Bewaffnete Madonna: Demo vor der russischen Botschaft in Bern.
Schweiz

Demo vor russischer Botschaft mit der bewaffneten Madonna «Saint Javelin»

Vor einem Jahr hat Putin die Ukraine überfallen. In der Nähe der russischen Botschaft in Bern demonstrieren Ukrainer und Friedensaktivistinnen für den Frieden in der Ukraine. Auf Plakaten ist die bewaffnete Madonna «Saint Javelin» zu sehen, die längst Kultstatus hat. Und Putin mit Hitlerbart.

Annalena Müller

Daria ist 25 Jahre alt und studiert Operngesang. Im April 2022 ist sie über Polen zunächst nach Berlin und von dort nach Biel gereist. Ihr Vater und Bruder sind im wehrpflichtigen Alter. Sie dürfen die Ukraine nicht verlassen. Darias Mutter wollte Mann und Sohn nicht zurücklassen. Also macht sich Daria allein auf den Weg.

Demo vor der russischen Botschaft in Bern.
Demo vor der russischen Botschaft in Bern.

In den ersten Wochen nach ihrer Flucht kann Daria nicht singen. «Meine Stimme war kaputt. Als hätte ich nie gesungen.» Sie verlässt das Zimmer bei ihrer Gastfamilie praktisch nicht. Erst nach einigen Monaten beginnt es ihr besser zu gehen.

Daria hat Glück und kommt bei einer Musikerfamilie unter. Diese vermittelt Daria Kontakte. Die junge Frau beginnt wieder zu singen. Benefizkonzerte «für unsere Helden zuhause», wie sie sagt. Auch auf der Demonstration in der Nähe der russischen Botschaft in Bern singt Daria.

Gebete und «Slawa Ukrajini»-Rufe  

Es wird viel gesungen am Jahrestag von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine. In der Nähe von der russischen Botschaft in Bern ertönen ukrainische Nationalhymne und patriotische Volkslieder.

Demo vor der russischen Botschaft in Bern.
Demo vor der russischen Botschaft in Bern.

Die Demonstrierenden beten zusammen. Einer spricht das Gebet vor. Die Menge wiederholt die Worte im Chor. Viele weinen. Nach einem Jahr Krieg ist die Heimat fern, an eine Rückkehr ist momentan nicht zu denken. Aber abfinden will sich damit niemand. Trotzig ruft die Menge immer wieder «Slawa Ukrajini» – «Ehre der Ukraine».

«Wir hatten ein gutes Leben in Kiew»

Natalie (42) ist mit ihren beiden Söhnen aus Kiew geflohen. Eine Woche nach Kriegsausbruch. Jetzt leben sie im ländlichen Frutigen. «Wir hatten ein gutes Leben. Ein glückliches Leben. Aber dann hat eine Person entschieden, dass wir sterben müssen. Aber wir werden Putin besiegen», sagt sie entschlossen. «Wir sind hier, weil ich will, dass meine Söhne leben.»

Demo vor der russischen Botschaft in Bern.
Demo vor der russischen Botschaft in Bern.

Natalie ist Künstlerin und Mitorganisatorin der Demonstration. Sie hat das Plakat gemalt, welches ihre Söhne zusammen mit anderen Kindern hochhalten. «Warum werden ukrainische Kinder getötet?», steht darauf. Wie viele andere möchte Nadja zurück in die Ukraine. Sobald es dort sicher ist.

Trotziger Patriotismus

Ein Ende des Krieges ist nicht in Sicht. Trotzdem ist die Atmosphäre nicht hoffnungslos. Die Madonna mit Panzerfaust, bekannt als «Saint Javelin», bringt die Stimmung zwischen Andacht und Widerstand am besten auf den Punkt. Die Figur «Saint Javelin» hat längst Kultstatus und ziert Internet-Memes ebenso wie T-Shirts. Der Hass auf Putin zeigt sich auf einem Plakat mit Hitlerbart.

Ilona (Frau mit Sonnenbrille) hat beide Plakate gemalt: die bewaffnete Madonna und Putin mit Hitler-Bart.
Ilona (Frau mit Sonnenbrille) hat beide Plakate gemalt: die bewaffnete Madonna und Putin mit Hitler-Bart.

«Arm Ukraine now!», «Bewaffnet die Ukraine jetzt!» hat Ilona (35) an den oberen Rand geschrieben. Niemand hier hofft auf ein Wunder. Mit Waffen werden «ihre Helden» gewinnen, sagt Ilona.

Von der russischen Seite ist an diesem Nachmittag nichts zu hören und nichts zu sehen. Die Polizei hat das Gelände der russischen Botschaft weiträumig abgesperrt. Die ukrainischen Lieder dürften jedoch auch Russlands Emissär in Bern erreichen.

Demo vor der russischen Botschaft in Bern.
Demo vor der russischen Botschaft in Bern.

Man erfährt viele traurige Geschichten. Es geht um Tod, Heimweh und Unsicherheit. Besonders bewegend ist der Moment, als die Organisatorinnen und Organisatoren Namen von Zivilisten vorlesen, die im Januar in Dnipro ums Leben kamen. Ihre Namen stehen stellvertretend für alle zivilen Opfer, die dieser Krieg bisher gefordert hat.

Liebe in Zeiten des Krieges

Aber, das ist Daria wichtig zu erzählen, nicht alles im letzten Jahr war schlimm. Sie hat in Biel ihre Liebe gefunden. Er ist ebenfalls Ukrainer und auch Musiker: «Wenn du mir vor einem Jahr gesagt hättest, dass ich mich verlieben würde, hätte ich dich verrückt erklärt», sagt sie und lacht. Dann stimmt sie ein weiteres Mal die ukrainische Nationalhymne an.


Bewaffnete Madonna: Demo vor der russischen Botschaft in Bern. | © Christian Merz
24. Februar 2023 | 18:07
Lesezeit: ca. 3 Min.
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