Erzbischof Georg Gänswein (r.) bei der Trauermesse für Benedikt XVI..
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Gänswein packt aus: Franziskus meinte, mir würden Demütigungen guttun

Die italienische Zeitung «Il Giornale» veröffentlicht einen Auszug aus Georg Gänsweins Enthüllungsbuch. Darin geht’s um die Entmachtung von Benedikts Weggefährten im Jahr 2020. Papst Franziskus habe ihn gedemütigt und zum «halbierten Präfekten» gemacht, kritisiert Gänswein. Eine Intervention von Benedikt XVI. sei folgenlos geblieben.

«Die Gegensätzlichkeit zwischen dem amtierenden Papst Franziskus und dem emeritierten Papst Benedikt hat den Menschen Joseph Ratzinger immer traurig gemacht. Franziskus sagte einmal: «Ich habe gehört, dass einige zu Benedikt gegangen sind, weil sie ›dieser neue Papst…› verjagt habe.» Und es war genau so, das kann ich persönlich bestätigen.

«Benedikts Hoffnung war naiv»

Benedikts Hoffnung, dass ich das Bindeglied zwischen ihm und seinem Nachfolger sein würde, war etwas naiv. Schon nach wenigen Monaten hatte ich den Eindruck, dass es nicht möglich sei, zwischen dem neuen Papst und mir ein angemessenes Vertrauensklima herzustellen.

Erzbischof Georg Gänswein (l.), Präfekt des Päpstlichen Hauses, küsst die Hand des aufgebahrten Leichnams von Benedikt XVI.
Erzbischof Georg Gänswein (l.), Präfekt des Päpstlichen Hauses, küsst die Hand des aufgebahrten Leichnams von Benedikt XVI.

Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Besuch am 15. Juni 2014 der Gemeinschaft Sant’Egidio: Am Vortag sagte mir Papst Franziskus, dass meine Anwesenheit nicht notwendig sei, und bekräftigte dies entschieden angesichts meiner erstaunten Reaktion.

Andrea Riccardi, Gründer der katholischen Gemeinschaft Sant'Egidio
Andrea Riccardi, Gründer der katholischen Gemeinschaft Sant'Egidio

Am nächsten Tag rief mich der Gründer Andrea Riccardi an. Er fragte mich, ob der emeritierte Papst Benedikt XVI. oder ich irgendwelche Probleme mit Sant’Egidio hätten, weil ich nicht anwesend war. 

«Bleibe fortan zuhause. Begleite Benedikt»

Ich berichtete Papst Franziskus von diesem Telefonat, erklärte ihm, dass sein Verhalten meine Autorität geschmälert und mich auch persönlich gedemütigt hat. Er stimmte mir zu und entschuldigte sich dafür mit den Worten, dass Demütigungen mir guttun würden. Kurz darauf kam es leider zu einer ähnlichen Situation. 

Benedikt XVI. mit seinem Bruder Georg Ratzinger (l.) und seinem Sekretär Georg Gänswein (r.) 2008.
Benedikt XVI. mit seinem Bruder Georg Ratzinger (l.) und seinem Sekretär Georg Gänswein (r.) 2008.

Literarisch ausgedrückt war ich schliesslich Ende Januar 2020 nur noch ein «halbierter Präfekt». Nach der hitzigen Kontroverse um das Buch von Kardinal Sarah bat ich Papst Franziskus um ein persönliches Gespräch. Ich bat ihn um Rat, wie ich mich künftig verhalten solle. Er wirkte etwas überrascht, sagte aber mit ernster Miene: «Bleibe fortan zuhause. Begleite Benedikt, der dich braucht, sei ihm ein Schutzschild.». 

«Du bleibst Präfekt, kommst aber ab morgen nicht mehr zur Arbeit»

Diese Worte hinterliessen mich schockiert und sprachlos. Mein Versuch zu antworten, blockte er ab: «Du bleibst Präfekt, kommst aber ab morgen nicht mehr zur Arbeit.»

Ich entgegnete ihm resigniert, dass ich ihm Gehorsam leiste, auch wenn ich seine Entscheidung menschlich nicht nachvollziehen kann. Er sagte nur: «Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Akzeptanz und Gehorsam gute Dinge sind.»

Der Status quo hält an

Bei meiner Rückkehr ins Kloster reagierte Papst Benedikt fast ein bisschen ironisch auf das, was ich ihm berichtete: «Es scheint, als ob Papst Franziskus mir nicht mehr vertraut und möchte, dass Sie mein Vormund sind!»

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. (l.) begrüsst Papst Franziskus 2022, dahinter Erzbischof Georg Gänswein.
Der emeritierte Papst Benedikt XVI. (l.) begrüsst Papst Franziskus 2022, dahinter Erzbischof Georg Gänswein.

Wie erwartet, erreichten mich schon nach einigen Tagen der öffentlichen Abwesenheit viele Nachrichten. Am Samstag, dem 25. Januar, habe ich deshalb eine Notiz an Papst Franziskus geschrieben. Am 1. Februar antwortete er schriftlich: «Im Moment denke ich, dass es besser ist, den Status quo beizubehalten.» 

«Neuverteilung der verschiedenen Pflichten und Funktionen»

Am 5. Februar wurde dieser fragile Mantel des Schweigens dann durch einen Artikel des Vatikan-Experten Guido Horst in der Tagespost gelüftet – das Feuer war entfacht.

Erzbischof Georg Gänswein und Diego Giovanni Ravelli legen das Evangeliar auf den Sarg des verstorbenen Benedikt XVI.
Erzbischof Georg Gänswein und Diego Giovanni Ravelli legen das Evangeliar auf den Sarg des verstorbenen Benedikt XVI.

Am Nachmittag des 6. Februar gab der Vatikan eine Pressemitteilung heraus, in der erklärt wurde, dass «die Abwesenheit von Monsignore Gänswein auf eine ordentliche Neuverteilung der verschiedenen Pflichten und Funktionen des Präfekten des Päpstlichen Hauses zurückzuführen ist.»

«Monsignore Gänswein leidet zutiefst»

Ein wenig beruhigte mich nur das von Papst Benedikt in einem Brief an Papst Franziskus ausgedrückte Bedauern dieser Entwicklung. Er schrieb am 13. Februar: «Monsignore Gänswein leidet zutiefst und zunehmend unter der Last seines Zustands des Ausgeschlossenseins ohne Aussicht auf eine Lösung. Ich wage es daher, Eure Heiligkeit zu bitten, die Situation mit einem väterlichen Gespräch zu klären. Ich für meinen Teil kann nur sagen, dass Monsignore Gänswein keinen Anteil an der Ausarbeitung meines Beitrags zum Buch von Kardinal Sarah hatte.»

Ein paar Tage später erhielt ich die Nachricht von Papst Franziskus, dass sich an der momentanen Situation nichts ändern werde. Ein erneutes Gesprächsersuchen Benedikts vom 17. Februar blieb unbeantwortet.»

Die italienische Zeitung «Il Giornale» hat einen Auszug aus Georg Gänsweins Enthüllungsbuch veröffentlicht. Es soll nächste Woche auf Italienisch und später auf Deutsch im Herder-Verlag erscheinen. (mt/rr)


Erzbischof Georg Gänswein (r.) bei der Trauermesse für Benedikt XVI.. | © KNA
6. Januar 2023 | 10:59
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