mensch und Tier. «Gallus weist das Wilde in seine Schranken, lässt ihm aber seinen Platz. Er steht für die Zivilisation, die ihren Raum braucht, so wie die Natur auch.»

«Bärig» bedeutet «wunderbar».

Dieser Meinung ist auch der Theologe Josef Osterwalder in seiner berührenden Nacherzählung der Galluslegende: «Er (Gallus) schliesst mit dem Bären einen Vertrag. Das Land wird aufgeteilt: dem Bären gehören die Höhen, dem Menschen das ebene Tal. Das heisst: die Natur wird nicht besiegt und unterjocht, vielmehr sucht Gallus ein Gleichgewicht, das für Menschen, Tiere und Pflanzen stimmt. Eine solche Haltung nennt man ökologisch. Der Gründung der Gallusstadt steht also eine ökologische Tat zugrunde.»

Mit dem Bär auf Du: Biologe Jonas Barandun im Naturmuseum St. Gallen | © Barbara Camenzind

Ahnung der messianischen Zeit

Gallus’ Gefährte Hiltibold war laut Strabos Erzählung schwer beeindruckt vom bärigen Erlebnis: «Nun weiss ich wahrhaftig, dass der Herr mit dir ist, da dir sogar die Tiere der Wildnis gehorsam sind.»

Warum trifft es gerade den Bären für diese Legende? Pater Nathanael Wirth vom Kloster Einsiedeln ist eine Art «theologischer Bärenexperte». Für Wirth ist klar, dass die beiden Legenden von Gallus und Gerold und den Bären auf eine Vorahnung deuten. Genauer auf eine Vorahnung der messianischen Zeit, wie sie beim Jesaia-Buch (11,17) der Bibel vorkomme: «Kuh und Bärin werden sich befreunden», erklärt Wirth, «Der Messias bringt eine paradiesische Zeit. Alles, was vorher böse, schlecht, gierig und wild war in den Tieren wandelt sich.»

Als Dank ein Brot.

Der Mensch fürchte sich nicht mehr – im Gegenteil: Wie in der Legende vom Gallus und Gerold arbeite der Bär und dient diesen Heiligen sogar. «Es entsteht ein wunderbarer Friede und Glück», so Wirth weiter.

Der Heilige ist der Mensch, der schon eine Ahnung von der messianischen Zeit hat, sodass der Bär nicht mehr gefährlich ist, sondern sogar dem Heiligen dient:

Der Bär holt Holz aus dem Wald. Gallus befiehlt ihm: «Leg das Holz auf das Feuer», und der Bär gehorcht ihm. Als Dank bekommt er von Gallus ein ganzes Brot. Beim Aufbau der Klause schleppt der Bär dem heiligen Gerold Steine.»

Gallus und der Bär, Gerold und der Bär: Diese «tierisch heiligen» Begegnungen sind Wegweiser hin zu einer Zeit der friedlichen, paradiesischen Koexistenz der Geschöpfe Gottes. Übrigens: «bärig» bedeutet im Vorarlberger Dialekt «gelungen», oder «wunderbar».

Gallus und der Bär | © Barbara Camenzind
15. Juli 2017 | 12:22
Lesezeit: ca. 3 Min.
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