Viktorianische Weihnachts-Postkarte um 1900.
Religion anders

Gnadenbringende Spendenzeit: Vom Schenken und Spenden

Während der Adventszeit werden nicht nur massenhaft Geschenke gekauft und gebastelt, sondern es wird auch traditionell viel an gemeinnützige Organisationen gespendet. Weshalb ist das Geben vor und an Weihnachten so wichtig und was versprechen wir uns davon? Eine kleine Geschichte des Schenkens und Spendens.

Natalie Fritz

Die eingelegten Gürkli für Tanten und Onkel noch schön verpacken, das gewünschte Brettspiel für das Gottemeitli noch besorgen und den Pfuusbus-Betreibenden per Twint einen Zustupf zukommen lassen; für viele ist das Schenken und Geben gerade im Advent zentral. Weshalb ausgerechnet dann? Schenken ist eine sehr alte Praxis, die je nach Zeit und Kultur anders geprägt ist. So kann das Schenken entweder an spezifische Tage oder an bestimmte rituelle Handlungen gebunden sein.

Schenken kann zudem als politischer Akt oder individuelle Sympathiebekundung verstanden werden. Damit aus dem Schenken ein bedeutungsvolles Geben wird, braucht es aber stets einen Rahmen, der die Ausseralltäglichkeit der Handlung akzentuiert.

König Charles II. wird vom royalen Hofgärtner John Rose mit einer Ananas beschenkt. 1675, wahrsch. Urheber Hendrick Danckerts.
König Charles II. wird vom royalen Hofgärtner John Rose mit einer Ananas beschenkt. 1675, wahrsch. Urheber Hendrick Danckerts.

Schenken – soziale Praxis seit jeher

Schenken ist, könnte man etwas plakativ sagen, in praktisch allen Kulturen eine essenzielle soziale Handlung. Mit ausgesuchten oder kostbaren Geschenken versichern wir unserem Gegenüber unsere Zuneigung oder Ehrerbietung und festigen obendrein Beziehungen. Denn die Praxis des Schenkens setzt häufig auch eine gewisse Reziprozität, also Gegenseitigkeit, voraus. Wer schenkt, wird im besten Fall ebenfalls beschenkt. Die Idee des «Do ut des» – Ich gebe, dass du gibst – stammt ursprünglich aus der Antike, wo man sich durch Opfergaben an bestimmte Gottheiten eine Gegenleistung erhoffte. Im katholischen Kontext sei in diesem Zusammenhang an Votivgaben und Legate erinnert.

Almosentafel im Basler Münster. Ölmalerei auf Blech, 17. Jahrhundert (?)
Almosentafel im Basler Münster. Ölmalerei auf Blech, 17. Jahrhundert (?)

Diese grundsätzliche Struktur des Schenkens habe sich bis heute erhalten, stellte der französische Ethnologe Marcel Mauss bereits 1925 in seiner wissenschaftlichen Abhandlung «Die Gabe» fest. Auch der «moderne Mensch» schenke häufig in der Hoffnung darauf, eine Investition in die Zukunft zu tätigen. Denn wer schenkt, erwartet eine gewisse Dankbarkeit. Dieses zumindest zeitweilige Ungleichgewicht zwischen beschenkter Person und schenkender Person dient dazu, die Machtposition der schenkenden Person zu festigen und gegebenenfalls Ansprüche an die Gegenseite zu legitimieren.

Der Präsident Südkoreas, Yoon Suk Yeol, bekommt am 25. April 2023 im Blue Room des Weissen Hauses eine Baseball Memorabilie vom Präsidenten der USA, Joe Biden, überreicht.
Der Präsident Südkoreas, Yoon Suk Yeol, bekommt am 25. April 2023 im Blue Room des Weissen Hauses eine Baseball Memorabilie vom Präsidenten der USA, Joe Biden, überreicht.

So dient etwa in der Politik der Austausch von Geschenken zwischen Staatsoberhäuptern seit jeher dazu, die Beziehungen zwischen Nationen zu festigen, Vertrauen aufzubauen und auf künftige (wirtschaftliche) Zusammenarbeiten hinzuwirken. Sogenannte Staatsgeschenke sind sorgfältig ausgewählt, möglichst unpolitisch und meist kostspielig. Damit wird Wertschätzung ausgedrückt und zugleich die gebende Nation repräsentiert, etwa durch eine landestypische Handwerkskunst.

Gegenleistung erwartet?

Das bedeutet aber auch, dass Geschenke stets als Zeichen für etwas stehen. Wenn im Neuen Testament die drei Weisen Jesus mit Weihrauch, Gold und Myrrhe beschenken, so stehen die kostbaren Gaben unter anderem als Zeichen der Unterwerfung unter den grössten König, der gleichermassen Gott ist. Die Gaben symbolisieren auch den Dank für das, was künftig Gutes von Gott kommen wird.

Die Heiligen Drei Könige mit Gaben, Teil aus einem Mosaik in der Basilika Sant’Appolinare Nuovo in Ravenna.
Die Heiligen Drei Könige mit Gaben, Teil aus einem Mosaik in der Basilika Sant’Appolinare Nuovo in Ravenna.

Der Blick auf die Gaben der drei Weisen aus dem Orient macht zudem deutlich, dass Schenken auch finanzielle, soziale und moralische Bedeutung hat. Wer gibt am meisten? Wer vermag das teuerste Geschenk? Wem wird gegeben? Hier spielen dann die Statusfrage oder der finanzielle Hintergrund eine Rolle. Bei Spenden wird dies besonders deutlich. Denn eigentlich ist eine Spende ein freiwilliger finanzieller Transfer, bei dem die Spendenden keine materielle Gegenleistung erhalten. Aber manchen Spendenden ist es wichtig, dass sie namentlich genannt und öffentlich verdankt werden. Ihnen geht es um Ansehen und Image, eine symbolische Gegenleistung also, die den gesellschaftlichen Status bestätigen oder verbessern kann.

Geben hat auch religiöse Wurzeln

Für viele Religionsgemeinschaften ist die Unterstützung wenig begüterter Menschen eine zentrale Aufgabe. Sie verteilen Sachspenden und kleine Finanzspritzen an Bedürftige und bieten ein offenes Ohr an. In gewissen religiösen Traditionen ist die regelmässige Spende verpflichtend. Muslime etwa geben 2,5 Prozent ihres Vermögens ab. Der Zakat ist Pflichtabgabe und eine der sogenannten fünf Säulen des Islam. Die Thora fordert in der jüdischen Tradition eine Abgabe zwischen 10 bis 20% des Einkommens für wohltätige Zwecke. Im Christentum gibt es in der Schweiz nebst der Kirchensteuer keine Verpflichtung zum Spenden, aber Kollekten werden fast in jedem Gottesdienst und jeder Eucharistiefeier eingesammelt.

Die heilige Elisabeth verteilt Brot (frühes 20. Jahrhundert?). Ravensburg, Krankenhaus St. Elisabeth.
Die heilige Elisabeth verteilt Brot (frühes 20. Jahrhundert?). Ravensburg, Krankenhaus St. Elisabeth.

Viele schenken aus rein altruistischen Motiven, ohne einen Gedanken an Reziprozität oder Prestige zu verschwenden. Doch laut dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu kommt sogar in diesem Fall etwas zurück, wenn auch in verschleierter Form.

Sei es die Möglichkeit, die Spende später in der Steuererklärung abzuziehen oder das sogenannte Helper’s High. Dieses etwas selbstgerechte Hochgefühl, das sich einstellt, wenn man den Musikanten und Musikantinnen der Heilsarmee ein Hunderternötli in den Spendentopf geworfen oder den Médécins sans Frontières fünfzig Franken überwiesen hat, kann durchaus als immaterielle Gegenleistung angesehen werden. Das Helper’s High setzt dann ein, wenn der Körper nach einer Spende das sogenannte Glückshormon Oxytocin freisetzt, das zu einem gesteigerten Wohlbefinden fühlt. Die neurologische Forschung hält fest, dass Menschen, die dieses Wohlgefühl bereits erlebt haben, danach regelmässiger spenden.

Das grösste Geschenk

In der Vorweihnachtszeit, wo in unseren Gefilden allerorts Krippen aufgestellt, Goldrauschengel für den Tannenbaum feilgeboten und Weihnachtslieder gesungen werden, ist die christliche Botschaft der Nächstenliebe über einen längeren Zeitraum in der Öffentlichkeit so präsent wie sonst kaum. Ausserdem besinnen sich viele Menschen gerade in der Adventszeit auf das Wesentliche – also neben dem Geschenkemarathon. Man schaut sich um und erkennt, wie gut man es hat. Kein Hunger, kein Krieg, ausreichend Nahrung und Sicherheit.

Oktober 1942. Mitarbeitende des Australischen Roten Kreuzes packen Weihnachtsgeschenke für die Soldaten an der Front ein.
Oktober 1942. Mitarbeitende des Australischen Roten Kreuzes packen Weihnachtsgeschenke für die Soldaten an der Front ein.

Bilder von kriegsversehrten Menschen, überfluteten Dörfern oder hungernden Kindern appellieren dann offensichtlich anders an das Mitgefühl und wecken den Wunsch etwas zu geben. Letztlich waren auch die omnipräsenten Maria und Josef auf das Mitgefühl anderer Menschen angewiesen… Das führt dazu, dass die Menschen in der Vorweihnachtszeit besonders grosszügig sind, wie verschiedene Untersuchungen zeigen.

Krippe Bernharduskirche Karlsruhe, 27. 12.2013.
Krippe Bernharduskirche Karlsruhe, 27. 12.2013.

Die moralische Komponente des Gebens kommt hier zum Tragen: Wer hat, der sollte geben, um das soziale Gefüge zu stabilisieren. Für den Ethnologen Mauss waren wohlfahrtsstaatliche Einrichtungen wie Sozialversicherung oder Arbeitslosenunterstützung logische Weiterentwicklungen des archaischen Tauschhandels. Auch sie dienen der Stabilisierung der Gesellschaft, weil sie eine Investition in die Zukunft sind.

Jesuskind in der Krippe
Jesuskind in der Krippe

Wohl das grösste Geschenk – das wird an Weihnachten deutlich – sind die Kinder; für Familie und Gesellschaft. Sie versprechen eine Zukunft! Der Ausruf «Es ist uns ein Kind geboren! Ein Sohn ist uns geschenkt!» aus Jesaja 9, 5 wird in der christlichen Tradition mit dem Blick auf das Jesuskind gelesen. Nichts ist kostbarer als dieses kleine menschliche Wesen in der Krippe, in dem Gott Mensch wurde. Wenn dann an Weihnachten das Kleinkind aus Versehen den Christbaum anzündet und die Teenie-Tochter den Wollpullover von Tante Heidegund verschmäht, denkt man sich, den Ärger unterdrückend, «Da häsch’s Gschänk!», besinnt sich auf das Wesentliche und freut sich ob des familiären Gebens und Nehmens.


Viktorianische Weihnachts-Postkarte um 1900. | © Wikimedia Commons/unknown, public domain
16. Dezember 2023 | 06:30
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