Hans Halter, Schweizer Moraltheologe, in einer Aufnahme von 2011.
Schweiz

Hans Halter über Joseph Ratzinger: «Er führte ein Dossier über mich und wollte mich als Professor loshaben»

Von Abtreibung bis Homosexualität: Der Theologe Hans Halter (83) aus Giswil OW hatte mehrmals Schwierigkeiten mit Joseph Ratzinger. Als Präfekt der Glaubenskongregation habe Ratzinger sogar versucht, Halters Wechsel von Chur nach Luzern zu verhindern. Der Vorwurf: Halter sei «unkatholisch» – wie sein Lehrer Franz Böckle.

Sarah Stutte 

Hans Halter (83) studierte in den 1960er-Jahren beim Glarner Moraltheologen Franz Böckle in Chur und war später, von 1977 bis 1990, dort selbst Professor für Moraltheologie und Sozialethik. Böckle wiederum war in seiner Münchner Studienzeit mit Joseph Ratzinger befreundet. Für kurze Zeit lehrten sie gemeinsam an der Uni Bonn, bevor Ratzinger nach Tübingen wechselte.

Zerwürfnis mit Böckle

Über die Freundschaft von Franz Böckle und Joseph Ratzinger weiss Halter, dass sich beide in den Anfängen in München «sehr gut verstanden» hätten. «Das war aber auch eine andere Zeit im Leben von Joseph Ratzinger. Er und Böckle waren beide progressiv und standen auf derselben Seite. Das war ganz ähnlich wie bei Hans Küng», sagt Hans Halter.

Er stammte aus Glarus und lehrte in Bonn: Franz Böckle, römisch-katholischer Moraltheologe.
Er stammte aus Glarus und lehrte in Bonn: Franz Böckle, römisch-katholischer Moraltheologe.

Mit der Zeit habe sich das geändert. Während Böckle an der Uni Bonn beschäftigt blieb und zu den führenden Stimmen der Moraltheologie aufstieg, kehrte Ratzinger im Sturm der 1968er-Bewegung Tübingen den Rücken und zog weiter nach Regensburg. «Ihre Wege und theologischen Ideologien trennten sich. Auch, weil Ratzinger Böckles Schriften nicht gefielen. Diese empfand er als unkatholisch», sagt der gebürtige Giswiler.

Böckle kritisierte Ratzingers Haltung zur Befreiungstheologie

Ein ehemaliger Student Böckles, Andreas Büsch, erinnerte sich gegenüber kath.ch an ein Blockseminar mit Franz Böckle. «1985 erschien ein Text über einige Aspekte der Theologie der Befreiung von Joseph Ratzinger. Böckle kam in das Seminar herein und tobte. Er sprach in diesem Moment Schweizerdeutsch und sagte, dass er nicht verstehe, wie man sich als Mensch und Theologe so verändern könne. Böckle und Ratzinger hatten damals gemeinsam bei Karl Rahner studiert.» 

Andreas Büsch ist Professor für Medienpädagogik und Kommunikationswissenschaften an der Katholischen Hochschule Mainz und Leiter der Clearingstelle Medienkompetenz der Deutschen Bischofskonferenz an der KH Mainz.
Andreas Büsch ist Professor für Medienpädagogik und Kommunikationswissenschaften an der Katholischen Hochschule Mainz und Leiter der Clearingstelle Medienkompetenz der Deutschen Bischofskonferenz an der KH Mainz.

Hans Halter hat selbst solche Erfahrungen mit Joseph Ratzinger gemacht. «Mit meinen Texten hatte der Kardinal ebenfalls Probleme. Als ich in Chur tätig war, wurde ich wegen meiner Artikel über Homosexualität und Schwangerschaftsabbruch vom Vatikan ermahnt», so Halter. Ratzinger habe daraufhin als Präfekt der Glaubenskongregation ein Dossier über ihn angelegt. Auch habe Ratzinger mehrmals versucht, ihn schriftlich zu kontaktieren. 

Zoff mit Ratzinger und Haas

«Er forderte mich auf, meine Aussagen zu revidieren und in der bereinigten Form nochmals zu veröffentlichen. Ich bin aber nicht darauf eingegangen und habe nichts geändert», erzählt Hans Halter. Ratzinger habe ihn von der Hochschule Chur entfernen wollen.

Kardinal Joseph Ratzinger stellt am 9. Dezember 1992 im Vatikan den Weltkatechismus der katholischen Kirche vor.
Kardinal Joseph Ratzinger stellt am 9. Dezember 1992 im Vatikan den Weltkatechismus der katholischen Kirche vor.

«Ich bin aber in den 1990er-Jahren dann selbst weggegangen, als Weihbischof Wolfgang Haas die Nachfolge von Bischof Johannes Vonderach antrat», sagt Halter. Und er fügt hinzu: «Auch Wolfgang Haas wollte mich aufgrund meines Disputs mit Ratzinger loswerden. Das hat er mir in einem Gespräch deutlich gemacht.»

Vonderach und Ratzinger für Haas verantwortlich

Auf die Frage, inwieweit Joseph Ratzinger in die Ernennung von Wolfgang Haas zum Bischof von Chur involviert war, meint Hans Halter: «Der Verursacher war in diesem Fall Johannes Vonderach. Er hatte den Liechtensteiner zu seinem Nachfolger gemacht – zum Weihbischof mit Nachfolgerecht. Damit war die Sache vorweg entschieden und man konnte offiziell nichts mehr dazu sagen. Für mich ist das gegen Rom gelaufen», sagt der Theologe.

Papst Johannes Paul II. trifft bei seinem Besuch in Liechtenstein Bischof Johannes Vonderach (8. September 1985 in Vaduz).
Papst Johannes Paul II. trifft bei seinem Besuch in Liechtenstein Bischof Johannes Vonderach (8. September 1985 in Vaduz).

Wobei es auch Stimmen gibt, die Ratzinger eine direkte Mitschuld bei Wolfgang Haas’ Ernennung geben. Der Journalist Mariano Tschuor schreibt in seinem Buch «Gesegnet und verletzt», ausser dem Präfekten der Kongregation für die Bischöfe, Kardinal Gantin, hätte auch Joseph Ratzinger in der Causa Chur seine Finger im Spiel gehabt. Für Halter jedenfalls stand fest: Er wollte an keiner Hochschule lehren, deren Grosskanzler Wolfgang Haas war.

Ratzinger liess nicht locker

Halter zog stattdessen weiter nach Luzern und übernahm an der dortigen Universität die Professur für theologische Ethik, die er bis 2004 innehatte. Ratzinger war dagegen, dass Hans Halter einen neuen Lehrstuhl bekam, weil Rom angeblich hierzu nicht befragt worden sei. Luzern hingegen argumentierte, Halter habe ja bereits in Chur ein «nihil obstat» gehabt. Von daher habe man kein Neues in Rom anfordern müssen.

Papst Benedikt und sein Bruder Georg Ratzinger im Jahr 2008.
Papst Benedikt und sein Bruder Georg Ratzinger im Jahr 2008.

Ratzinger habe dennoch versucht, Einfluss auf Halter zu nehmen, berichtet er. «Hätte ich einmal nachgegeben, wäre es so weitergegangen. Doch inhaltlich habe ich mir keine Fehler geleistet, ich habe nochmals alle beanstandeten Texte überprüft.»

Briefe ans Bistum Basel

Persönlich kennengelernt habe er Joseph Ratzinger nie, berichtet Halter. «Es gab keine Begegnungen. Die Beschwerdebriefe von Ratzinger gingen nicht an mich direkt, sondern über den Dienstweg an den zuständigen Bischof von Basel, damals Otto Wüst», sagt Halter. 

Bischof Otto Wüst lebte von 1926 bis 2002.
Bischof Otto Wüst lebte von 1926 bis 2002.

Dieser habe ihn dann darüber informiert, dass Ratzinger wieder etwas geschickt habe und «von mir verlangte, meine Artikel neu zu verfassen». Das sei zwei Jahre so gegangen. Irgendwann «hat er es dann aufgegeben», sagt Hans Halter.


Hans Halter, Schweizer Moraltheologe, in einer Aufnahme von 2011. | © Remo Wiegand
3. Januar 2023 | 13:59
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