Fulbert Steffensky im Jahr 2016
Zitat

Fulbert Steffensky: «Mönche sind Nichtsnutze wie alle anderen Christenmenschen auch»

Anlässlich seines 90. Geburtstag blickt der Theologe und Religionspädagoge Fulbert Steffensky auf seine Zeit im Benediktinerkloster zurück. In der Nachkriegszeit seien viele Klostereintritte eher aus Verzweiflung als aus Frömmigkeit geschehen. Dennoch: «Wir suchten im Kloster ein gerechtes Leben, in dem Menschen das Geld und das Brot teilten.»

«13 Jahre als Mönch im Benediktinerkloster Maria Laach, dies aber nur als kurzer Exkurs. Nachkriegszeiten sind immer Klosterzeiten. So war es nach 1918, so war es noch stärker nach 1945. Die Institutionen hatten ihre Selbstverständlichkeiten verloren: die Kirchen, die Kollaborateure waren; die Schulen, die dem Ungeist gedient haben; viele unserer Väter und Mütter gehörten zu den Verrätern oder Zuschauern; unseren Dichtern und Musikern haben wir misstraut, denn sie haben mitgemacht oder sich missbrauchen lassen.

«Wir lebten in einer Gesellschaft des schlechten Gedächtnisses.»

Die meisten Deutschen haben nach dem Krieg und nach dem Wirtschaftswunder die Nazizeit für einen unerheblichen Klacks in der Geschichte gehalten. Der AfD-Chef Gauland hat die Hitler-Zeit relativiert: Die Nazis seien «nur ein Vogelschiss» in 1000 Jahren deutscher Geschichte. Wir lebten in einer Gesellschaft des schlechten Gedächtnisses. Wohin geht ein junger Mensch, der sein Leben nicht vertun will und der sein eigenes Land nicht aushält? Er geht ins Kloster. Viele Klostereintritte sind eher aus Verzweiflung als aus Frömmigkeit geschehen.

«Die Klöster waren keine Paradiese.»

Das also hat uns aus der Welt ins Kloster getrieben. Was aber hat uns dorthin gezogen, was suchten wir? Wir suchten ein einfaches Leben, in dem Besitz, Kleider, Geld, Ansehen keine oder doch nur eine geringe Rolle spielten. Nein, die Klöster waren keine Paradiese. Aber es waren Orte, an denen es nur wenig Überflüssiges gab. Die Einfach- und die Abwesenheit von Überflüssigem machten das Leben einsichtig. «Überflüssige Dinge machen das Leben überflüssig», sagt Pasolini, eine der klügsten Sätze der Menschheitsgeschichte.

«Es war das komische Zeichen einer gerechten Idee.»

Wir suchten im Kloster ein gerechtes Leben, in dem Menschen das Geld und das Brot teilten; in dem z.B. das besitzanzeigende Wort «mein» oder «dein» in der Sprache verboten waren. Ja, es hatte seine rührende Komik, wenn die Mönche von «unserer Hose» sprachen oder von «unserer Zahnbürste». Es war das komische Zeichen einer gerechten Idee.

Die Idee der Gerechtigkeit, der Einfachheit und der Gottsuche war eine geteilte Idee. Die Kommunität und der Ort haben sie getragen, nicht der einzelne Mensch allein. Ideen werden stark, wenn sie geteilt werden. Ideen müssen Orte haben. Sie verblassen, wenn sie nur im Kopf von einzelnen nisten und nur mit den Händen von einzelnen erarbeitet werden.

Li Hangartner und Fulbert Steffensky
Li Hangartner und Fulbert Steffensky

Man hatte nicht nur geteilte Ideen, sondern geteilte Aufgaben; jedes der Klöster eine spezifische. Die Ingenbohler Schwestern haben sich um die Mädchenbildung gekümmert, die vernachlässigt war. Mutter Teresa und ihre Gruppe hat sich um die Sterbenden auf den Strassen Calcuttas gekümmert. Die Kapuziner in Deutschland haben sich nach dem Krieg vor allem um die Versöhnungsarbeit gekümmert und das Raue Haus in Hamburg, eine diakonische Gruppe, kümmerte sich um die obdachlosen Kinder und rechtlosen Jugendlichen auf den Strassen Hamburgs. Aufgaben müssen Orte haben.

«Es ist ein unersetzlicher Verlust für den Katholizismus wie für die Gesamtkirche.»

Mönche sind Nichtsnutze wie alle anderen Christenmenschen auch. Aber da gibt es ihren Ort, an dem man einfach lebt; an dem man Besitz, Ideen und Gebete teilt. Ich erwähne auch klösterliche Gruppen, die sich nicht durch ihre äusseren Arbeiten rechtfertigen können: die beschaulichen Orden. Vielleicht tragen sie mit ihren Klöstern und mit ihrem Leben in unseren profitversessenen Gesellschaften die am meisten aufsässige Idee eines Lebens, das sich nicht durch sich selbst rechtfertigen muss. Es ist ein unersetzlicher Verlust für den Katholizismus wie für die Gesamtkirche, wenn all diese Gruppen und Klöster aussterben.»

Zum 90. Geburtstag von Fulbert Steffensky veröffentlichte das theologische Online-Magazin «Feinschwarz.net» seine Rede, die er in Luzern gehalten hatte. Steffensky ist Theologe, Professor für Religionspädagoge und Autor. Er war von 1954 bis 1968 Benediktinermönch und konvertierte 1969 zur evangelisch-lutherischen Kirche. Seit 2011 lebt Fulbert Steffensky mit seiner zweiten Frau, der römisch-katholischen Theologin Li Hangartner in Luzern. (jas)


Fulbert Steffensky im Jahr 2016 | © Remo Wiegand
10. Juli 2023 | 11:34
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