Catherine Ulrich
Theologie konkret

Genfer Seelsorgerin: «Ob meine Geste sakramental war, weiss ich nicht»

Catherine Ulrich hat schon oft Menschen mit Behinderung auf die Sakramente vorbereitet – doch dann kam ein Priester eingeflogen, um diese zu spenden. Einmal durfte sie an einer Taufe das Wasser auf den Kopf giessen: «Ob meine Geste sakramental war, weiss ich nicht.»

Regula Pfeifer

Sie treten als katholische Behindertenseelsorgerin an der Tagung «Sakramentalität und Kirche» auf. Worüber sprechen Sie?

Catherine Ulrich*: Ich werde über Situationen sprechen, in denen behinderte Menschen ein Sakrament wünschten. Und was dann geschah, wenn ich als nichtgeweihte Frau offiziell nicht weitermachen durfte. Welche Gesten dann möglich waren.

«Eine junge Frau meinte vor ihrem Tod, sie habe gesündigt.»

Traurige junge Frau
Traurige junge Frau

Bringen Sie Beispiele?

Ulrich: Ja, ich werde über eine junge Frau erzählen, die vor ihrem Tod meinte, sie habe gesündigt. Ich bot ihr das Sakrament der Versöhnung an. Ich werde auch über eine andere junge Frau sprechen, die psychische Probleme hatte, darunter Halluzinationen. Da dachte ich, dass eine Krankensalbung gut wäre. Und über einen Mann um die 70, der getauft werden wollte.

Gibt es bei Menschen mit Behinderung besondere Erschwernisse?

Ulrich: Ja, sie leben in einer Institution und können sich unter Umständen nicht frei von dort wegbewegen. Oft können sie sich nicht so gut mitteilen. Etwa mit einer von drei Personen können wir einigermassen verbal kommunizieren. Bei den anderen ist es sehr schwierig. Wir müssen Jahr für Jahr neu entdecken, wie wir uns mit ihnen austauschen können. Das kann ein Priester nicht tun, der nur einmal für ein Sakrament vorbeikommt.

«Dem Mann erschien in Lourdes Jesus. Danach wollte er getauft werden.»

Erzählen Sie mehr über den Mann, der getauft werden wollte.

Ulrich: Der Mann durfte einmal mit dem Malteserorden nach Lourdes reisen. Ich weiss nicht, wie es dazu gekommen war, denn er ging nie zur Kirche. Jedenfalls: In Lourdes erschien ihm Jesus. Danach wollte er getauft werden. Seine Institution wandte sich an uns – wie das üblich ist. So ging ich ihn ein Jahr lang jeden Monat besuchen, um ihn in seinen Überlegungen zu begleiten.

In der Kirche sind viele Freiwillige tätig - hier bei der Wallfahrt nach Lourdes.
In der Kirche sind viele Freiwillige tätig - hier bei der Wallfahrt nach Lourdes.

«Es ist sehr schwierig, ein Sakrament zu organisieren.»

Wie war der Schritt zur Taufe?

Ulrich: Sehr aufwändig. Ich kontaktierte den Priester der Pfarrei in der Nähe des Heims, in dem der Mann lebte. Dieser traf ihn zwei, drei Mal, auch mit der Patin zusammen. Zwei Tauftermine mussten wir verschieben, wegen Covid und weil der Mann im Spital war. Dort wollte ihn der Seelsorger nottaufen. Ich erklärte ihm, dass der Mann zuwarten und in einer Kirche von einem Priester getauft werden wolle – und zwar weiss gekleidet. Als der Mann aus dem Spital kam, konnte der Priester den vereinbarten Tauftermin kurzfristig nicht einhalten. Er fand einen Stellvertreter. Diesen konnten wir vorher nicht mehr treffen. Das zeigt, wie schwierig es ist, ein Sakrament zu organisieren. In den Spitälern und Heimen haben wir keine Priester mehr. Und sie sind allgemein vielbeschäftigt.

«Der Priester bat mich, das gesegnete Wasser über den Kopf des Mannes zu giessen.»

Und wie ging die Taufe schliesslich vor sich?

Ulrich: Der Priester sprach die Taufworte und bat mich, das Weihwasser über den Kopf des Mannes zu giessen. Am Schluss machte doch ich als Frau und Laiin, die den Mann lange begleitet hatte, eine Geste. Das war in allen drei Fällen so. Das zeigt, dass das etwas Natürliches und Logisches war. Dessen sind sich die Priester bewusst. Ob meine Geste sakramental war, weiss ich nicht. Das müssen Theologinnen und Theologen entscheiden.

Taufe Jesu am Jordan – Gemälde in der St. Ursen-Kathedrale Solothurn
Taufe Jesu am Jordan – Gemälde in der St. Ursen-Kathedrale Solothurn

Was ist Ihr Fazit daraus?

Ulrich: Wer mitten im Leben der Menschen ist, kann nicht stoppen vor einer Handlung, die eigentlich nicht erlaubt ist. Das geht nicht. Diesen Realitätsbezug werde ich einbringen an der Tagung.

«Wenn man Menschen begleitet, macht es Sinn, ans Ende des Prozesses zu gehen.»

Sehen Sie da einen Unterschied zu Menschen ohne Behinderung?

Ulrich: Nein, wenn man Menschen begleitet, macht es Sinn, ans Ende des Prozesses zu gehen. Das gilt für alle. Den Unterschied macht die ganze Organisation, die wir bei Menschen mit Behinderung übernehmen. Und die Frage, wie der Priester und die behinderte Person kommunizieren können. Das braucht Zeit.

Sie haben gegenüber cath.ch Kritisches über Diakone und Frauen gesagt.

Ulrich: Es geht um die Missachtung von Frauen. Ich war an einem bedeutenden Gottesdienst, bei dem fünf Priester und Diakone an der Eucharistie mitwirkten. Unter den Gottesdienstbesuchenden sass auch eine Frau, die vor kurzem zur Akolythin berufen worden war. Sie hätte also am Altar dienen können, bekam aber keine Aufgabe. Das zeigt: Solange Priester und Diakone da sind, werden Frauen nicht mit einbezogen. Das ist ein Problem.

«Frauen in der Deutschschweiz haben mehr Möglichkeiten im kirchlichen Dienst.»

Wie ist Ihre Einschätzung: Ist die Situation der Frauen in der Kirche in der Romandie schwieriger als in der Deutschschweiz?

Ulrich: Die Frauen in der Deutschschweiz haben mehr Möglichkeiten, im kirchlichen Dienst mitzuwirken – vor allem im Bistum Basel. Sie dürfen predigen, wir hier nicht.

Woran liegt das?

Ulrich: Wir haben uns darüber in der Arbeitsgruppe ausgetauscht, in der der Schweizerische Katholische Frauenbund, der Frauenrat der Bischofskonferenz und die Bischöfe vertreten sind. Da hiess es, die Kantonalkirchen und Kirchgemeinden würden sich positiv auf die Situation der Frauen auswirken – dank ihrer Nähe zum Staat und ihrer Finanzkraft.

«In Genf entscheidet der Bischof allein.»

Tatsächlich berufen sich einige Kantonalkirchen etwa auf das Gleichstellungsgesetz bei der Anstellung von Mitarbeitenden.

Ulrich: So etwas gibt es in Genf nicht. Hier handelt die Kirche nach Lust und Laune. Der Bischof allein entscheidet. Er verteilt die Posten. Damit auch Frauen eine echte Chance erhalten, braucht es mehr Kontrolle und echte Bewerbungsverfahren für kirchliche Stellen. Der Kanton Genf macht den Kirchen aber keinerlei Vorgaben. Staat und Kirche sind durch das Laizitätsgesetz strikt getrennt.

Worauf setzen Sie Ihre Hoffnung?

Ulrich: Ich hoffe, dass der Staat aktiv wird und dem Machismo in der Kirche ein Ende bereitet. Hier sind die Politikerinnen und Politiker gefragt. Allerdings: Wir stehen in Genf unter dem Einfluss von Frankreich.

«Ich habe ein Mädchen getroffen, das vom Ministrantendienst ausgeschlossen wurde.»

Was bedeutet das?

Ulrich: In Frankreich haben verschiedene Priester kürzlich beschlossen, die Ministranten als Diener am Altar, die Ministrantinnen hingegen als Dienerinnen an der Gemeinde einzusetzen. Das ist doch ungerecht. Offenbar wirkt sich das nun in Genf aus. Ich habe unlängst ein Mädchen getroffen, das erzählte, es sei mit zwölf Jahren vom Ministrantendienst ausgeschlossen worden. Diese Umkehrtendenz kommt von den Mittelmeerländern her und ist auch im Tessin bekannt.

Was erwarten Sie von der Tagung in Freiburg?

Ulrich: Soll ich ehrlich sein? Ich stehe vier Jahre vor der Pensionierung und muss sagen: Ich erwarte nicht viel. Die Leute hören erstens nicht richtig zu. Und dann finden sie immer eine Begründung, weshalb etwas schon immer so gehandhabt wurde und weiter so gemacht werden soll. Aber positiv ist: Alle Bischöfe kommen. Ich habe erwartet, dass sie eine Ausrede für ihre Absenz finden würden.

* Catherine Ulrich ist Leiterin der katholischen Seelsorge für Menschen mit Behinderungen und ihre Familien und engagiert sich im Frauennetzwerk «Réseau des femmes en Eglise». Am Dienstag hält sie an einer Tagung in Freiburg i.Ü. einen Votrag zum Thema «Wir haben heute seltsame Dinge gesehen (Lk 5, 26b) – wenn Alina, Méline und Roberto um ein Sakrament bitten».

Die Tagung «Sakramentalität und Kirche. Sakramentaler Dienst in der Kirche und seine Auswirkungen auf die Wahrnehmung pastoraler Aufgaben» findet am Dienstag, 6. September, in der Universität Freiburg i.Ü. von 9.15 Uhr bis 16 Uhr statt.


Catherine Ulrich | © Bernard Hallet
4. September 2022 | 05:00
Lesezeit: ca. 5 Min.
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