Peter Kirchschläger in der SRF-Sendung "Arena"
Schweiz

Ethiker prangert an: «Casino-Mentalität» in Banken führt zu Boni-Gier

Sie sind der Nektar, der das Arbeitsleben schmiert und versüsst: Boni. Völlig überrissene Bonuszahlungen bei gleichzeitig negativen Bilanzen haben aber zum Crash der Credit Suisse beigetragen. Was sagt Ethiker Peter G. Kirchschläger zur Gier nach Geld? Sein Fazit ist klar: Mitarbeitende brauchen auch ideelle Anreize, um ethisch und ökologisch verantwortungsvoll handeln zu können.

Wolfgang Holz

Was sagen Sie als Ethiker zum jüngsten Absturz der Credit Suisse?

Peter G. Kirchschläger*: Zunächst sind meine Gedanken bei den Mitarbeitenden, die nun um ihre Stelle bangen. Darüber hinaus ist es unverständlich, dass die Entscheidungsträger es so weit kommen liessen, und die Aufsichtsbehörden nicht früher interveniert haben.

«Es fehlen bisher auch klare Worte des Bundesrats.»

Zu diesem gesamten Versagen fehlen bisher auch klare Worte des Bundesrats und Forderungen im Blick auf die für dieses Debakel Verantwortlichen – nicht zuletzt auf die von ihnen bezogenen Boni der vergangenen Jahre. Dies erstaunt angesichts des unvorstellbaren Ausmasses des für diese Feuerwehrübung notwendigen finanziellen staatlichen Engagements.

Ist die öffentliche Empörung in anderen Fällen heftiger?

Kirchschläger: Ja, in anderen Situationen wird viel lautere Kritik geübt bei viel, viel kleineren Problemen.

Peter G. Kirchschläger
Peter G. Kirchschläger

Wie meinen Sie das konkret?

Kirchschläger: Denken wir nur etwa an die unverhältnismässig gewaltigen Aufschreie bei geringem Fehlverhalten von Menschen, die an den Rand unserer Gesellschaft gedrängt werden.

«Denken wir nur auch daran, wie wenig im öffentlichen Diskurs über Chancen von Migration gesprochen wird.»

Denken wir nur auch daran, wie wenig im öffentlichen Diskurs über Chancen von Migration gesprochen wird. Sprich: wie intensiv Migration und Flucht bei vergleichbar minimalen Kosten politisch thematisiert wird und wie stark die im Verhältnis betrachtet gleichsam inexistenten Kosten im Asylbereich politisch hochgekocht werden. Auch fällt die finanzielle Unterstützung der offiziellen Schweiz im In- und Ausland für Menschen mit Fluchtgeschichte knausrig aus.

Credit Suisse
Credit Suisse

Überrissene Boni bei gleichzeitig negativen Bilanzabschlüssen waren auch ein Grund für das Scheitern der Bank. Wie erklären Sie sich dieses unverantwortliche Verhalten von Bankern?

Kirchschläger: Es ist inakzeptabel, dass erneut eine Schweizer Grossbank massive staatliche Garantien – wir reden hier von 209 Milliarden Franken – braucht, obwohl nach der letzten Finanzkrise versprochen worden ist, dass alles unternommen wird, damit so etwas nicht mehr vorkommt. Wenn Banken und Finanzinstituten vermittelt wird, dass ihnen im Notfall der Staat umfassend hilft, dann werden die falschen Anreize gesetzt. Nämlich, dass Banken und Finanzinstitute überrissene Risiken eingehen können, um ihre Gewinne zu maximieren.

«Nach dem Motto: Geht ins Casino und spielt volles Risiko.»

Können Sie deutlicher werden?

Kirchschläger: Bildlich gesprochen wird den Banken und Finanzinstituten vermittelt: Geht ins Casino und spielt volles Risiko. Und falls ihr dann im Glücksspiel euer ganzes Geld verprasst habt – was bei so extremer Risikobereitschaft höchstwahrscheinlich der Fall sein wird – dann wird euch der Staat retten.

Roulette: Glücksspielsucht wird in Deutschland zum Problem.
Roulette: Glücksspielsucht wird in Deutschland zum Problem.

Diese «Casino-Mentalität» auf Unternehmensebene werden dann zum Anreiz für Mitarbeitenden. Es kommt zu einer Gewinnmaximierung, die auf Boni ausgerichtet ist. Das ist für ein ethisch akzeptables, verantwortungsvolles Wirtschaften und Investieren hinderlich.

Sind Boni so etwas wie der mittelalterliche Ablasshandel in der Kirche oder würden Sie sagen, hohe Boni machen Menschen zu süchtigen Sklaven der kapitalistischen Produktionsweise?

Kirchschläger: Ich würde dazu einladen, Boni nicht einseitig nur an ökonomischen Kriterien, sondern auch an Sozial- und Nachhaltigkeitsstandards festzumachen, um ethisches und verantwortungsvolles Entscheiden und Handeln zu würdigen und zu belohnen.

Dürre im Südsudan
Dürre im Südsudan

Hier kann ich als Unternehmen einen wesentlichen Unterschied für Menschenrechte und gegen Klimazerstörung bewirken. Nur so erreiche ich als Unternehmen für ein menschenwürdiges Leben sowie für die Zukunft der Erde entscheidende ethische Prinzipien. Das wiederrum führt zu einer Kohärenz zwischen meinen Worten und Taten. Denn ich sende dann gegenüber meinen Mitarbeitenden ein klares Signal. Dessen ethisch positive Wirkung wird nicht auf sich warten lassen.

«Ethische Kriterien spielen bei den Boni offenbar keinerlei Rolle.»

Wie kann man das Faszinosum Boni sozialethisch erklären? Bei den Grossbanken hat man ja das Gefühl, dass die Mitarbeitenden eigentlich nur für die Boni arbeiten. Die Höhe der Boni ist quasi der Hauptgradmesser für die persönliche Wertschätzung von Mitarbeitenden.  

Kirchschläger: Es nimmt schon fast schizophrene Züge an, wenn ein Unternehmen mit aufwändigen Kommunikations- und Werbemassnahmen dauernd hervorstreicht, wie wichtig Nachhaltigkeit und Klimaschutz sind. Und dies auch in Hochglanzbroschüren verbreitet. Gleichzeitig spielen ethische Kriterien bei den Boni offenbar keinerlei Rolle. Handhabt das so ein Unternehmen, dann kommt bei den Mitarbeitenden die klare Botschaft an: was wirklich wichtig ist, ist Gewinnmaximierung – koste es, was es wolle.

So bedroht wie nie zuvor: Luftaufnahme des Amazonasregenwaldes, rund 400 Kilometer südlich von Manaus.
So bedroht wie nie zuvor: Luftaufnahme des Amazonasregenwaldes, rund 400 Kilometer südlich von Manaus.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Kirchschläger: Zum Beispiel hat die UBS 2021 die brasilianischen Agrarkonzerne Marfrig und BrasilAgro mit Geld ausgestattet, obwohl diese im Amazonas und dem daran angrenzenden Cerrado-Gebiet in Brasilien in zahlreiche Fälle von Brandrodung, sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen und Verletzung von Indigenenrechten verwickelt waren.

«Wir sind als Konsumenten Konsum-Actors».

Boni können eine regelrechte Gier auslösen, die irgendwann bilanztechnisch nicht mehr zu bewältigen ist. Sehen Sie das auch so?

Kirchschläger: Ein Unternehmen kann leistungsbezogene Anreize setzen. Zentral ist es dabei aus ethischer Perspektive, dass ich diese mit Anreizen für menschenrechtskonformes und nachhaltiges Wirtschaften und Investieren verbinde. Zahlreiche Unternehmen zeigen tagtäglich, dass man profitabel und erfolgreich wirtschaften. Und gleichzeitig die Menschenrechte respektieren sowie die Umwelt und das Klima schützen kann.

Braucht es eine Konzernverantwortungsinitiative für die Führungskräfte der Kirche?
Braucht es eine Konzernverantwortungsinitiative für die Führungskräfte der Kirche?

Mal kurz ganz privat. Ich habe als Journalist vor Jahren von meiner früheren Geschäftsführerin, die mich mochte, einen Jahresbonus in Höhe von 800 Franken erhalten. Davon habe ich mir damals zwei, drei neue Jeans und einige neue Oberhemden gekauft. Ist das ethisch vertretbar?

Kirchschläger: Wurden dies Jeans und Oberhemden nachhaltig und fair produziert? Das scheint mir in diesem Fall die zentrale Frage zu sein, denn als Konsumenten fällen wir bei jeder Kaufentscheidung eine politische Entscheidung. Wir können ja oder nein zu Menschenrechtsverletzungen und Klima- und Umweltzerstörung oder zu Achtung der Menschenrechte und der Schöpfung sagen. Wir sind als Konsumenten «Konsum-Actors».

Ich habe, um Ihre Frage zu beantworten, die Jeans und Oberhemden ehrlich gesagt danach ausgesucht, ob sie mir gefallen haben. Ob sie nachhaltig und fair produziert waren, kann ich nicht mehr sagen. Haben Sie denn auch schon einmal einen Bonus erhalten?

Kirchschläger: Nein.

«Wichtig ist, dass dieses Anreizsystem ethisch positives und verantwortungsvolles Tun und Lassen belohnt und feiert.»

Geld als Belohnung ist zweifellos süss. Weihnachtsfeiern bescheren andererseits Promille, Kalorien und manchmal auch uneheliche Kinder. Sollten Mitarbeitende nicht vor allem menschlich, ideelle Wertschätzung im Alltag erfahren?

Kirchschläger: Ich sehe das nicht als Entweder-Oder. Ich sehe das generell als menschliche und ideelle Wertschätzung, die ich von einem ethischen Standpunkt aus höher gewichten und denen ich mehr Platz im Unternehmensalltag einräumen würde. Man kann Anreize aber durchaus kombinieren. Wichtig ist, dass dieses Anreizsystem ethisch positives und verantwortungsvolles Tun und Lassen belohnt und feiert.

Hätten Sie da als Ethiker ein paar Ideen?

Kirchschläger: Ich erachte es als Teil meiner Verantwortung als Ethiker, Unternehmen basierend auf meiner Forschung ethisch zu beraten. Und was sich in Unternehmen beobachten lässt: Natürlich macht es in der Unternehmenspraxis einen Unterschied, ob ich nur ökonomische Boni vorsehe oder auch mit vielen kleinen, zwischenmenschlichen Gesten und Zeichen meinen Mitarbeitenden meine Wertschätzung für ihre Leistungen und meine Dankbarkeit für ihr Engagement zum Ausdruck bringe.

Das Diskussion-Podium zum Thema Ethik und Verantwortung in der Digitalen Welt (v. l.): Peter G. Kirchschläger, Cornelia Diethelm, Matthias Zehnder und Benjamin Bargetzi.
Das Diskussion-Podium zum Thema Ethik und Verantwortung in der Digitalen Welt (v. l.): Peter G. Kirchschläger, Cornelia Diethelm, Matthias Zehnder und Benjamin Bargetzi.

Will heissen?

Kirchschläger: Das heisst: Natürlich macht es in der Unternehmenspraxis einen Unterschied, wenn nicht nur Beiträge zum ökonomischen Erfolg einer Organisation positiv hervorgehoben und geehrt werden, sondern vor allem ethisch korrektes und verantwortungsvolles Entscheiden und Handeln. Denn nur so werden Unternehmen ihren so entscheidenden Beitrag dazu optimal leisten, dass alle Menschen in den Genuss ihrer Menschenrechte kommen und wir der Klimazerstörung Einhalt gebieten können.

*Peter G. Kirchschläger (46) ist Professor für Theologische Ethik und Leiter des Instituts für Sozialethik ISE an der Universität Luzern.

Tipp: Ein neues Masterstudium «Ethik» startet im Herbst 2023 an der Universität Luzern. Dieses ist in der Schweiz neu und einzigartig. Der innovative Studiengang richtet sich an alle Bachelorabsolventen und -tinnen von Universitäten, Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen aller Fachrichtungen.


Peter Kirchschläger in der SRF-Sendung «Arena» | © SRF
24. März 2023 | 15:51
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