«Gut denken, gut reden, gut handeln»

Begegnung mit einer jesidischen Kurdin in der Schweiz:

Basel, 17.8.14 (Kipa) Mehrere hundert Personen haben am Samstag, 16. August, in Basel an einer Kundgebung gegen den Terror der Gruppe Islamischer Staat (IS) im Irak teilgenommen. Dazu aufgerufen hatte die Kurdische Gesellschaft in der Schweiz. Vom Terror besonders betroffen sind die Jesiden, eine religiöse Minderheit unter den Kurden. Die Presseagentur Kipa hat in Basel eine Jesidin getroffen und sie zu ihrer Religion befragt.

Es sind mehrheitlich Kurden, die dem Aufruf «für humanitäre und politische Unterstützung gegen den IS-Terror» gefolgt sind. Sie kommen aus der ganzen Schweiz, mehr Männer als Frauen, aber auch Familien und Jugendliche. Sie sind Sunniten, Aleviten, Sozialisten oder Atheisten. Sie tragen Transparente mit Slogans wie «Stopp IS-Terror» oder «Mensch ist Mensch, egal welche Religion», aber auch kurdische Fahnen und solche mit dem Konterfei von Abdullah Öcalan, Führer der kurdischen marxistischen Untergrundorganisation PKK.

Die Angriffe der IS-Dschihadisten gegen Andersgläubige haben die Kurden mit einem Mal ins Zentrum medialer Aufmerksamkeit gerückt: Vom Terror besonders betroffen sind seit Wochen die Jesiden, Angehörige einer religiösen Minderheit unter den Kurden. Am Tag der Demonstration meldeten Medien ein Massaker an bis zu 100 jesidischen Männern, die Frauen seien verschleppt worden.

Einige hundert Jesiden in der Schweiz

Es ist nicht leicht, an der Demonstration in Basel jesidische Kurden zu finden. «Es gibt Jesiden in der Schweiz», sagt Ömer Atesci, als Mitglied des kurdischen Kulturvereins Basel Mitorganisator der Kundgebung, «aber es sind nicht sehr viele.» Die genaue Zahl weiss er nicht. Es dürften einige hundert sein, schreibt Kamal Sido, Nahostreferent der Gesellschaft für bedrohte Völker in Deutschland, auf Anfrage der Presseagentur Kipa. Eine davon ist Beriwan Kahraman, eine 24-jährige Kurdin aus der Osttürkei, aufgewachsen in der Schweiz und wohnhaft in der Ostschweiz. Sie geht von etwa 500 Jesiden in der Schweiz aus. Vor allem in den letzten Jahren seien Jesiden aus dem Irak in die Schweiz gekommen. Sie seien jedoch nicht organisiert, weshalb es schwierig sei, an Informationen über sie heranzukommen.

«Das Jesidentum ist eine monotheistische Religion», erzählt die junge Frau mit Bestimmtheit. «Sie wird durch mündliche Tradition weitergegeben, es gibt kein Buch oder heilige Schriften.» In der Schweiz seien es vor allem ältere Jesiden, die ihre Religion noch praktizierten, erzählt Kahraman, die dies selber nicht tut. «Praktizierende Jesiden beten morgens, mittags und abends zur Sonne gewandt. Sie sprechen dabei ein frei formuliertes Gebet.» Die Leben spendende Sonne sei ein Symbol für die Existenz Gottes.

Teufelsanbeter

«Es gibt keine Gotteshäuser, die Jesiden beten unter freiem Himmel», schreibt auch Sido. Religiöses Zentrum sei der heilige Tempel in Lalish in der Nähe von Mossul. Hier befinde sich das Grabmal von Sheikh Ali, einem Mystiker des 10./11. Jahrhunderts, der bei den Jesiden eine zentrale Rolle spiele.

Sido bestätigt den Glauben an einen einzigen Gott, die Gestalt eines Bösen gebe es hingegen bei den Jesiden nicht. «In den Augen der Muslime sind die Jesiden Ungläubige, denn sie haben kein heiliges Buch», schreibt Sido. Kahraman spricht gar von «Teufelanbetern», wie die Jesiden von fundamentalistischen Muslimen genannt würden. Hintergrund sei die Verehrung des Engels «Taus-i Melek», den Kahraman als «König der sieben Engel» bezeichnet – dies sei für die Muslime ein Zeichen dafür, dass der jesidische Glaube nicht monotheistisch sei.

«Gut denken, gut reden, gut handeln», umschreibt die kurdische Aktivistin die Grundsätze ihrer Religion. Dabei habe Gott den Menschen den Verstand gegeben, hierüber zu entscheiden. Auch der Religionswissenschaftliche Medien- und Informationsdienst in Deutschland (Remid) erwähnt in seiner Broschüre über die Jesiden die Selbstverantwortlichkeit des Menschen für sein Handeln. Ferner, erzählt Kahraman, haben Jesiden eine Art «Gotte oder Götti», welche insbesondere «die Totenzeremonie begleiten und eine moralische Mitverantwortung für die Taten übernehmen», erklärt der Remid. Jesiden glaubten an ein Leben nach dem Tod im Sinne einer Seelenwanderung.

Gutes Verhältnis zu den Christen

Laut Recherchen der katholischen Nachrichtenagentur KNA werden Jesiden seit Jahrtausenden sowohl religiös als auch ethnisch wegen ihrer Zugehörigkeit zu den Kurden verfolgt. Für fundamentalistische Muslime seien sie vom wahren Glauben abgefallen. Silo spricht von 74 durch Muslime verübte Genoziden. Das Verhältnis zu den Christen gelte hingegen als gut.

«Weil man nur durch Geburt Jeside sein kann, gibt es keine Missionierung», erklärt Kahraman, die sich in der Bewegung «Freie kurdische Jugend» engagiert, um ihre Umgebung auf die Situation in Kurdistan aufmerksam zu machen. Sie selbst sei zwar nicht religiös, «aber die jesidische Religion ist ein Stück kurdische Kultur. Und weil es kurdisch ist, ist es für mich heilig!», sagt die junge Frau, und mischt sich unter die Menge, kurdische Parolen skandierend.

Separat:

Jesiden

Jesiden sind eine religiöse Minderheit unter den Kurden. Ihre Muttersprache ist das nordkurdische Kurmanji. Weltweit gibt es je nach Quellen etwa 800.000 bis eine Million Jesiden. Etwa drei Viertel von ihnen leben im Irak, andere in Syrien, der Türkei, Armenien, Georgien und Russland. In Europa leben bis zu 150.000 Jesiden, gegen 100.000 allein in Deutschland.

Hinweis für Redaktionen: Zu diesem Beitrag sind kostenpflichtige Bilder erhältlich. Bestellungen sind zu richten an: kipa@kipa-apic.ch. Honorare für Nutzungsrecht: Erstes Bild CHF 80.-, ab dem zweiten Bild zum gleichen Anlass CHF 60.-. (kipa/kna/sy/bal)

17. August 2014 | 09:26
Lesezeit: ca. 3 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!