«Muslimische Schüler stehen jetzt unter Generalverdacht»

Luzern, 7.1.14 (Kath.ch) Benno Bühlmann, Co-Präsident des Vereins der Religionslehrer/innen an Mittelschulen im Kanton Luzern, erklärt im Interview mit kath.ch, wie das Fach Religionskunde und Ethik mit Ereignissen wie dem Anschlag auf die Redaktion von «Charlie Hebdo» in Paris umgehen kann.

Von Sylvia Stam

Frage: Ist der Anschlag auf die Journalisten in Paris Thema für die Schülerinnen und Schüler?

Benno Bühlmann: Ja, sie sind bewegt und betroffen. Ich habe mit meiner zweiten Klasse heute Morgen intensive Gespräche geführt.

Frage: Was bewegt die Schülerinnen und Schüler?

Bühlmann: Sie sind sehr betroffen von den Bildern, die sie in den Medien sehen und welche das Attentat zum Teil ganz direkt zeigen. Die Bedrohung wird dadurch unmittelbar. Die Schülerinnen und Schüler denken, das könnte irgendwo passieren.

Frage: Wie haben Sie das Thema im Unterricht aufgegriffen?

Bühlmann: Zuerst habe ich ihnen Raum gegeben, um ihre Betroffenheit auszudrücken. Dann haben wir kurz benannt, was genau vorgefallen ist. Ich habe hierzu auch einen Beitrag aus einer Nachrichtensendung gezeigt. Wir haben uns auch darüber ausgetauscht, woher die Schülerinnen und Schüler ihre Informationen hatten.

Frage: Inwiefern waren ethische Fragen Thema?

Bühlmann: Im Anschluss an den Austausch folgte die ethische Reflexion: Da war zum einen die Frage nach unserem Umgang mit diesen Bildern. Dann die Frage, was dieser Anschlag für unseren Umgang mit dem Islam bedeutet.

Nebst dem religionspädagogischen Ansatz ging es auch um medienethische Fragen: Was bedeutet das für die Pressefreiheit? Dürfen Karikaturen ohne Grenzen publiziert werden?

Frage: Was für Antworten gab es dazu?

Bühlmann: Ziel des Fachs Religionskunde und Ethik ist die Mündigkeit. Religiös mündig ist jemand, der eine eigene Meinung hat, Verantwortung für sein Handeln übernimmt und die Folgen seines Handelns überdenkt. Konkret haben wir die Pro- und Kontra-Argumente zur obigen Frage aufgezeigt, damit die Schülerinnen und Schüler sich eine eigene Meinung bilden können. Sie haben als Hausaufgabe für die nächste Stunde, Berichte und Kommentare aus Medien zu sammeln, die ihnen in ihrer eigenen Meinungsbildung hilfreich waren.

Frage: Inwieweit kann Religionsunterricht verhindern, dass Schülerinnen und Schüler in religiösen Fragen radikalisiert werden?

Bühlmann: Religionsunterricht ist der Ort, wo sie sich mit solchen Ereignissen kritisch auseinandersetzen. Die Reflexion hierüber lehrt sie, ihre Haltung zu Religion und Gesellschaft zu reflektieren. Fundamentalismus ist nur möglich, wo diese Reflexion fehlt.

Frage: Haben Sie auch muslimische Schülerinnen und Schüler? Wie geht es diesen?

Bühlmann: Ja. Als Angehörige dieser Glaubensgemeinschaft erleben sie tagtäglich, dass sie unter Generalverdacht stehen, wenn beispielsweise so ein Anschlag passiert. Es ist wichtig, den nicht-muslimischen Schülerinnen und –schülern Einblick zu geben in den ganz unspektakulären Alltag dieser Mitschülerinnen und –schüler. Das Zerrbild der Religion, das durch solche Ereignisse entsteht, kann so korrigiert werden.

Frage: Wird es an Ihrer Schule auch eine Form der Verarbeitung der Betroffenheit geben, etwa in Form eines Gebets oder einer Gedenkminute?

Bühlmann: Wir werden diese Frage in unserer Fachschaft noch besprechen. (sys)

 

 

Benno Bühlmann | © Mateja Zupancic
8. Januar 2015 | 16:33
Lesezeit: ca. 2 Min.
Teilen Sie diesen Artikel!