Schweiz

Forderung an Bundesrat Cassis: «Die Schweiz soll Kriegsgefangene internieren»

Mahnwache auf dem Bundesplatz. Es geht um den ukrainischen Bürgerrechtsaktivisten Maksym Butkevych. Und um all die anderen Gefangenen in russischen Gefängnissen. Die Forderung an Bundesrat Cassis: Endlich etwas zu tun.

Annalena Müller

Um 10.55 Uhr ist der Bundesplatz wie leergefegt. Ausgerechnet heute zieht ein heftiger Sturm über die Schweiz. Unter den Lauben, vor der Kantonalbank, steht eine Gruppe buntgekleideter Musikerinnen und Musiker. Sie suchen Schutz vor dem Regen. Daneben: ungefähr 30 Menschen. Die meisten dürften um die 60 Jahre alt sein. Sie sind heute nach Bern gekommen, um zu mahnen. Und um die Schweizer Regierung zum Handeln zu drängen.

Mahnwache für Kriegsgefangene

Aufgerufen zur Mahnwache hat Michael Rössler (66). Er ist Koordinator des «Forum Civique» in Basel. Die ukrainische Band «Hudaki Village Band» spielt Lieder. Alle sind hier, um die Freilassung des Aktivisten Maksym Butkevych (45) zu fordern.

Die meisten kennen Butkevych persönlich. Er war eine zentrale Figur der Maidan-Bewegung. Wie so viele Männer schliesst sich Butkevych im März 2022 dem Militär an. Im Juni kommt er bei Luhansk in russische Gefangenschaft. Am 10. März 2023 wird er dort zusammen mit zwei weiteren Kriegsgefangenen zu 13 Jahren verschärfter Lagerhaft verurteilt.

Butkevych – einer von vielen

Der Fall Maksym Butkevych ist einer von vielen. Aber im Gegensatz zu den meisten anderen ist Butkevych kein Unbekannter. Seit Jahrzehnten setzt er sich für Menschenrechte und für Flüchtlinge in seiner Heimat ein. Er ist im Westen gut vernetzt. Er war schon vielfach Gast beim Schweizer «Forum Civique». Der Verein übergibt heute einen offenen Brief an Bundesrat Cassis.

In der Regenpause: Mahnwache auf dem Bundesplatz
In der Regenpause: Mahnwache auf dem Bundesplatz

Darin fordert die Gruppe, dass die Schweiz ihre Neutralität besser nutzt. Sie solle als Verhandlerin Gefangenenaustausche zwischen Russland und der Ukraine einleiten. Und dabei Butkevych besonders berücksichtigen.

Mit seinem Engagement für Flüchtlinge und gegen Korruption hat er sich in der Ukraine nicht nur Freunde gemacht. Auch für die russische Regierung ist der Menschenrechtler schon lange ein Dorn im Auge. Hat er doch immer wieder russische Propaganda als solche entlarvt. Rössler und die anderen Aktivisten befürchten, dass keine der beiden Regierungen ein grosses Interesse an seiner Freilassung hat.

Kriegsgefangene in der Schweiz internieren

Zu den Forderungen des «Forum Civique» gehört auch Folgendes: Die Schweiz soll Kriegsgefangene beider Konfliktparteien hierzulande internieren. «Das hat die Schweiz auch in den Weltkriegen so gehandhabt», sagt Rössler. Derart könnte man sicherstellen, «dass die Kriegsgefangenen unter menschenwürdigen Bedingungen leben».

Michael Rössler will, dass die Schweiz Kriegsgefangene aufnimmt
Michael Rössler will, dass die Schweiz Kriegsgefangene aufnimmt

Die Forderung nach Waffenweitergabe geht für Rössler aber an der Sache vorbei. «Als neutrales Land wird die Schweiz keine Waffen liefern. Das ist auch in Ordnung. Aber sie kann und muss sich in anderen Bereichen endlich engagieren». Sich auf die Neutralität zu berufen und nichts zu tun, sei feige.

Die Linke muss umdenken

Der Österreicher Jürgen Kräftner (62) spielt in der «Hudaki Village Band». Er teil Rösslers Meinung. Kräftner lebt seit über 20 Jahren in der Westukraine in einer Kommune. Er ist, was man einen typischen «Altlinken» nennt. Mittlerweile ist ihm der radikale Pazifismus, der ihn früher selbst geprägt hat, fremd. Dass er einmal Waffen fordern würde, hätte er früher nicht gedacht.

Kräftner lebt in der Ukraine und spielt in der Hudaki Village Band
Kräftner lebt in der Ukraine und spielt in der Hudaki Village Band

«Jede Minute, die wir warten, kostet Menschenleben», sagt er. Und: «Wenn dir jemand ein Gewehr an den Kopf hält, dann hast du keine Wahl. Du musst dich wehren». Er und Butkevych kämen beide aus der antimilitaristischen Szene. Aber als Russland angreift, stellt sich der kompromisslose Pazifismus auf einmal als wenig praktikabel heraus. Für die Menschen der Ukraine. Für Männer wie Butkevych und Kräftner. Letzterer kämpft mit den Tränen, wenn er von seinem Freund in Kriegsgefangenschaft spricht.


| © Annalena Müller
31. März 2023 | 16:41
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