Innenraum der Genfer Basilika Notre-Dame
Schweiz

Genf: Messe für LGBT-Katholiken umstritten

Die Familienpastoral der römisch-katholischen Kirche Genf (ECR) hat in Zusammenarbeit mit der Jugendpastoral des Kantons Waadt erstmals in der Romandie am Samstag eine Veranstaltung mit dem Titel «Walk of Faith» für LGBT+-Katholiken organisiert. Die Eröffnungsmesse dieses Treffens hat jedoch empörte Reaktionen von Katholiken aus der Romandie hervorgerufen.

Myriam Bettens, cath.ch / Adaption Sarah Stutte

Anne-Claire Rivollet, Leiterin der Familienpastoral der katholischen Kirche in Genf, verschluckt sich fast, als sie die E-Mail liest, die sie soeben erhalten hat. Die Quelle dieser Aufregung ist ein offener Brief, den mehr als hundert Personen unterzeichneten.

Der Brief wurde am Vorabend des ersten «Walk of Faith» für LGBT+-Katholiken an Abbé Pascal Desthieux, dessen Pfarrei die Veranstaltung ausrichten wird, mit Kopie an Bischof Morerod sowie an die Verantwortlichen der beiden betroffenen pastoralen Arbeitsstellen für Familie und Jugend geschickt.

Kein Premierenanlass erwünscht

In diesem empörten Schreiben wird die Messe, die am Nachmittag des 29. April in der Basilika Notre-Dame in Genf stattfindet, angefochten. Der Gegenstand der Empörung? Die Feier oder das «Messopfer», wie die Unterzeichner schreiben, ist speziell für LGBT+-Katholiken bestimmt. Und das kommt nicht gut an.

Anne-Claire Rivollets Freude über die Premiere eines solchen Anlasses in der Romandie wird dadurch nicht getrübt. Später singt sie während der Feier: «Auf seinem Gesicht [keine] Bitterkeit für den, der zu Gott aufschaut.»

Ungebrochener Enthusiasmus

Eine Sorge bleibt jedoch, als die Messe näher rückt: Werden die Protestierenden den Ablauf der Feier stören? In dieser bangen Erwartung finden auf dem Vorplatz von Notre-Dame viele Begegnungen und Gespräche statt.

Junge Katholiken aus allen Teilen der Westschweiz und sogar aus dem Tessin lernen sich kennen oder treffen sich mit unverhohlener Begeisterung wieder. Jean-Michel Dunand, Gründer der Gemeinschaft Bethanien, ist gekommen, um dort – wie Anne-Claire Rivollet kürzlich schrieb – «die kleinen Keime der Kirche zu betrachten».

Die Messe für LGBT-Katholiken fand in der Basilika Notre-Dame in Genf statt.
Die Messe für LGBT-Katholiken fand in der Basilika Notre-Dame in Genf statt.

Im Inneren der Basilika begibt sich eine Gruppe in die der Jungfrau Maria gewidmete Kapelle im hinteren Teil des Gebäudes, um einen eher lauten Rosenkranz zu beten. Eine Protestaktion oder ein Zufall? Das weiss niemand.

Auch das tut der Begeisterung der Gläubigen keinen Abbruch, die zu dieser einzigartigen Messe gekommen sind. Da es in der Kirche nicht an Orten der Besinnung mangelt, hat Pascal Desthieux schnell einen Raum gefunden, der «die Intimität des Gebets und der Begegnung» ermöglicht.

«Sie sind die Kirche»

«Als Ortspfarrer komme ich, um Sie zu begrüssen und Ihnen zu sagen, wie sehr ich mich freue, dieses Ereignis mit Ihnen zu erleben. Es ist sowohl wichtig als auch sehr deutlich, auch für mich als Priester, dass die Kirche für alle da ist. Gleichzeitig haben Sie festgestellt, dass nicht alle das so verstehen wie ich, und ich bin überrascht über einige Reaktionen [gemeint ist der offene Brief, Anm. d. Red.] Das ist Teil einer Bewegung und einer Entwicklung, die trotz aller Widerstände Zeit braucht».

"Es ist in erster Linie unsere Taufe, die uns zusammenbringt", war bei der Messe für LGBT-Katholiken zu hören.
"Es ist in erster Linie unsere Taufe, die uns zusammenbringt", war bei der Messe für LGBT-Katholiken zu hören.

Nachdem er die Versammlung noch einmal willkommen geheissen hat, übergibt Pascal Desthieux, der zu anderen Verpflichtungen gerufen wird, an einen Mitbruder, um die Messe zu zelebrieren. «Es ist in erster Linie unsere Taufe, die uns zusammenbringt, und wenn es im Herzen Gottes Platz für uns gibt, dann auch auf Erden», erinnert der Priester die Gläubigen. Doch trotz dieser Erwähnung und der wohlwollenden Worte von Desthieux spiegeln die Gebetsanliegen die Sorgen der LGBT+-Katholiken wider.

Wie die Jünger von Emmaus

«Gott erlebt zu haben, stellt das Leben auf den Kopf und verändert die Wahrnehmung, die wir der Schöpfung entgegenbringen. Manche mögen glauben, dass es widersprüchlich ist, zu glauben und LGBT zu sein. Herr, du hast uns gemacht, du liebst uns und du wohnst in uns. Lass das Leben, das du uns gegeben hast, als ein Geschenk leben, das eine Suche nach unserer Bestimmung ist», bittet eine Gläubige.

«Wir beten für die Kirche, die du uns gegeben hast. Möge sie immer in einer Dynamik der Begegnung mit deinen Kindern sein. Möge sie ein unverbrüchlicher Ort der Aufnahme für alle Menschen sein, die in ihrem Leben entdecken wollen, wer du bist», betet ein anderer Gläubiger aus dem Wallis. Kurz vor diesem Gebetsmoment hatte der Offiziant mit der Versammlung die Geschichte und vor allem den inneren Weg der Emmausjünger besprochen.

Pilger auf dem "Emmaus Trail" zwischen Abu Gosch und Latrun (Israel).
Pilger auf dem "Emmaus Trail" zwischen Abu Gosch und Latrun (Israel).

Er fährt mit der Fürbitte fort: «Da es der Blick der Emmausjünger war, der sich verändert hat, gib auch uns deinen Blick auf die anderen, die Dinge und die Welt, die du so sehr geliebt hast. Er materialisiert diese Bitte während des Rituals des Händewaschens. «Heute bitte ich demütig darum, dass in meinem Herzen und in meinem Kopf kein Hass und keine Bitterkeit gegenüber demjenigen fliesst, der mich nicht liebt, gegenüber demjenigen, der mich nicht akzeptiert», erklärt der Priester, während die Flüssigkeit langsam in das kleine Becken fliesst.

Eine Wanderung des Glaubens

«Wir sind gekommen und waren vielleicht ein bisschen wie die Jünger von Emmaus, traurig und betroffen. Dann standen wir Christus gegenüber, der das Brot brach und uns wieder auf den Weg schickte. Seite an Seite, mit ihm und vor allem voll von ihm. Möge diese Zeit, die uns jetzt geschenkt wird, nicht nur eine gymnastische Übung sein. Möge sie eine Gelegenheit sein, auf dem Weg zu sein, einer mit dem anderen, denn Gott ist in uns da», schliesst der Minister. Anschliessend schickt er die Gläubigen auf einen lebhaften Marsch durch die Strassen von Genf mit Austausch, Reflexionen und einem Konzert.

Mit Regenbogen-Fahne: die Elisabethenkirche in Basel.
Mit Regenbogen-Fahne: die Elisabethenkirche in Basel.

Später treffen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu einem Aperitif und einem Abend in Anwesenheit von Jean-Michel Dunand. Dieser engagiert sich für die Vereinbarkeit von katholischem Glauben und Homosensibilität durch die Communion Béthanie, eine Gebetsbruderschaft im Dienst von Homosexuellen und Trans*-Menschen. In Verbindung mit der Französischen Bischofskonferenz und mehreren religiösen Gemeinschaften führt sie zahlreiche Menschen in der Frankophonie spirituell zusammen. (cath.ch/sas)


Innenraum der Genfer Basilika Notre-Dame | © Sabine Zgraggen
30. April 2023 | 17:59
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