«Flüchtlinge» ist das Wort des Jahres 2015

Wiesbaden, 11.12.15 (kath.ch) Am Wort «Flüchtling» – allein oder in den unterschiedlichsten Zusammensetzungen – kommt in diesen Tagen niemand vorbei. «Das Substantiv steht für das beherrschende Thema des Jahres», erklärte die Gesellschaft für deutsche Sprache am Freitag, 11. Dezember, in Wiesbaden. Deshalb kürte sie «Flüchtlinge» zum Wort des Jahres.

Christoph Arens

Von August bis Oktober war die Flüchtlingssituation das absolute Topthema der Fernsehnachrichten, wie das Institut für Empirische Medienforschung (Ifem) in Köln ermittelte. Allein im Oktober berichteten die Hauptnachrichtensendungen in Deutschland zusammen gut acht Stunden (493 Minuten) über Flüchtlinge. Im November wurden dann die Terroranschläge von Paris das Topthema. Insgesamt achteinhalb Stunden (518 Minuten) wurde von den Hauptnachrichtensendungen der vier grössten Fernsehsender über dieses Thema berichtet. Die Flüchtlingskrise stand mit viereinhalb Stunden (272 Minuten) Berichterstattung während dieser Zeit auf Platz zwei.

Heute eher abschätzig empfunden

Die Sprachforscher machten zugleich deutlich, dass das Wort «Flüchtling» für «sprachsensible Ohren tendenziell abschätzig» klingen könnte. Zwar ist der Begriff allgemein gebräuchlich. Er wird völlig neutral verwendet, etwa in den Namen der Genfer Flüchtlingskonvention oder des Weltflüchtlingstages. Für negative Untertöne allerdings sorgt der Wortbestandteil «-ling»: Ursprünglich handelte es sich um eine Verkleinerungsform ohne negative Nebenbedeutung, wie die Wörter Sperling, Frischling oder Setzling zeigen. Auch die aus mittelhochdeutscher Zeit stammenden Wörter Fremdling und Neuling waren anfangs noch neutral – beim Reformator Martin Luther findet sich Fremdling noch in der Bedeutung «Gast».

Aber Begriffe wie Eindringling, Emporkömmling, Winzling, Feigling oder Schreiberling sind eindeutig abschätzig gemeint. Der «Schönling» zeigt, wie die Silbe «-ling» ein an sich positives Wort in seiner Bedeutung umdrehen kann. Andere mit «-ling» gebildete Substantive wie Prüfling, Lehrling, Findling, Sträfling, Säugling oder Schützling stellen die gemeinte Person als passiv, hilfsbedürftig oder abhängig dar – was Flüchtlinge mitunter ja auch tatsächlich sind.

Suche nach Alternativen

Angesichts dieses negativen Beigeschmacks suchen manche Sprachsensiblen nach Alternativen: «Neuerdings ist öfters alternativ von ‘Geflüchteten’ die Rede», so die Gesellschaft für deutsche Sprache. «Ob sich dieser Ausdruck im allgemeinen Sprachgebrauch durchsetzen wird, bleibt abzuwarten.»

Auch das englische Wort «refugee» taucht gelegentlich auf. So etwa auf den Plakaten «refugees welcome» hilfsbereiter Bürger, deren Bilder um die Welt gingen. Der Begriff stammt vom lateinischen «refugium» ab, das «Zufluchtsort» oder «Schutzraum» bedeutet. Eine mögliche Alternative wäre auch der Begriff «Zufluchtsuchender», der daran erinnert, warum die so Bezeichneten gekommen sind.

«Fremde» in der Bibel

Die Bibel, die – von Abraham bis Jesus – viele Flüchtlingsgeschichten kennt, spricht immer wieder vom «Fremden». Gemäss dem Alten Testament steht der Fremde, der in Israel lebt, unter dem besonderen Schutz des göttlichen Rechtes. So heisst es zum Beispiel im Buch Levitikus (Kapitel 19,34): «Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen.» (kna)

«Flüchtlinge willkommen»- Demo in Luzern | © Sylvia Stam
11. Dezember 2015 | 15:37
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Wahl aus 2500 Begriffen

Nach eigenen Angaben wählte die Jury für diesmal unter rund 2500 Begriffen die zehn Wörter aus, die den öffentlichen Diskurs im zu Ende gehenden Jahr wesentlich geprägt und das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben sprachlich in besonderer Weise begleitet hätten. Laut der Gesellschaft für deutsche Sprache stehen bei der Wahl der Wörter des Jahres ihre Signifikanz beziehungsweise Popularität im Vordergrund. Die ausgewählten Wörter stellten eine sprachliche Jahreschronik dar. Ihre Auswahl sei aber mit keinerlei Wertung oder Empfehlung verbunden.

Die folgenden Plätze der Zehner-Hitliste belegen die Wörter beziehungsweise Wendungen «Selektorenliste», «Mogel-Motor», «durchwinken», «Selfie-Stab», «Schummel-WM», «Flexitarier» und den Ausspruch von Bundeskanzlerin Angela Merkel «Wir schaffen das». (kna)

Gesellschaft für deutsche Sprache