Isabelle Vernet
Schweiz

Frauenpower in der Romandie: «Ich habe Lust darauf, die Welt zu verändern»

Isabelle Vernet (54) blickt euphorisch auf den synodalen Prozess: «Alles ist möglich, wir können die Welt verändern.» Ist das nicht naiv? «Nein, sondern eine Frage der Logik», sagt die Seelsorgerin. Sie kritisiert die Frauenfeindlichkeit der katholischen Kirche – und engagiert sich in der «Allianz Gleichwürdig Katholisch».

Raphael Rauch

Was nervt Sie am meisten in der katholischen Kirche?

Isabelle Vernet*: Wir Frauen werden von manchen Priestern schräg angeschaut. Ich sage bewusst nicht: von allen Priestern. Wir dürfen nicht generalisieren. Es gibt wunderbare Priester, die ebenfalls den Kopf schütteln, dass wir Frauen in der Kirche nicht mehr machen dürfen. Aber natürlich hat die katholische Kirche ein Problem mit Frauen – und ist frauenfeindlich. Das geht nicht.

«Wir sind alle getauft.»

Es gibt auch Frauen, die keine Frauen am Altar wollen.

Vernet: Das stimmt. Aber wir sind alle getauft und es gibt für mich keinen Grund, warum wir nicht die gleichen Rechte und die gleiche Würde erhalten sollten.

Vor einem Jahr: Eine Frauen-Delegation trifft die Bischofskonferenz.
Vor einem Jahr: Eine Frauen-Delegation trifft die Bischofskonferenz.

Warum hat die Kirche im 21. Jahrhundert immer noch ein Frauenproblem?

Vernet: Das hat mit dem patriarchalen Erbe zu tun. Ich selbst komme aus einer liberalen, französischen Familie. Meine Eltern haben zu mir gesagt: Du kannst machen, was du willst. Ich liebe meinen Beruf als Seelsorgerin. Ich bin glücklich verheiratet, mein Mann und ich haben drei wunderbare Kinder und einen vier Monate jungen Enkel. Als Seelsorgerin an der Hotelschule in Lausanne habe ich mit Studenten aus 120 Ländern und verschiedenen Religionen zu tun. Natürlich ticke ich anders als Priester, die sich abschotten.

Gemeindeleiterin Dorothee Becker predigt im Gottesdienst in der Kirche St. Franziskus in Riehen BS.
Gemeindeleiterin Dorothee Becker predigt im Gottesdienst in der Kirche St. Franziskus in Riehen BS.

Wie finden Sie es, dass im Bistum Basel, St. Gallen und in manchen Pfarreien des Bistums Chur Laien taufen oder dem Trausakrament assistieren?

Vernet: Ich finde das genial. Halleluja! Ein weiterer Grund, optimistisch zu bleiben.

«Bischof Charles Morerod hat verstanden, dass es so nicht weitergehen kann.»

Davon scheint die Romandie weit entfernt.

Vernet: Aber auch bei uns tut sich viel. Bischof Charles Morerod hat verstanden, dass es so nicht weitergehen kann. Er hat Laien in den Bischofsrat berufen. Aber klar, wir sind noch lange nicht so weit wie die Deutschschweiz.

Charles Morerod ist Bischof von Lausanne, Genf und Freiburg.
Charles Morerod ist Bischof von Lausanne, Genf und Freiburg.

Warum engagieren Sie sich in der «Allianz Gleichwürdig Katholisch»?

Vernet: Die Allianz steht für die Werte, die auch wir vom «Réseau des femmes en Église» vertreten. Wir engagieren uns vor allem zu Frauenthemen in der Kirche. Wir schaffen einen Raum, in dem Frauen sich austauschen und vernetzen können.

Das Kernteam der Allianz Gleichwürdig Katholisch in Olten.
Das Kernteam der Allianz Gleichwürdig Katholisch in Olten.

Was machen Sie konkret im «Réseau des femmes en Église»?

Vernet: Wir helfen einander, stehen aber auch in Kontakt mit Bischof Charles Morerod. Wir treffen ihn am 13. Dezember in Freiburg, um klarzumachen: Frauen sollen mehr Verantwortung in der katholischen Kirche erhalten. Wir werden ihm auch klar machen, was die katholische Kirche mit Frauen anrichtet. Ich kenne Frauen, die wegen der Kirche leiden und an ihr zerbrechen. Zum Teil leiden Frauen auch an spirituellem Missbrauch und an Machtmissbrauch.

«Ich finde Papst Franziskus grossartig.»

Was fordern Sie von Papst Franziskus?

Vernet: Ich bin sehr optimistisch, was die Öffnung der Kirche betrifft. Ich finde Papst Franziskus grossartig und bin regelrecht begeistert vom synodalen Prozess. Ich bin fest überzeugt: Wir können die Dinge ändern. Wir können den Klerikalismus beenden, der uns seit Jahrhunderten beeinträchtigt.

Felix Gmür soll sich beim Papst für ein Schweizer Partikularrecht einsetzen (Aufnahme von 2020).
Felix Gmür soll sich beim Papst für ein Schweizer Partikularrecht einsetzen (Aufnahme von 2020).

Nicht alle in der «Allianz Gleichwürdig Katholisch» teilen Ihren Optimismus.

Vernet: Synodal heisst: gemeinsam gehen, den Menschen zuhören. Ich habe das Gefühl, Papst Franziskus versteht uns wirklich. Es geht nicht um Vorurteile und Stereotype, sondern ums Zuhören. Was ich genial finde: Der Papst sagt, wir sollen allen zuhören, wirklich allen. Also nicht nur den Intellektuellen und Theologen, sondern den Armen und Reichen, den Starken und den Schwachen. Wenn wir den synodalen Prozess ernst nehmen, können wir die Welt ändern.

Katharina Jost schreibt Befürchtungen zum synodalen Prozess auf.
Katharina Jost schreibt Befürchtungen zum synodalen Prozess auf.

Ist das nicht etwas naiv?

Vernet: Überhaupt nicht. Das ist eine Frage der Logik: Wenn wir einander wirklich zuhören und ernst nehmen, ist alles möglich. Das ist doch das Geniale am synodalen Prozess.

«Papst Franziskus baut die Kurie um.»

Es wäre nicht das erste Mal, dass die Kirche etwas anstösst – aber nichts passiert.

Vernet: Aber es passiert doch enorm viel. Papst Franziskus baut die Kurie um. Er hat Schwester Nathalie Becquart zur Untersekretärin der Bischofssynode ernannt.

Nathalie Becquart, Untersekretärin der Synode.
Nathalie Becquart, Untersekretärin der Synode.

Kennen Sie die Französin Nathalie Becquart persönlich?

Vernet: Nein, aber ihren Cousin (lacht). Er arbeitet für die Kirche in Lausanne in der Erwachsenenpastoral.

«Warum hat die Kirche so lange geschwiegen?»

Frankreich ist wegen der jüngsten Studie zum Missbrauchsskandal erschüttert.

Vernet: Der Bericht ist schrecklich. Warum hat die Kirche so lange geschwiegen? Umso wichtiger ist es nun, die Konsequenzen zu ziehen, um Missbrauch und Machtmissbrauch zu verhindern.

Die Affären um Paul Frochaux, Alain Chardonnens und weitere Priester haben das Bistum Lausanne, Genf und Freiburg belastet.
Die Affären um Paul Frochaux, Alain Chardonnens und weitere Priester haben das Bistum Lausanne, Genf und Freiburg belastet.

Das Bistum Lausanne, Genf und Freiburg hat in den letzten zwei Jahren mit Sex-Skandalen Schlagzeilen gemacht. Mal ging es um Missbrauch wie in der Frochaux-Affäre, mal um das Doppelleben des ehemaligen Generalvikars. Wie glaubwürdig ist die Kirche?

Vernet: Ich kenne die Details nicht. Aber Bischof Charles Morerod weiss, dass sich etwas ändern muss.

Französische Flagge auf dem Genfersee.
Französische Flagge auf dem Genfersee.

Sind Sie als Französin revolutionärer als Schweizer Frauen?

Vernet: Vielleicht (lacht). Ich habe schon das Gefühl, dass Papst Franziskus die Kirche revolutionieren wird.

«Ich verstehe nicht, warum Frauen bei uns nicht predigen dürfen.»

Über welchen kleinen Schritt würden Sie sich im Bistum Lausanne, Genf und Freiburg freuen?

Vernet: Ich verstehe nicht, warum Frauen bei uns nicht predigen dürfen. Das könnten wir schnell und einfach ändern.

* Isabelle Vernet (54) stammt aus Frankreich und ist Studentenseelsorgerin an der «École hôtelière de Lausanne». Auch koordiniert sie die katholische Freiwilligenarbeit in der Waadt.


Isabelle Vernet | © Manuela Matt
18. Oktober 2021 | 05:00
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