Demonstration in Liechtenstein 1997 gegen die Inthronisation von Wolfgang Haas als Erzbischof von Vaduz.
International

Gläubige in Liechtenstein wollen künftig zu Chur, St. Gallen oder Feldkirch gehören

Der Verein für eine offene Kirche kritisiert das Erzbistum Vaduz, aber auch die Regierung in Liechtenstein. Kirche und Politik ignorierten gleichermassen die Interessen der Gläubigen. Die Reformgruppe hofft, dass mit Wolfgang Haas’ Emeritierung als Erzbischof das Bistum aufgelöst wird.

Wolfgang Holz

Fast paradiesisch präsentiert sich der Frühsommer vom Balkon des Klosters St. Elisabeth in Schaan. Letzte Wolkenreste lösen sich in der Sonne auf. Majestätisch erheben sich die Bergketten auf der anderen Seite des Rheintals. Grüne Matten überall. Der spitze Kirchturm von St. Laurentius, der katholischen Kirche, sticht wie ein Fels ins Azur.

Kloster Elisabeth, Schaan
Kloster Elisabeth, Schaan

Doch die Idylle trügt. Denn nur wenige Meter entfernt reden die Vertreterinnen und Vertreter des Vereins für eine offene Kirche Tacheles zum Abschluss des synodalen Prozesses. Von November 2021 bis Mai erstreckte sich der Prozess, den die Arbeitsgruppe um Christel Kaufmann, Bruno Fluder und Klaus Biedermann quasi im Alleingang organisierte. Ja, organisieren musste. Denn Erzbischof Wolfgang Haas und die katholischen Priester des Erzbistums Vaduz weigerten sich, mitzumachen.

Höhere Beteiligung als in Chur

250 Personen beteiligten sich aktiv an einer Umfrage zu fünf Themenkreisen. Fünf moderierte Gesprächsrunden fanden statt. Drei Religionsklassen beteiligten sich ebenfalls. Ein Flyer als Einladung wurde an die Haushalte verschickt. «Wir erreichten rund 0,8 Prozent der Katholiken im Land, das ist ein höherer Prozentsatz als im Bistum Chur», berichtet Christel Kaufmann stolz. Doch trotz dieser aktiven Beteiligung klingt das Fazit frustrierend.

Christel Kaufmann hat das Organisationskomitee zum synodalen Prozess in Liechtenstein geleitet.
Christel Kaufmann hat das Organisationskomitee zum synodalen Prozess in Liechtenstein geleitet.

«Das Erzbistum Vaduz ist tief gespalten», resümiert Bruno Fluder. Er stellte die wichtigsten Erkenntnisse der Umfrage am Mittwoch bei einer Pressekonferenz vor. Der Grund: Treue Anhängerinnen und Anhänger des Erzbischofs haben sich laut Fluder konsequent vom synodalen Prozess ferngehalten, obwohl dieser auf eine Initiative, ja sogar den Auftrag von Papst Franziskus zurückgehe.

Nur ein privater Verein?

«Der Klerus des Erzbistums und der Erzbischof selber scheinen die Gruppe der aufgeschlossenen katholischen Gläubigen nicht als Teil der Kirche anzuschauen, sondern nur als privaten Verein», kritisiert Bruno Fluder.

Bruno Fluder hat den synodalen Prozess in Liechtenstein mitorganisiert.
Bruno Fluder hat den synodalen Prozess in Liechtenstein mitorganisiert.

Nicht nur die rund 250 Katholikinnen und Katholiken, die sich an der Umfrage beteiligt haben, fühlen sich seit der Gründung des Erzbistums Vaduz 1997 eingeschränkt. «Sie vermissen eine ernsthafte Laienbeteiligung», sagt Bruno Fluder. Desgleichen würden sie Stellungnahmen der Bistumsleitung zu relevanten Gesellschaftsthemen wie dem Krieg in der Ukraine, Corona oder der «Option für die Armen» vermissen.

«Die Sexualmoral muss endlich geändert werden»

Zudem kommt die Reformgruppe in Liechtenstein zu dem Schluss, dass Männer in der Kirche dominierten. Dass ein Glaubwürdigkeitsproblem durch Skandale und Machtspiele in der offiziellen Amtskirche herrsche. «Verschiedene gesellschaftliche Minderheiten werden in der Kirche marginalisiert», so Fluder weiter. «Die Sexualmoral muss endlich geändert werden und die Tabuisierung des persönlichen Glaubens ein Ende haben.»

Und nicht nur das. An den 60 Geistlichen der katholischen Kirche in Liechtenstein wird bemängelt, dass sie «äusserst konservativ» und auch «nicht geeignet» seien, auf die Lebenswelt der Gläubigen einzugehen und diese an der katholischen Kirche entsprechend mitwirken zu lassen.

Monokultur in Liechtenstein

Dabei habe das Zweite Vatikanische Konzil klar die Mitbestimmungsrechte der Gläubigen zementiert. Gerade die Möglichkeit der Laienbeteiligung habe sich aber drastisch verschlechtert in den letzten Jahren. Pastoralassistentinnen und Assistenten, Diakone und weitere Engagierte mussten ihre Tätigkeit aufgeben oder hatten nichts mehr zu sagen, kritisiert der Verein – der gemäss seinen Statuten die religiöse Vielfalt und die Mitbestimmungsrechte der Gläubigen stärken möchte.

Klaus Biedermann, Vorstand des Vereins für eine offene Kirche
Klaus Biedermann, Vorstand des Vereins für eine offene Kirche

Wobei der Verein der offenen Kirche in Liechtenstein, der 1998 als Reaktion auf die Gründung des Erzbistums Vaduz mit Wolfgang Haas an der Spitze entstand, sich sicher ist, dass gerade die Isolierung des Erzbischofs zu der Verschlechterung der Volkskirche in Vaduz geführt habe. «Er steht nicht mehr im Austausch mit anderen», bilanziert Klaus Biedermann, langjähriger Vorstand des Vereins für eine offene Kirche.

Chur, St. Gallen oder Feldkirch?

Er fordert deshalb, frühzeitig und transparent in Bezug auf die Nachfolge von Erzbischof Wolfgang Haas zu informieren. «Zum anderen wünschen wir uns, dass die katholische Kirche in Liechtenstein zukünftig wieder mit einem Nachbarbistum verbunden sein wird», sagt Biedermann. «Das können entweder die Bistümer Chur oder St. Gallen sein oder auch das Bistum Feldkirch.»

Das Priesterseminar des Bistums Chur, Sankt Luzi, am 20. Juli 2021 in Chur (Schweiz).
Das Priesterseminar des Bistums Chur, Sankt Luzi, am 20. Juli 2021 in Chur (Schweiz).

Zentral sei dabei, dass die für Liechtenstein zuständige kirchliche Autorität in eine Bischofskonferenz eingebunden sei. Nicht zuletzt wird auch der Politik in Sachen Kirchenaffinität kein gutes Zeugnis ausgestellt. Günther Boss, theologischer Berater des Vereins, kritisiert: «Die Politik kümmert sich nicht mehr um die Kirche, sie will mit ihr nichts mehr zu tun haben.»

Wut? Enttäuschung? «Weder noch»

Was bleibt unterm Strich für die Organisatoren des synodalen Prozesses in Liechtenstein – denen es so gelungen ist, den Puls der Gläubigen zu messen und aufzuzeigen, was sich die Katholikinnen und Katholiken im Fürstentum wirklich wünschen? Ist es Wut? Ist es tiefe Enttäuschung?

Die Kathedrale von Vaduz.
Die Kathedrale von Vaduz.

«Weder noch», versichert Christel Kaufmann. Dem Verein sei klar, dass der Schlussbericht in Rom wohl zu keinen grossen Veränderungen führen werde. «Der Weg ist das Ziel», sagt Christel Kaufmann. Man habe eine grosse Befriedigung aus dem synodalen Prozess in und für Liechtenstein gespürt. «Vielleicht kann man es in etwa so sagen: Wir spielen sehr gerne Fussball, aber leider eben ohne Ball.»

Erzbischof Wolfgang Haas schweigt

Bruno Fluder sieht die Initiative ebenfalls sehr positiv: «Der synodale Prozess hat gezeigt, dass es in Liechtenstein eine sehr lebendige Kirche gibt – leider gibt es für sie seitens der offiziellen Kirche zu wenig oder fast gar keinen Platz.»

Ach ja: Erzbischof Wolfgang Haas hat den Schlussbericht bereits zugestellt bekommen. Reaktionen dazu gab es seinerseits bislang keine.


Demonstration in Liechtenstein 1997 gegen die Inthronisation von Wolfgang Haas als Erzbischof von Vaduz. | © KNA
1. Juni 2022 | 18:26
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