Hombre en la llanura
Schweiz

Filmfestival wandelt zwischen Schweinen, Mammuts und Teilchenbeschleuniger

Nyon, 17.4.18 (kath.ch) Was haben Schweine, ein gefrorenes Mammut und ein Teilchenbeschleuniger mit Religion zu tun? Sehr viel, wie man am 49. internationalen Dokumentarfilmfestival «Visions du Réel» in Nyon merkt. Die Filme zeigen, auf wie vielen Ebenen religiöse Themen wie Menschlichkeit oder Werte unser Leben durchdringen und wie zentral Religion in den verschiedenen Gesellschaften Kulturen und Medien verhandelt wird.

Natalie Fritz

Schweine, die sich in schwarzem Morast suhlen. Ein behelfsmässig zusammengezimmerter Stall. Ein metallisches Klappern. Dann zeigt die Kamera einen alten Mann mit von der Sonne gegerbtem Gesicht. Er steht einfach nur da. «Hombre en la llanura» (deutsch: Der Mann in der Ebene) behandelt einige fundamentale Aspekte des Menschseins wie Tod, Einsamkeit oder den Sinn des Lebens fast ohne Worte.

Die grossartigen Bilder lassen die Zuschauer eintauchen in den Alltag dieses Mannes, der abgeschieden in einem zerfallenen Haus lebt, umgeben von einigen Schweinen und Schafen und einem Rudel Hunden. So melancholisch die Szenerie wirkt, so vermitteln diese alltäglichen Handlungen und die Beziehung des Mannes zu seinen Tieren und der Natur eine tiefe Demut vor dem Leben, dem jede und jeder selbst einen Sinn geben muss.

Wenn die Wissenschaft zur Religion wird

Auch im CERN, dem internationalen Forschungszentrum in der Nähe von Genf wird versucht herauszufinden, was «die Welt im Innersten zusammenhält» – oder eben nicht. Im Film «Almost Nothing» (deutsch: Fast Nichts) eröffnet sich dem Publikum ein unbekannter Kosmos. Hier, im CERN, arbeiten fast 10’000 Mitarbeiter daran, herauszufinden, wie man die Welt besser erfassen kann und so vielleicht auch den Sinn des Lebens verstehen kann.

Physikerinnen, Ingenieure, Techniker und viele mehr erzählen auf bisweilen sehr humorvolle Weise davon, wie diese multinationale und interreligiöse Gemeinschaft funktioniert und wie einfach «Unglaubliches» durch die schiere Willenskraft und Zusammenarbeit von Menschen geschaffen werden kann. Der riesige Teilchenbeschleuniger wird da sehr passend von einem der Protagonisten als unterirdische Kathedrale bezeichnet – ein Ort, an dem sich der Glaube an etwas konzentriert.

Auch im Schweizer Film «Genesis 2.0» von Christian Frei und Maxim Arbugaev geht es um die Verbindung zwischen Wissenschaft und Religion. Doch hier wird anhand eines Mammutfundes auf einer sibirischen Insel die im Titel genannte «Schöpfung» zu einer Vision à la Frankenstein. Das aufrüttelnde Werk zeigt auf, wie weit Genforscher bereits in die Schöpfung eingreifen und wie sie den Menschen gerne optimieren möchten. Auf ethische Bedenken angesprochen, weiss die chinesische Wissenschaftlerin keine Antwort. In ihrem Gesicht spiegelt sich Ratlosigkeit. Gott spielen im Labor – keine allzu verheissungsvolle Zukunftsvision.

Eine Religion – verschiedene Sichtweisen

So unterschiedlich die Herangehensweisen der Filmemacher an «die Realität», so unbekannt die Welten, in die die Zuschauerin entführt wird, so vertraut, scheinen die Themen die aufgegriffen werden. Die Dokumentarfilme am Festival führen vor Augen, was uns als Menschen eint und was uns bisweilen trennt. Und das mit einer Intensität, wie es eben nur das bewegte und vertonte Bild vermag. Für etwas mehr als eine Stunde lässt man sich auf neue Sichtweisen ein und versucht beispielsweise nachzuvollziehen, weshalb liebevoll agierende Väter ihre Kinder in den Jihad schicken wie das in «Fathers and Sons» dokumentiert wird.

Im Kinosaal bleiben nach der Sichtung nicht nur Eltern verstört zurück und debattieren über die augenscheinliche Differenz zwischen Glauben und Ideologie und die Hoffnung auf Frieden. Das Kino – ein Ort der Auseinandersetzung mit dem, was ist und mit dem, was sein könnte.

Oder man lernt in einem Schweizer Werk wie «Closer to God» (deutsch: Näher bei Gott) eine friedfertige und schöngeistige Seite des Islams kennen.

Die Schweizer Produktion visualisiert eindrucksvoll eine poetische Reflexion über die Kraft der Musik im mystischen Islam Pakistans. Zwei Ansichten des Islams, die unterschiedlicher nicht sein könnten und, einander gegenübergestellt, aufzeigen, wie wenig sinnvoll fixe Kategorien auch im Bezug auf Religion sind.

Nicht nur einen Islam

Es gibt nicht den einen Islam, das eine Christentum – Religionen werden individuell gelebt. Die Filme in Nyon bieten dem Publikum die Möglichkeit, sich mit anderen Sichtweisen quasi hautnah auseinanderzusetzen, zu diskutieren und die eigene Realität danach vielleicht in einem etwas anderen Licht zu sehen.

 

Hombre en la llanura | © Visions du réel/Patricio Suarez
19. April 2018 | 07:11
Lesezeit: ca. 3 Min.
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Visions du Réel

Das Dokumentarfilm-Festival findet seit 1969 in Nyon statt. Das Programm ist sehr vielfältig und zeigt Kurz-, Mittel- und Langfilme. Sieben Jurys bewerten in unterschiedlichen Sektionen Dokumentarfilme nach vorgegeben Kriterien. www.visionsdureel.ch

Interreligiöse Jury

Seit 2005 ist in Nyon eine Interreligiöse Jury tätig (von 1978–1995 war es eine Ökumenische Jury), die je eine Repräsentantin oder einen Repräsentanten der römisch-katholischen und protestantischen Film Organisationen sowie je ein Mitglied jüdischen und muslimischen Glaubens umfasst. Sie verleiht hren Preis an einen Film, der im Internationalen Wettbewerb läuft. Der mit 5’000 Franken dotierte Preis wird an ein Werk verliehen, das auf künstlerisch hochwertige Weise existentielle und soziale Probleme zur Diskussion stellt, die Frage menschlicher Werte thematisiert und/oder spirituelle Perspektiven aufzeigt. Diesjährige Jury: Praxedis Bouwman, Dalfsen (Nederlande); Natalie Fritz, Ottenbach (Schweiz) – Präsidentin; Majid Movasseghi, Zürich (Schweiz/Iran); Daniel Zuta, Dreieich (Deutschland) (nf)